Ziliopathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Unter dem Begriff Ziliopathie werden verschiedene genetisch bedingte Erkrankungen zusammengefasst, die eine Fehlfunktion der Zilien oder der sie tragenden Zellen auslösen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Ziliopathie?

Die Symptome, Beschwerden und Anzeichen einer Ziliopathie sind nicht einheitlich, da die Ziliopathie kein geschlossenes Krankheitsbild darstellt, sondern lediglich ein Überbegriff für verschiedene erblich bedingte Erkrankungen der Zilien ist.
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Die Zilien (auch Kinozilien genannt) sind cytoplasmahaltige Ausstülpungen der Zelle. Sie sind bis zu 10 µm lang und bis zu 0,25 µm. Die Zilien sind frei beweglich und dienen dem Transport von Flüssigkeits- und Schleimfilmen. Die Kinozilien schlagen gleichmäßig hintereinander, was zu einem gleichmäßigen Flimmerstrom führt.

Hierdurch ist der Abtransport der Flüssigkeit oder des Schleims gewährleistet. Bei den verschiedenen Erkrankungen, die als Ziliopathien zusammengefasst sind, sind die Zilien oder die sie tragenden Zellen geschädigt, wodurch sie ihre Aufgaben nicht mehr in ausreichendem Umfang erfüllen können.

Ursachen

Die Ziliopathien sind genetisch bedingte Erkrankungen. Eine Vielzahl an Erberkrankungen kann mittlerweile den Ziliopathien zugeordnet werden; bei einigen ist der abschließende Beweis noch nicht erbracht worden. Eine Ziliopathie ist also vererbbar.

Die einzelnen Ziliopathien unterscheiden sich erheblich voneinander, da die Zilien an vielen verschiedenen Stellen des menschlichen Körpers lokalisiert sind und dort verschiedene Aufgaben erfüllen. Dies führt dazu, dass die Symptomatik und Diagnostik der Ziliopathien nicht einheitlich ist, sondern ein erheblicher Unterschied zwischen den einzelnen Erkrankungen besteht.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome, Beschwerden und Anzeichen einer Ziliopathie sind nicht einheitlich, da die Ziliopathie kein geschlossenes Krankheitsbild darstellt, sondern lediglich ein Überbegriff für verschiedene erblich bedingte Erkrankungen der Zilien ist. Eine einheitliche Diagnostik ist aus diesem Grund nicht möglich. Zu den Ziliopathien zählen verschiedenste Erkrankungen mit teilweise sehr unterschiedlicher Symptomatik:

Im Folgenden werden exemplarisch die Symptomatik und Diagnostik beim Kartagener-Syndrom und beim Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom (LMBBS) vorgestellt.

Das Kartagener-Syndrom, auch primäre Ziliendyskinesie genannt, gehört zu den Ziliopthien. Bei diesem Syndrom liegt eine Funktionsstörung der zilientragenden Zellen vor, vor allem des respiratorischen Flimmerepithels. Der Bewegungsablauf der Zilien ist gestört, weshalb Sekrete nicht oder nicht ausreichend abtransportiert werden können.

Hieraus ergibt sich, dass der Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien (mukoziliäre Clearance), der vom respiratorischen Flimmerepithel getragen wird, ist bei diesem Syndrom stark beeinträchtigt, was auf die Funktionsstörung der Zilien zurückzuführen ist. Das Kartagener-Syndrom wird zumeist autosomal-rezessiv vererbt.

Es sind alle zilienbesetzten Zellen des Körpers betroffen, das heißt neben dem respiratorischen Flimmerepithel sind auch Zellen der Ohrtrompete (Tuba auditiva) und der Nasennebenhöhlen betroffen. Der Schwerpunkt der Symptomatik liegt jedoch im Bereich der Bronchien, was darauf zurückzuführen ist, dass dort die meisten zilienbesetzten Zellen zu finden sind.

Bei etwa 50 Prozent der vom Katagener-Syndrom betroffenen Patienten kommt es während der Embryonalphase zu einer Lageanomalie der inneren Organe in Form eines situs invertus, einer spiegelbildlichen Anordnung der Organe und Gefäße. Bei betroffenen Männern besteht zumeist eine Sterilität aufgrund der gestörten Dyskinesie der Spermien. Bei Frauen besteht meistens eine Sterilität aufgrund der Dyskinesie der Zilien im Bereich des Eileiters.

Die meisten Symptome treten im Bereich der Atemwege auf. Im Zuge der gestörten Selbstreinigung der Bronchien kommt es häufig zu Obstruktionen und Infektionen der Bronchien. Die Bronchitiden sind zumeist rezidivierend und schlecht therapierbar. Desweiteren treten häufige rezidivierende und schlecht therapierbare Rhinitis, Sinusitisn und Mittelohrentzündungen (otitis media).

