Realitätsverlust

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Realitätsverlust ist ein Symptom, das eine Vielzahl von organischen und psychischen Erkrankungen begleiten und in manchen Fällen Gründe nicht-pathologischer Natur aufweisen kann. Daher ist die Ermittlung der eigentlichen Ursache notwendig, um eine effektive Behandlung einleiten zu können.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Realitätsverlust?

Die Wahrnehmung von Ereignissen und Objekten ist derart gestört, dass Betroffene sich in einer Art individueller Parallelwelt wiederfinden.
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Der Begriff Realitätsverlust bezeichnet in medizinischer und psychologischer Hinsicht einen geistigen Zustand, in dem Betroffene ihre Situation nicht mehr so erfassen können, wie es den Tatsachen entspricht beziehungsweise wie die Mehrzahl ihrer Mitmenschen dies tun würde.

Die Wahrnehmung von Ereignissen und Objekten ist derart gestört, dass Betroffene sich in einer Art individueller Parallelwelt wiederfinden. Dabei kann es zu Wahnvorstellungen, Stimmen hören, maßloser Selbstüberschätzung oder zur Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten kommen. Im Extremfall kann ein Realitätsverlust dazu führen, dass Betroffene sich selbst oder andere gefährden.

Der Verlust der adäquaten Wirklichkeitswahrnehmung kann auf einzelne Dimensionen beschränkt bleiben, so zum Beispiel als zeitlicher Realitätsverlust. Bei diesem haben Betroffene kein Bewusstsein für ein zeitliches Kontinuum mehr.

Ursachen

Es gibt vielfältige mögliche Ursachen für einen Realitätsverlust, wobei diese sowohl psychischer als auch organischer Natur sein können. Sehr häufig werden Realitätsverluste mit Psychosen in Verbindung gebracht, doch es gibt noch eine Reihe weiterer möglicher Auslöser.

So kommt es beispielsweise bei diversen Persönlichkeitsstörungen, Depressionen und in besonderem Maße beim Krankheitsbild der Schizophrenie zu Realitätsverlusten. Psychiatrisch beziehungsweise neurologisch relevant ist das Symptom unter anderem bei Demenzerkrankungen und Schlaganfällen.

Des Weiteren zählen zu den organisch bedingten Ursachen Stoffwechselstörungen, Enzephalopathie, Hirnverletzungen (zum Beispiel Schädel-Hirn-Trauma), Kachexie (pathologischer Gewichtsverlust), allmähliches Verhungern und Dehydration (Flüssigkeitsmangel).

Auch weniger bekannte Ursachen wie dauerhafter Lichtentzug können ebenso zu Realitätsverlust führen wie traumatisierende Erlebnisse, Schock- und schwere Erschöpfungszustände.

Einen nicht geringen Teil der Ursachen machen zudem Alkohol- und Drogenmissbrauch aus. Bei dauerhaftem Alkoholabusus kann es beispielsweise zu einem schweren amnestischen Psychosyndrom (Korsakow-Syndrom) kommen. Der Missbrauch von Cannabis wiederum kann zu Psychosen und damit einhergehendem Realitätsverlust führen. Und schließlich kann in manchen Fällen auch die Einnahme von bestimmten Medikamenten eine verzerrte Realitätswahrnehmung bedingen.

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Krankheiten mit diesem Symptom

Diagnose & Verlauf

Da Realitätsverlust nur ein Symptom darstellt, wird sich die Diagnosefindung darauf konzentrieren, die zugrundeliegenden Ursachen festzustellen. Erst wenn organische Ursachen ausgeschlossen werden konnten, sollten psychische Erkrankungen in Erwägung gezogen werden.

Treten zum Beispiel im Zuge einer Psychose typische Symptome wie der Realitätsverlust ein, wird der behandelnde Arzt nach der Anamneseerhebung und einer allgemeinen Prüfung des Gesundheitszustands Blut- und Urinuntersuchungen vornehmen.

Dies geschieht um Drogenmissbrauch, Entzündungen oder Stoffwechselstörungen ausschließen zu können. Weitere neurologische Test können Aufschluss darüber geben, ob der Betroffene an Epilepsie oder Multiple Sklerose leidet – Krankheiten, bei denen es auch zu Psychosen kommen kann.

Lässt sich auf diesem Wege keine organische Ursache für den Realitätsverlust feststellen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dem psychotischen Vorfall eine psychische Störung zugrundeliegt. Schizophrenie stellt hierbei die häufigste Ursache für Psychosen dar.

Es können aber auch andere psychische Erkrankungen oder Störungen dahinterstehen, so zum Beispiel eine schwere Depression oder eine bipolare Störung, wobei in diesen Fällen von einer affektiven Psychose gesprochen wird. Daher ist die genaue Diagnose der ursächlichen psychischen Störung unabdingbar. Diese wird mittels psychologischer Testverfahren und durch einen Psychiater gestellt.

