Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Cheilognathopalatoschisis)

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist eine relativ häufig auftretende Fehlbildung des Mundes. Der medizinische Ausdruck dafür ist Cheilognathopalatoschisis. Umgangssprachlich wurde die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte früher Hasenscharte genannt. Ungefähr 1500 Kinder kommen in Deutschland jährlich mit dieser Fehlbildung zu Welt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte?

Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wird im Normalfall unmittelbar bei der Geburt des Kindes durch anwesende Ärzte, Kinderkrankenschwestern oder Krankenpfleger festgestellt. Da hierbei im stationären Umfeld verschiedene Geburtshelfer anwesend sind, übernehmen diese die weitere medizinische Versorgung des Neugeborenen.
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Schließen sich die Gesichtsteile des Embryos während des Wachstums im Mutterleib nicht vollständig, kommt es zu sichtbaren Fehlbildungen an der Mundpartie. Meistens entsteht linksseitig eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.

Lippen, Kiefer und Gaumen sind gleichzeitig nicht komplett geschlossen. Es gibt aber auch Lippen-Kiefer-Spalte, Lippenspalten und Gaumenspalten. Alle Spaltenarten können auch beidseitig auftreten. Der umgangssprachliche Begriff Hasenscharte oder Wolfsscharte ist heute kaum noch zu hören, weil er diskriminierend sein kann.

Jungen sind häufiger Betroffen als Mädchen. Eine Spaltbildung kommt bei 1 von 500 Geburten vor. Damit zählt die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zu den häufigsten Fehlbildungen.

Ursachen

Die Ursache für eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist nicht bekannt. Medizinier vermuten, dass genetische Faktoren verantwortlich sind, denn bei 15 Prozent gibt es innerhalb der Familie weitere Fälle von Spaltbildung. Auch eine spezielle Erbmerkmalvariante ist bei Menschen mit einer Spaltbildung gehäuft zu erkennen.

Neben der Vererbung kommen aber auch andere Faktoren infrage. Möglicherweise können Vitaminmangel, Überdosierung von Vitamin A und Vitamin E, Sauerstoffmangel, Rauchen und Alkohol die Bildung einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte begünstigen.

Der Embryo entwickelt während der ersten Embryonalwochen das Gesicht. Wenn es während dieser Zeit zu negativen Einflüssen kommt, kann es passieren, dass sich das Gesicht nicht vollständig ausbildet. Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann die Folge sein. Lippen- oder Kieferspalten entstehen durch Störungen in der 5. bis 6. Schwangerschaftswoche. Gaumenspalten entstehen aufgrund von Störungen in der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist an der charakteristischen Fehlbildung der Mundpartie zu erkennen. Lippen, Oberkiefer, Gaumen, Mund und Nase weisen dabei schwere Deformierungen auf, wobei die eigentliche Spalte meist nur auf einer Seite auftritt. Die Missbildung ruft verschiedene Symptome wie Fehlstellungen der Zähne, Näseln und Sprachprobleme hervor.

Betroffene Kinder entwickeln infolge der Fehlbildung meist eine undeutliche Aussprache und nuscheln dann beispielsweise stark. Außerdem verursacht die Spalte Probleme bei der Nahrungsaufnahme, was zu Mangelerscheinungen führen kann. Selten entwickelt sich die Spalte innerhalb des Mundraums, woraus unter anderem Probleme beim Schlucken sowie Ohrenentzündungen resultieren können.

Die Spalte kann in Größe, Ausprägung und Lokalisation variieren. Sie tritt vorwiegend auf der linken Seite auf und kann von einfachen Hautdefekten der Oberlippe bis hin zu schwerwiegenden Missbildungen reichen. Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte tritt oft in Verbindung mit weiteren Missbildungen auf. Dies kann bei den Betroffenen zur Entstehung von seelischen Problemen beitragen.

Viele Menschen, die an einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte leiden, entwickeln im Lauf ihres Lebens Depressionen oder soziale Ängste. Die Missbildung selbst ist nicht lebensbedrohlich, allerdings können die seelischen Folgen die Lebensqualität stark reduzieren. Durch eine frühzeitige Therapie kann ein großer Teil der Deformierungen operativ entfernt werden.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose kann aufgrund der typischen Erscheinungsmerkmale einfach gestellt werden. Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist bei Neugeborenen auf den ersten Blick zu erkennen. Sind die Lippen nicht betroffen, muss der Arzt zur Diagnose den Mundraum des Babys untersuchen.

Ab der 18. Schwangerschaftswoche kann eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte schon durch eine Ultraschalluntersuchung erkannt werden.

Dank der sehr guten operativen Möglichkeiten sind sowohl ästhetische, als auch funktionale Ergebnisse zu erzielen. Der Verlauf bei einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist heute sehr positiv, denn die Spalte kann komplett verschlossen werden. Durch sprachtherapeutische Förderung gelingt es in 90 Prozent aller Fälle, eine Normalisierung herbeizuführen.

