Pierre-Robin-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Pierre-Robin-Syndrom ist ein Symptomkomplex aus angeborenen Fehlbildungen bekannt, der Gesichtsfehlbildungen, Atemwegsobstruktionen durch Fehlentwicklungen der Zunge und Organfehlern einhergeht. Das Syndrom ist mit genetischer Disposition assoziiert. Eine ursächliche Therapie existiert bislang nicht.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Pierre-Robin-Syndrom?

So können zum Beispiel Überdosierungen von Vitamin A, Nikotinkonsum oder Alkoholkonsum der Mutter und mütterliche Krankheiten bakterieller oder viraler Art.
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Das Pierre-Robin-Syndrom ist auch als Pierre-Robin-Sequenz bekannt. Bei dem Symptomkomplex handelt es sich um ein angeborenes Fehlbildungssyndrom, das im 20. Jahrhundert erstmals durch den Zahnarzt Pierre Robin beschrieben wurde. Die Prävalenz ist mit rund einem Betroffenen unter 8.000 bis 30.000 angegeben.

Die Spannbreite der Prävalenz richtet sich danach, welche übergeordneten Syndrome in die Häufigkeitsschätzung mit einbezogen werden. Übergeordnete Komplexe sind zum Beispiel das Carey-Fineman-Ziter-Syndrom. An den dokumentierten Fällen hat sich eine Geschlechtspräferenz eruieren lassen. So sind Mädchen öfter von dem Symptom betroffen als Jungen.

Das Verhältnis liegt bei etwa 3:2. Neben Gesichtsfehlbildungen zeichnen Organfehler und geistige Retardierung das Syndrom aus. Der häufigste Organfehler im Rahmen dieses Symptomkomplexes ist der Herzfehler. Die Erkrankung zählt zu den angeborenen Fehlbildungssyndromen und entsteht im Rahmen der embryonalen Entwicklung.

Ursachen

Die einzelnen Symptome des Pierre-Robinson-Syndroms haben ihre Ursache in einer embryonalen Entwicklungsstörung. Ätiologie und Pathogenese sind nicht abschließend geklärt. Eine familiäre Häufung mit chromosomalen Mutationen konnte an den dokumentierten Fällen ausgemacht werden. Zusätzlich spielen bei der Krankheitsentstehung offenbar Faktoren wie teratogene Substanzen eine Rolle.

So können zum Beispiel Überdosierungen von Vitamin A, Nikotinkonsum oder Alkoholkonsum der Mutter und mütterliche Krankheiten bakterieller oder viraler Art. Neben diesen äußerlichen Faktoren begünstigen scheinbar auch Rein mechanische Faktoren wie ein Mangel an Fruchtwasser und eine ungewöhnliche Kopfstellung des Embryos eine Rolle bei der Aktivierung der familiären Disposition.

Die primäre Ursache ist Gegenstand der Diskussion. Einige Wissenschaftler sehen den verkleinerten Unterkiefer der Patienten als Primärursache, da die Zunge dadurch nach hinten oben abgedrängt wird und die Verschmelzung der Gaumenfortsätze am linken und rechten Oberkieferwulst nicht stattfinden kann, sodass eine Gaumenspalte entsteht. Andere Quellen spekulieren über eine Zungenentwicklungsstörung als Primärursache und geben an, dass die verzögerte Zungenentwicklung die Unterkieferstreckung verhindert, was eine Mikrogenie begünstigt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Verschiedene klinische Symptome machen das Pierre-Robinson-Syndrom aus. Drei Symptome zählen zu den wichtigsten: zum einen besitzen die Patienten einen kleinen Unterkiefer und leiden an Mikrogenie sowie mandibulärer Retrognathie. Zum anderen ist ihre Zunge in den Rachen verlagert und behindert auf diese Weise zum Teil die Luftwege.