Komplikationen

Ein Realitätsverlust tritt fast immer im Zusammenhang mit einer Psychose und hat verschiedene Komplikationen. Ein Beispiel für das Entstehen eines Realitätsverlustes ist die Schizophrenie. Betroffene neigen dazu, vermehrt Drogen zu konsumieren. Zudem sind Betroffene häufig nikotinabhängig. Außerdem wird vermehrt ein aggressives Verhalten bei Schizophrenen beobachtet, so dass nicht nur die Verletzungsgefahr des Betroffenen, sondern auch des unmittelbaren Umfelds erhöht ist.

Daneben haben die meisten Patienten Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Antipsychotika, die bei Schizophrenien verordnet werden, haben charakteristische Nebenwirkungen wie Erhöhung des Blutzuckers, eine Gewichtszunahme und ein parkinsonähnliches Erscheinungsbild wie einer Muskelstarre (Rigor) und Muskelzittern (Tremor).

Allgemein werden psychisch Kranke von der Gesellschaft nicht akzeptiert, so dass diese sozial isoliert werden. Dies kann zu Depressionen führen. Auch eine Depression an sich kann den Bezug zur Realität verändern. Betroffene neigen dazu viel Alkohol oder auch Drogen zu konsumieren. Ein chronischer Alkoholabusus kann zu einer Schädigung der Leber führen. Dies führt über eine Fettleber zur Leberzirrhose, was in ein Leberkrebs enden kann.

Die Leberzirrhose begünstigt die Entstehung von Ödemen und Gerinnungsstörungen. Des Weiteren leiden Depressive meist unter Angst- und Zwangsstörungen, so dass diese sich nicht mehr vor die Tür trauen und die Symptomatik daurch verschlechtert wird. In den schlimmsten Fällen kommt es zu Gedanken an Suizid beim Betroffenen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

An einem partiellen Realitätsverlust leiden heute erschreckend viele Menschen. Der Grund ist, dass jeder Mensch durch Meinungen, Vorurteile oder falsche Sichtweisen seine eigene Realität erschafft. In diesem Fall kann kein Arzt den Betroffenen helfen. Möglicherweise kann aber ein Psychologe eine hilfreiche Adresse sein, vor allem wenn der Betroffene unter seinem Realitätsverlust leidet.

Neurotiker, Borderline-Patienten und Narzissten leiden an einer Persönlichkeitsstörung. In deren Folge kann es zu einem mehr oder minder schweren Realitätsverlust kommen. Dieser ist auch bei Schizophrenie oder einer Psychose anzunehmen. In vielen Fällen sind medikamentöse Therapien angezeigt.

In anderen Fällen kann ein zunehmender Realitätsverlust Anlass zu größter Sorge sein. Der Realitätsverlust kann durch langjährigen Alkoholismus eintreten. Ohne eine Entzugstherapie kann der Anschluss an die reale Welt kaum gelingen. Realitätsverluste können aber auch auf eine zunehmende Zerstörung der Gehirnzellen durch Schlaganfälle, Läsionen oder Plaques hinweisen. Ein zunehmender Realitätsverlust kann auf eine Demenz oder Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Hier ist der Arztbesuch unverzichtbar, weil der Patient fachgerecht behandelt werden muss.

Ein Realitätsverlust kann auch durch die Einnahme mancher Medikamente entstehen. Präparate wie Pramid, Pramipexol oder Oprymea sind dafür bekannt, dass es zu Verwirrtheit oder zunehmendem Realitätsverlust kommen kann. Hier ist der Arztbesuch unverzichtbar. Das Medikament muss gegebenenfalls gegen ein anderes ausgetauscht werden.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung eines Realitätsverlustes erfolgt entsprechend der Grunderkrankung beziehungsweise der Ursache. Tritt der Realitätsverlust beispielsweise als Begleiterscheinung von Dehydration auf, ist die Beseitigung des Flüssigkeitsmangels hinreichend. Ebenso verflüchtigt sich das Symptom relativ rasch, wenn ein dafür ursächliches Medikament abgesetzt wird.

In anderen Fällen, denen eine organische Erkrankung zugrundeliegt, kann eine medikamentöse Behandlung vonnöten sein. Dies betrifft beispielsweise Demenzerkrankungen, Schlaganfälle, Enzephalopathien und diverse entzündliche Erkrankungen, die das Nervensystem beziehungsweise das Gehirn angreifen können.

Auch bei psychischen Ursachen für Realitätsverlust können Medikamente zum Einsatz kommen. So hat sich bei der Behandlung von Psychosen insbesondere die Gabe von Neuroleptika bewährt. Diese zählen zur Standardtherapie für Schizophrenie-Erkrankte, wobei den Betroffenen unter Umständen zusätzlich angstlösende Medikamente verabreicht werden.