Komplikationen

Durch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte leiden die meisten Betroffenen an verschiedenen Fehlbildungen, die den Alltag des Betroffenen erheblich einschränken und die Lebensqualität deutlich verringern können. In der Regel sind von den Fehlbildungen vor allem der Gaumen und der Oberkiefer betroffen. Auch die Lippen können von dieser Beschwerde betroffen sein, sodass die Aufnahmen von Flüssigkeiten und Nahrung durch diese Beschwerde eingeschränkt ist.

Ebenso treten Fehlstellungen an den Zähnen und am Kiefer des Patienten auf, welche nicht selten zu Schmerzen und zu weiteren Einschränkungen im Alltag führen können. Der Mund und die Nase sind ebenso deformiert. Weiterhin führt die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte nicht selten zu Mobbing oder zu Hänseleien bei Kindern und kann damit auch psychische Beschwerden oder Depressionen auslösen. Darüber hinaus leiden die meisten Patienten durch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auch an Sprachstörungen und können mit anderen Menschen nicht ohne Weiteres kommunizieren.

Eine kausale Behandlung dieser Krankheit ist leider nicht möglich. Die Betroffenen sind damit auf verschiedene operative Eingriffe angewiesen, die die Beschwerden lindern und einschränken können. Komplikationen treten dabei in der Regel nicht auf. Auch die Lebenserwartung des Patienten wird durch diese Krankheit meistens nicht verringert. Nicht selten leiden auch die Eltern und die Angehörigen der Betroffenen an den Beschwerden der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wird im Normalfall unmittelbar bei der Geburt des Kindes durch anwesende Ärzte, Kinderkrankenschwestern oder Krankenpfleger festgestellt. Da hierbei im stationären Umfeld verschiedene Geburtshelfer anwesend sind, übernehmen diese die weitere medizinische Versorgung des Neugeborenen. Die Initiierung eines Arztbesuchs ist daher von Seiten der Eltern nicht notwendig. Findet eine Hausgeburt statt, wird die Erstversorgung des Kindes von der anwesenden Hebamme übernommen. Sie stellt bei Unregelmäßigkeiten den Kontakt zu einem Arzt her und leitet die notwendigen Schritte für eine Behandlung ein.

Findet in Ausnahmefällen eine plötzliche Geburt ohne die Anwesenheit von Pflegepersonal oder unter ärztlicher Betreuung statt, ist unmittelbar nach der Niederkunft ein Arzt aufzusuchen. Zu empfehlen ist das Rufen eines Rettungsdienstes, damit Mutter und Kind schnellstmöglich in ein Krankenhaus transportiert werden können. Die optischen Veränderungen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte sind bei der Niederkunft durch Sichtkontakt des Kindes sofort zu erkennen.

Damit es zu keinen weiteren Komplikationen kommt, sollte grundsätzlich unverzüglich eine medizinische Behandlung erfolgen. In schweren Fällen sind die Atemwege des Neugeborenen beeinträchtigt. In diesen Situationen müssen Erste Hilfe Maßnahmen ergriffen werden. Da die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bereits vor der Geburt diagnostiziert werden kann, sollte die werdende Mutter an allen angebotenen Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft teilnehmen.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann sich bis ins Erwachsenenalter hinziehen. Erstes Ziel ist es, das Erscheinungsbild des Kindes noch vor seiner Einschulung normalisiert zu haben. Außerdem sollen Sprechen, Kauen, Hören und Atmen normal möglich sein.

Mehrere Ärzte arbeiten bei der Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zusammen: Kinderärzte, Zahnärzte, Kieferorthopäden, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, HNO-Ärzte und Logopäden. In manchen Fällen ist auch die Behandlung durch einen Psychotherapeuten ratsam.

Erste Behandlungsmaßnahmen sind gleich in den ersten Tagen nach der Geburt einzuleiten. Um die Wachstumsrichtung des Gaumens, die Zungenlage und Zungenfunktion zu fördern und ein relativ normales Trinken zu ermöglichen, nimmt der Arzt als Erstes einen Abdruck des Kiefers. Damit wird eine Gaumenplatte angefertigt. Diese trennt den Nasenraum vom Mund. Weitere Fehlbildungen müssen ausgeschlossen werden.

Der Arzt untersucht Herz und Nieren. Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wird mit zunehmendem Alter chirurgisch korrigiert. Damit das Kind die Bildung der Laute und die Sprache richtig lernt, ist eine sprachtherapeutische Behandlung wichtig. Damit die Zähne richtiggestellt werden und sich richtig bilden, sind neben der richtigen Zahnpflege kieferorthopädische Maßnahmen notwendig. Eine psychologische Therapie hilft dem Kind und seinen Eltern, die psychischen Belastungen zu verarbeiten.

Der erste chirurgische Eingriff erfolgt im Alter von drei bi sechs Monaten. Dabei werden der weiche Gaumen, Oberkiefer und Lippen verschlossen. Der harte Gaumen wird im Alter von 12 bis 18 Monaten korrigiert. Bis zum Erwachsenenalter können dann noch weitere Operationen notwendig werden. Zum Beispiel: Nasenkorrekturen, Zahnstellungskorrekturen, Lippenkorrekturen und Korrekturen am weichen Gaumen.