Vergesellschaftet ist dieses Phänomen oft mit Stridor oder einer U-förmigen Gaumenspalte, wie sie in bis zu 80 Prozent der Fälle vorliegt. In rund einem Viertel der Fälle liegt zusätzlich ein Herzfehler vor. Auch die Extremitäten der Patienten können von angeborenen Veränderungen betroffen sein, so beispielsweise von angeborenen Amputationen, Phänomenen wie dem Klumpfuß, Fehlstellungen wie der Hüftluxation oder Fusionen wie der Syndaktylie.

Die Augen der Betroffenen erkranken häufig an Strabismus oder Glaukomen und Mikrophthalmie. Eine geistige Behinderung liegt in etwas weniger als einem Viertel aller Fälle vor. Folgen der Missbildungen sind neben der Beeinträchtigung der Atmung durch ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom und Erstickungsanfälle, Ernährungsstörungen oder Störungen im Saug- und Schluckverhalten, die mit häufigem Verschlucken, Erbrechen und mangelnder Gewichtszunahme assoziiert sind.

Später stellen sich auch Sprechprobleme aufgrund der Gaumenspalte und der zurück verlagerten Zunge ein, die einen hypernasalen Stimmklang hervorrufen. Wachstumsstörungen im Mittelgesicht ruft der Druckmangel von Zunge auf Gaumen hervor. Zusätzlich können sich Ohr-Erkrankungen als Folge der Gaumenspalte einstellen. Auch Zahnfehlstellungen durch eine falsche Aussprache können entstehen und damit psychosoziale Probleme hervorrufen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Der Arzt hegt meist schon blickdiagnostisch einen ersten Verdacht auf das Pierre-Robinson-Syndrom. Der Nachweise der typischen Symptome kann beispielsweise mittels Bildgebungen erbracht werden. Auch humangenetische und augenärztliche Untersuchung finden im Rahmen der Diagnose statt, um das Syndrom differentialdiagnostisch vom Stickler-Syndroms abzugrenzen.

Bei einer frühen Diagnose mit frühen Therapieschritten ist die Prognose für die Patienten günstig. Vor allem die Schwere der organischen Fehler, die Korrigierbarkeit der rückverlagerten Zunge und der Grad der geistigen Retardierung bestimmen die Prognose im Einzelfall.

Komplikationen

Aufgrund des Pierre-Robin-Syndroms leiden die Patienten in den meisten Fällen an verschiedenen Fehlbildungen und Missbildungen, die dabei am ganzen Körper auftreten können. Eine kausale Behandlung dieser Erkrankung ist allerdings nicht möglich, sodass nur die Beschwerden und Symptome in einigen Fällen eingeschränkt werden können. Die Betroffenen leiden dabei an einer Gaumenspalte und möglicherweise an fehlenden Gliedmaßen.

Das Leben des Patienten wird aufgrund der Missbildungen deutlich eingeschränkt und erschwert, sodass die meisten Patienten in der Regel auch auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. Auch eine Beschränkung der Atmung kann durch das Pierre-Robin-Syndrom auftreten und die Lebensqualität weiterhin verringern. Nicht selten sind die Betroffenen auch geistig unterentwickelt und benötigen aus diesem Grund eine Betreuung.

Weiterhin kommt es zu Sprachbeschwerden und zu Störungen des Wachstums und der Entwicklung. Ebenso leiden die Patienten an Fehlstellungen der Zähne und an anderen ästhetischen Beschwerden im Gesicht oder im Mundraum. Bei der Behandlung kommt es nicht zu Komplikationen. Auch die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch das Pierre-Robin-Syndrom in der Regel nicht negativ beeinflusst. Allerdings können die Beschwerden nur teilweise eingeschränkt werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da es sich beim Pierre-Robin-Syndrom um eine angeborene Erkrankung handelt, kommt es nicht zu einer Selbstheilung und in der Regel zu einer Verschlechterung der Beschwerden und des allgemeinen Zustandes des Patienten. Aus diesem Grund ist eine Untersuchung bei einem Arzt immer zu empfehlen. Dadurch können auch weitere Komplikationen vermieden werden. Es ist allerdings nicht möglich, das Pierre-Robin-Syndrom ursächlich zu behandeln oder vollständig zu heilen. Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an verschiedenen Missbildungen oder an Beschwerden der Atmung leidet.