Die Einnahme der Psychopharmaka erstreckt sich hierbei über einen längeren Zeitraum, in manchen Fällen sind Patienten ihr Leben lang auf eine derartige Medikation angewiesen. Ähnliches gilt für alle weiteren psychischen Störungen und Erkrankungen. Bei Depression werden zur Linderung der Symptome Antidepressiva genutzt, bei anderen Störungen kann die Gabe von Stimmungsstabilisatoren hilfreich sein.

Liegt dem Realitätsverlust eine psychische Ursache zugrunde, ist in den meisten Fällen neben der medikamentösen auch eine Psychotherapie angezeigt. Insbesondere für Schizophrenie-Kranke empfehlen sich zudem eine Ergotherapie und soziotherapeutische Maßnahmen wie betreutes Wohnen und ein geschützter Arbeitsplatz.

Einer psychologischen Betreuung bedarf es auch, wenn die Symptomatik alkohol- oder drogeninduziert ist. Nicht selten steht in diesen Fällen ein Suchtverhalten im Vordergrund, das es zu therapieren und idealerweise zu überwinden gilt.

Aussicht & Prognose

Die Aussichten und Prognosen bei einem Realitätsverlust können nicht universell vorhergesagt werden. Sie hängen sehr stak vom psychischen und vom physischen Zustand der betroffenen Person ab und können sich verschieden stark entwickeln. Auch das persönliche Umfeld trägt relativ viel zur Entwicklung des Realitätsverlustes bei.

In den meisten Fällen wird die Behandlung durch einen Psychologen durchgeführt. Oft ist für die betroffenen Menschen kein gewöhnlicher Alltag mehr möglich, sodass sie auf fremde Hilfe angewiesen sind. In manchen Fällen ist der Realitätsverlust so stark, dass die betroffene Person sich selbst oder andere Menschen verletzen kann. In diesen Fällen werden sie in einer geschlossenen Anstalt behandelt. Bei der Behandlung werden auch Medikamente eingesetzt.

Oft führt der Missbrauch von Drogen zum Realitätsverlust, sodass hier der Körper dauerhaft geschädigt bleiben wird. Ob die Behandlung erfolgreich ist, hängt daher auch stark von der medizinischen Vorgeschichte des Betroffenen ab. Neben den psychischen Störungen klagen Patienten bei Realitätsverlust auch über Störungen des Stoffwechsels, Flüssigkeitsmangel und Schlafstörungen.

Oft sind auch traumatische Ergebnisse der Auslöser für den Realitätsverlust. Diese Ergebnisse werden bei einem Psychologen besprochen und ausgewertet. Ob die Behandlung allerdings zum Erfolg führt, kann nicht universell vorhergesagt werden.

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Vorbeugung

Manche Risikofaktoren für Realitätsverluste lassen sich – sofern nicht bereits eine Sucht vorliegt – relativ einfach vermeiden. Dies trifft insbesondere auf den Alkohol- und Drogenmissbrauch zu, der bestenfalls ganz zu unterlassen ist.

Auch übermäßiger Stress, zwischenmenschliche Konflikte und Lärmbelästigung sollten womöglich gemieden werden, um Erschöpfungszuständen vorzubeugen. Ein allgemein gesunder und ausgewogener Lebensstil kann ebenfalls dazu beitragen, dass das Risiko für psychische Belastungen und dadurch möglicherweise ausgelöste Realitätsverluste gesenkt wird.

Das können Sie selbst tun

Eine Methode zur Selbsthilfe ist beim Realitätsverlust kaum möglich. In den meisten Fällen muss bei diesem Symptom auf jeden Fall ein Psychologe aufgesucht werden, der die Krankheit behandelt. Nicht selten müssen daher Patienten auch in eine geschlossene Klinik eingewiesen werden.

Sollte der Realitätsverlust aufgrund von einer zu hohen Einnahme von Alkohol oder anderen Drogen stattfinden, so müssen diese Drogen auf jeden Fall sofort abgesetzt werden. Auch das Rauchen kann den Realitätsverlust fördern und sollte abgebrochen werden. In vielen Fällen ist es für den Patienten nicht möglich, die betroffene Droge abzusetzen. Hier können Selbsthilfegruppen hilfreich sein. In jedem Fall ist auch die Selbsteinweisung in eine psychiatrische Klinik möglich, um den Realitätsverlust zu behandeln.

Oft kommt der Realitätsverlust durch Stress zustande. Daher sollten alle möglichen Situationen vermieden werden, in welchen Stress oder Konflikte aufkommen können. Dies schränkt den Lebensalltag zwar ein, hilft allerdings enorm gegen das Symptom. Sollte der Realitätsverlust aufgrund von Medikamenten aufkommen, sollten diese abgesetzt oder durch andere Medikamente ersetzt werden. Vor allem Freunde und Familie müssen auf den Patienten achten und ihn gegebenenfalls zu einer Behandlung zwingen.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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