Aussicht & Prognose

Die Fehlbildung im Bereich des Mundes oder des Kiefers kann bei den meisten Patienten dank der medizinischen Möglichkeiten gut behandelt werden. Dennoch richtet sich die Prognose nach dem Ausmaß der Gaumenspalte und dem Behandlungsbeginn. Findet die Geburt in einem stationären Umfeld statt, wird unmittelbar nach dem Geburtsvorgang eine Korrektur eingeleitet. Bei einer Niederkunft in einem Geburtshaus oder im häuslichen Bereich kann der Eingriff nur zeitverzögert nach einem Transport ins Krankenhaus vorgenommen werden. Dies führt häufig dazu, dass die Naht aufgrund der Zeitverzögerung des Eingriffs im weiteren Entwicklungsverlauf und Wachstumsprozess des Kindes stärker zu sehen bleibt.

Grundsätzlich kann die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte heutzutage so gut behandelt werden, dass kaum körperliche Beeinträchtigungen der Sprachgebung oder des Kauvorgangs vorhanden sind. Mit Funktionsstörungen ist daher langfristig nicht zu rechnen. Dennoch bleibt durch die Fehlbildung trotz aller Bemühungen ein optischer Makel durch den Korrektureingriff vorhanden.

Es können Folgebehandlungen in Anspruch genommen werden, die zu einer Verbesserung führen. Die Stärke der Auffälligkeiten bleibt dennoch individuell und kann zu einer starken emotionalen Belastung führen. Bei einem ungünstigen Krankheitsverlauf kommt es zu psychischen Folgeerkrankungen. Dieser Umstand ist bei der Stellung der Gesamtprognose zu berücksichtigen. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko, über die Lebenszeit häufiger an Entzündungen im Kopfbereich zu erkranken.

Vorbeugung

Einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann man nur bedingt vorbeugen. Das Risiko kann aber verringert werden, indem Frauen vor und während der Schwangerschaft Alkohol, Zigaretten, Sauerstoffmangel, Vitaminmangel, Mangelernährung, Vitamin-E-Überdosierung und Stress meiden.

Nachsorge

Durch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte erleiden Betroffene verschiedene Fehlbildungen, die sie im Alltag erheblich Einschränken und die Lebensqualität verringern. Dadurch leiden Betroffene an ihrem äußeren Erscheinungsbild. In den meisten Fällen wird das Leiden bereits im frühen Kindesalter operativ behandelt. Die Nachsorge in eigentlichen Sinne entfällt weitesgehend, sofern körperlich keine weiteren Beschwerden auftreten.

Vielmehr geht es darum, dauerhaft einen selbstbewussten Umgang mit der Erkrankung zu fördern. In schwerer wiegenden Fälle kann die Hilfe eines professionellen Psychologen unterstützend sein. Dies kann mitunter auch die Entstehung von starken Depressionen und andere psychische Erkrankungen verhindern und vielmehr dafür sorgen, mit der Einschränkung gut zu leben.

Das können Sie selbst tun

Bei der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bleibt häufig trotz einer guten und schnellen medizinischen Versorgung ein lebenslanger kosmetischer Makel erhalten. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen können durch den medizinischen Fortschritt sehr gut geheilt und behoben werden. Dennoch leiden viele Betroffene unter der dauerhaften optischen Veränderung.

Männer können sich häufig selbst im Alltag helfen, indem sie ihren Bartwuchs nutzen, um die Unregelmäßigkeit zu verdecken. Je nach den individuellen Gegebenheiten kann dadurch die Auffälligkeit nahezu vollständig abgedeckt werden. Umstehende Personen bemerken dadurch keinen Unterschied zu anderen Menschen und unangenehme Blicke oder Formulierungen werden vermieden. Bei Mädchen und Frauen besteht die Möglichkeit, mit kosmetischen Produkten eine Linderung der Naht an der Lippe zu erzielen.

Da die optischen Veränderungen einer Gaumenspalte dennoch mit dieser Methode nicht vollständig verschwinden, ist es hilfreich, einen selbstbewussten Umgang zu zeigen. Zur Stärkung der mentalen Kraft können Entspannungstechniken genutzt werden. Diese führen zu einem Abbau innerer Stressoren und stärken die Vitalität. Über Yoga oder Meditation wird der Fokus der Wahrnehmung auf andere Bereiche des Lebens sowie auf die eigenen Stärken gelegt. Viele Betroffene finden darüber hinaus einen Austausch mit anderen Erkrankten hilfreich. Erfahrungen und Erlebnisse werden miteinander besprochen. Zusätzlich können hilfreiche Tipps zum Umgang mit den Beschwerden im Alltag gegeben werden.

Quellen

  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
  • Stiefel, A., Geist, C., Harder, U.: Hebammenkunde: Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. Hippokrates, Stuttgart 2012
  • Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009

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