Es kann zu Ohnmachtsanfällen oder zu einer Schnappatmung kommen. Weiterhin weisen auch Herzbeschwerden auf diese Krankheit hin, weswegen der Patient an regelmäßigen Untersuchungen der inneren Organe teilnehmen sollte. Auch Sprachbeschwerden oder Fehlstellungen der Zähne können auf diese Erkrankung hindeuten. Die meisten Beschwerden können dabei so eingeschränkt werden, dass das Leben des Patienten deutlich erleichtert wird.

Die Feststellung des Pierre-Robin-Syndroms wird in der Regel schon direkt nach der Geburt von einem Allgemeinarzt durchgeführt. Bei der weiteren Behandlung ist jedoch die Hilfe anderer Fachärzte erforderlich. Ob es durch das Pierre-Robin-Syndrom zu einer geringeren Lebenserwartung des Patienten kommt, kann nicht allgemein vorhergesagt werden.

Behandlung & Therapie

Die Therapie des Pierre-Robinson-Syndroms kann ausschließlich symptomatisch erfolgen und ist damit von den Symptomen im Einzelfall abhängig. Vor allem eine lebensbedrohliche Atemwegsverlegung durch die Zunge muss frühzeitig vorgebeugt werden. Die Zunge darf im Schlaf außerdem nicht zurückfallen und so die Atemwege verschließen.

Rückenlagerungen von betroffenen Säuglingen sind zu vermeiden. Selten erfolgt eine Intubation oder ein operativer Eingriff wie ein Luftröhrenschnitt oder eine künstliche Fixierung der Zunge. Um die Essprobleme zu reduzieren und die Gewichtszunahme zu fördern, kann Sondenernährung oder eine Ernährung mittels Gaumenplatte und Fütterhilfen vorgenommen werden.

Innerhalb der ersten Wochen nach der Geburt muss permanent ein Monitoring der Vitalfunktionen stattfinden, das Atemaussetzer rechtzeitig erkennt. Die Mittelohrbelüftung wird überwacht, damit Ohrerkrankungen als Folgeerkrankungen vorgebeugt werden kann. In einer funktionskieferorthopädischen Behandlung kann der Unterkiefer der Patienten mittels Gaumenplatte korrigiert werden.

Idealerweise findet früh eine Sprachtherapie in der Logopädie statt, die die Sprachentwicklung der Kinder nach Padovan neurofunktionell fördert. Auch allgemeine Frühförderungen können bei einer verzögerten geistigen Entwicklung sinnvoll sein. Falls ein Herzfehler vorliegt, wird dieses Symptom frühzeitig soweit wie möglich durch chirurgische Eingriffe korrigiert. Bei psychosozialen Belastungen aufgrund des Syndroms ist supportive Behandlung bei einem Psychotherapeuten angezeigt.


Aussicht & Prognose

Der weitere Verlauf kann beim Pierre-Robin-Syndrom in der Regel nicht im Allgemeinen vorhergesagt oder prognostiziert werden, da es sich dabei um eine relativ unerforschte Krankheit und vor allem um ein Komplex aus vielen verschiedenen Fehlbildungen und Missbildungen handelt. Aus diesem Grund ist der weitere Verlauf bei dieser Erkrankung auch stark von der Ausprägung der Fehlbildungen abhängig. Da es sich beim Pierre-Robin-Syndrom jedoch um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, kann diese in der Regel nicht wieder vollständig geheilt werden. Aus diesem Grund sollte der Betroffene auch idealerweise bei einem Kinderwunsch zuerst eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, damit das Syndrom nicht bei den Kindern erneut auftreten kann.