Im Verlauf der Erkrankung kommt es häufig zu einer Bronchiektase, einer irreversiblen Ausweitung des Bronchus. Bei Neugeborenen kann ein Atemnotsyndrom auftreten. Auch ein Hydrozephalus, eine Ausweitung der inneren beziehungsweisde äußeren Liquorräume, kann bei Neugeborenen auftreten.

Das Kartagener-Syndrom fällt häufig durch eine erhöhte Infektanfälligkeit im Kindesalter auf. Liegt ein situs invertus neben einer erhöhten Infektanfälligkeit vor, ist vom Vorliegen des Kartagener-Syndroms auszugehen. Fehlt der situs invertus ist die Diagnostik nur schwer möglich. Der Nachweis des Vorliegens des Kartagener-Syndroms erfolgt durch eine elektronenmikroskopische Untersuchung von Bürstenabstrichen oder Biopsien der betreffenden Schleimhäute erbracht.

Eine ursächliche Therapie ist nicht möglich. Die Behandlung erfolgt symptomatisch. Bei früher Diagnose und ausreichender Therapie ist den Betroffenen ein verhältnismäßig normales Leben möglich.

Auch das Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom zählt zu den Ziliopathien. Es zeichnet sich durch verschiedenste Mutationen und Fehlbildungen aus, die durch Mutationen auf verschiedenen Chromosomen beziehungsweise Genorten ausgelöst werden. Die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Es kann abhängig von den betroffenen Genen zu einer Vielzahl von Symptomen kommen.

Diese sind nicht bei jedem Patienten gleich stark ausgeprägt. Zu diesen Symptomen zählen: Adipositas; arterielle Hypertonie; Diabetes mellitus; Minderwuchs; Muskelhypotonie; Fehlbildungen der Leber, der Eierstöcke und der Gallenwege; Hypogonadismus; Nierenhypoplasie; Nierenversagen; Pyelonephritis; motorische Störungen; geistige Behinderung; Retinitis pigmentosa; Blindheit; Anosmie; Schwerhörigkeit; Hemeralopie; ein kurzer Hals; auffällige Lidwinkel; Polydaktylie und Syndaktylie.

Die Diagnostik des LMBBS ist schwierig, da die Symptome auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen auftreten. Wie beim Kartagener-Syndrom erfolgt die endgültige Diagnostik über einen molekularbiologischen Test. Eine ursächliche Therapie existiert nicht; die Behandlung erfolgt symptomatisch.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Diagnostik und Krankheitsverlauf sind bei den verschiedenen Formen der Ziliopathien nicht einheitlich. Sowohl Symptomatik, als auch Diagnostik und Prognose unterschieden sich teilweise erheblich voneinander. Den verschiedenen Ziliopathien gemeinsam ist, dass die Diagnose über molekularbiologische Tests abgesichert werden kann.

Komplikationen

In der Regel leiden die Betroffenen bei einer Ziliopathie an einer Reihe verschiedener Syndrome und damit an unterschiedlichen Komplikationen. Diese hängen auch sehr stark von der genauen Ausprägung der Erkrankung ab, sodass hierbei in der Regel keine allgemeine Voraussage möglich ist. In erster Linie führt die Ziliopathie zu einem Infekt an den Atemwegen.

Es kommt dabei zu Atembeschwerden und möglicherweise auch zu einer Kurzatmigkeit. Die Lebensqualität des Betroffenen wird deutlich eingeschränkt, sodass das Ausführen von anstrengenden Tätigkeiten oder von sportlichen Betätigungen nicht mehr ohne Weiteres möglich ist. Auch die kindliche Entwicklung wird durch die Krankheit damit verzögert.

In vielen Fällen leiden die Betroffenen auch sehr oft an Entzündungen in der Nase oder an den Atemwegen. Auch die Fähigkeit der Fortpflanzung ist bei den meisten Betroffenen nicht vorhanden, sodass diese auch an psychischen Beschwerden oder an Depressionen leiden.

Bei der Behandlung der Ziliopathie treten keine besonderen Komplikationen auf. Eine vollständige Heilung ist allerdings nicht möglich, sodass die Betroffenen in ihrem Leben in der Regel immer auf die Einnahme von Antibiotika und anderen Medikamenten angewiesen sind.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Liegt innerhalb der Familie eine diagnostizierte Erbkrankheit vor, sollte bereits vor der Planung eines möglichen Nachwuchses die Zusammenarbeit mit einem Arzt gesucht werden. Die möglichen Eltern sollten sich im Vorfeld über Risiken oder wahrscheinliche Entwicklungen umfassend informieren. Während der Schwangerschaft sollte ebenfalls eine enge Zusammenarbeit mit einem Arzt stattfinden. Die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen sind in Anspruch zu nehmen, um auf mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen schnell und umfassend reagieren zu können.

Da bei Erbkrankheiten keine ursächlichen Therapien angewendet werden können, sind Frühförderungen besonders wichtig. Liegt keine Kenntnis über eine familiär bedingte genetische Mutation vor, werden häufig erst Auffälligkeiten unmittelbar nach der Geburt von Mitgliedern des Geburtshelferteams wahrgenommen. In einem routinierten Prozess werden notwendige Untersuchungen durchgeführt, um eine Diagnosestellung zu erzielen. Spätestens im Entwicklungsverlauf des Kindes zeigen sich im Vergleich zu Gleichaltrigen Unregelmäßigkeiten.

Bei optischen Veränderungen, Störungen des Wachstums sowie geistigen Auffälligkeiten ist ein Arzt aufzusuchen. Funktionsstörungen, Besonderheiten der Reaktion sowie Unregelmäßigkeiten der Bewegungsabläufe sind von einem Arzt untersuchen zu lassen. Die Ziliopathie ist ein Überbegriff für verschiedene Störungen. Jede von ihnen zeigt individuelle Ausprägungen beim Patienten, so dass bereits bei dem Verdacht einer vorhandenen gesundheitlichen Unstimmigkeit ein Kontrollbesuch bei einem Arzt initiiert werden sollte.

Behandlung & Therapie

Ursächliche Therapien stehen nicht zur Verfügung, die Erkrankungen können nicht geheilt sondern lediglich durch symptomatische Therapie gelindert werden. Auch die Therapien sind bei den verschiedenen Ziliopathien unterschiedlich.


Vorbeugung

Es handelt sich um genetisch bedingte Erkrankungen. Eine Vorbeugung ist demnach nicht möglich.

Nachsorge

Die Nachsorge einer Ziliopathie orientiert sich in erster Linie an der Art und Schwere der Erkrankung. Krankheiten wie das Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom oder das Joubert-Syndrom sind nicht heilbar. Die Nachsorge konzentriert sich darauf, die behandelbaren Symptome zu überprüfen und die Medikamente neu einzustellen. Da die Patienten oft chronisch krank sind, kommt es zu regelmäßigen Nachsorge-Untersuchungen.

Auskurierte Beschwerden wie etwa die chronischen Schmerzen oder die Vergiftungserscheinungen müssen medikamentös behandelt werden. Liegt der Ziliopathie ein behandelbares Leiden wie beispielsweise eine Zystenniere zugrunde, hängt die Nachsorge von dem Verlauf der Erkrankung und dem Erfolg der Therapie ab. Bei einem positiven Verlauf kann die Niere transplantiert werden.

Nach einer solchen Nierentransplantation erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Transplantationszentrum und dem Hausarzt bzw. dem Facharzt eine Untersuchung in wöchentlichen Abständen. Später können die Abstände auf viermal jährlich reduziert werden. Teil der Nachsorge ist die Bestimmung der Blutwerte, radiologische Untersuchungen wie etwa CT oder MRT sowie weitere, von der Grunderkrankung abhängig Untersuchungen.

Begleitend dazu wird immer auch der Allgemeinzustand des Patienten überprüft. Liegen der Ziliopathie andere Erkrankungen zugrunde, müssen die jeweils zuständigen Fachärzte konsultiert werden. In jedem Fall ist ein Facharzt für Nierenerkrankungen sowie der Hausarzt Teil des Ärzteteams.

Das können Sie selbst tun

Ziliopathien können verschiedenste Formen annehmen und müssen immer individuell behandelt werden. Allgemeine Maßnahmen, welche die Genesung fördern können, sind Krankengymnastik und eine Umstellung der Lebensgewohnheiten. Formen wie das Joubert-Syndrom oder das Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom werden immer symptomatisch behandelt, wobei der Patient sich gesund ernähren, ausreichend bewegen, insgesamt aber schonen sollte. Dadurch lassen sich die Beschwerden zumindest lindern.

Wurden Medikamente verordnet, so muss sorgfältig auf etwaige Neben- und Wechselwirkungen geachtet werden, da diese sich negativ auf die Entwicklung weiterer Ziliopathien auswirken können. Sollten Komplikationen auftreten, muss der Arzt darüber informiert werden. Die Patienten sollten ein Beschwerdetagebuch anlegen und darin alle auffälligen Symptome und Beschwerden ausführlich notieren.

Welche Maßnahmen bei einer Ziliopathie im Detail sinnvoll sind, muss in jedem Fall der zuständige Mediziner entscheiden. Aufgrund der diversen Formen des Leidens ist immer ein individueller Behandlungsplan notwendig. Betroffene wenden sich am besten an den Hausarzt, der weitere Tipps geben kann, wie sich die medizinische Behandlung am besten unterstützen lässt. Weiterhin kann er Kontakte zu Selbsthilfegruppen herstellen, die den Patienten weitere Maßnahmen mit an die Hand geben.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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