Sollte die Krankheit nicht behandelt werden, so sind die Betroffenen in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt und können diesen in vielen Fällen gar nicht alleine meistern. Weiterhin sinkt auch häufig die Lebenserwartung des Betroffenen. Durch die Behandlung des Pierre-Robin-Syndroms können auch einige der Missbildungen gelindert werden, wodurch die Lebensqualität des Patienten erhöht wird. Eine vollständige Heilung ist dabei allerdings nicht möglich, sodass die Betroffenen ihr gesamtes Leben lang auf die Hilfe und auf die Unterstützung der eigenen Familie angewiesen sind. Eventuell ist auch trotz der Behandlung die Lebenserwartung des Betroffenen verringert.

Vorbeugung

Durch die Reduktion der weiter oben genannten, äußeren Faktoren wie Alkoholkonsum und Nikotinkonsum während der Schwangerschaft kann dem Syndrom zumindest bis zu einem gewissen Grad vorgebeugt werden. Da eine genetische Disposition vorliegt, ist diese Vorbeugung aber keine Ausschluss-Garantie.

Nachsorge

Den meisten Betroffenen stehen beim Pierre-Robin-Syndrom in den meisten Fällen gar keine oder nur sehr wenige Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Dabei sollte bei dieser Krankheit schon idealerweise sehr früh ein Arzt aufgesucht werden, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder zu einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden kommt. Eine frühe Diagnose wirkt sich dabei immer sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus, sodass Betroffene schon bei den ersten Symptomen einen Arzt aufsuchen sollten.

In der Regel ist beim Pierre-Robin-Syndrom ein operativer Eingriff notwendig, welcher die Beschwerden lindern kann. Dabei sollte sich der Betroffene nach dem Eingriff auf jeden Fall ausruhen und seinen Körper auch schonen. Von Anstrengungen und stressigen oder körperlichen Tätigkeiten ist abzusehen, um den Körper nicht unnötig zu belasten.

Ebenso sind die meisten Patienten bei dieser Krankheit auf die Hilfe und die Unterstützung durch die eigene Familie angewiesen. Kinder mit diesem Syndrom müssen in ihrer Entwicklung deutlich gefördert werden, damit es im Erwachsenenalter nicht zu Komplikationen kommt. Dabei wirken sich auch liebevolle und intensive Gespräche positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus und können die Entstehung von Depressionen oder anderen psychischen Verstimmungen verhindern.

Das können Sie selbst tun

Personen, die am Pierre-Robin-Syndrom leiden, haben verschiedene Beschwerden. Einige der Beschwerden müssen ärztlich behandelt werden, während andere selbstständig zu Hause gelindert werden können.

Im Allgemeinen hilft beim Pierre-Robin-Syndrom ein aktiver Lebensstil. Sportliche Betätigung kann dabei helfen, die körperlichen Symptome zu lindern und auch das Risiko für die Entstehung psychischer Erkrankungen zu senken. Diätetische Maßnahmen wirken den Veränderungen an den Augen entgegen und können in gewissem Umfang auch seelische Beschwerden lindern. Wichtig sind auch regelmäßige Gespräche mit dem Kind, welches frühzeitig über seine Erkrankung aufgeklärt werden sollte. Ein Besuch in einem Fachzentrum oder der Kontakt mit anderen betroffenen Kindern sind mögliche Schritte, die bei der Bewältigung des Pierre-Robin-Syndroms helfen können.

Trotz aller Maßnahmen sind die Betroffenen ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen. Die Eltern sollten zunächst mit dem Arzt über die Unterbringung in einem Pflegeheim sprechen oder Maßnahmen einleiten, damit das Kind Zuhause gepflegt werden kann. Hierzu zählen Umbauten im Haushalt ebenso wie die Erledigung versicherungstechnischer Aufgaben. Eltern von erkrankten Kindern müssen außerdem einen ambulanten Pflegedienst einschalten, der sich während ihrer Abwesenheit um das Kind kümmern kann. Während der Behandlung muss enge Rücksprache mit dem Ärzteteam gehalten werden.

Quellen

  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Sitzmann, F.C.: Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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