Kongenitale dyserythropoetische Anämie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei den kongenitalen dyserythropoetischen Anämien (CDA) handelt es sich um sehr seltene angeborene Erkrankungen, die durch eine ineffektive Blutbildung gekennzeichnet sind. Die ersten Symptome der Anämie treten bereits im Kindesalter auf. Durch verschiedene Therapiemaßnahmen können diese Erkrankungen recht gut behandelt werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine kongenitale dyserythropoetische Anämie?

Zur Diagnostik der CDA gehören Charakterisierung der Erythrozyten sowie Laboruntersuchungen verschiedener Blutparameter. Typisch sind niedrige Hämoglobin- und Haptoglobinwerte sowie erhöhte Werte für Bilirubin und Ferritin.
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Kongenitale dyserythropoetische Anämien gehören zu einer Gruppe seltener Blutkrankheiten, die durch unterschiedliche Genmutationen hervorgerufen werden. Im Rahmen dieser Mutationen werden zumeist unreife und kranke Erythrozyten gebildet, die einer verstärkten Hämolyse unterliegen.

Zum Ausgleich dieser Hämolyse wird die Blutbildung noch weiter angekurbelt. Trotzdem kann die Anämie dadurch nicht überwunden werden. Normale Erythrozyten reifen im Knochenmark und gelangen danach in den Blutkreislauf, wo sie eine durchschnittliche Lebensdauer von circa 120 Tagen haben. Bei der CDA gelingt jedoch die Reifung der Erythrozyten im Knochenmark nicht.

Vielfach sterben die unreifen Erythrozyten deshalb schon dort ab. Derzeit werden vier Unterformen der CDA unterschieden, denen unterschiedliche Mutationen zugrunde liegen. Dabei handelt es sich um die Formen Typ I CDAN1 bis Typ IV CDAN4. Die Typen I und II kommen am häufigsten vor, wobei der Typus II noch überwiegt.

Für die Wahl der Therapie ist die Unterscheidung der CDA-Formen jedoch wichtig. Derzeit wird von einer sehr geringen Häufigkeit der Erkrankung ausgegangen. In Europa sollen zwei bis drei Personen pro Million an einer CDA leiden.

Ursachen

Alle Formen von CDA sind erblich bedingt. Je nach Schwere der Erkrankung beginnen die ersten Symptome oft bereits kurz nach der Geburt. Manchmal treten sie erst im Erwachsenenalter auf. Bei den meisten Formen der CDA liegt ein autosomal-rezessiver Erbgang vor. Das bedeutet, dass die Erkrankung nicht unmittelbar von einer Generation auf die andere übertragen werden kann.

Erst wenn beide Elternteile jeweils ein defektes Gen auf die Nachkommen übertragen, kommt es zur Erkrankung. Da die mutierten Gene jedoch sehr selten auftreten, kommt eine CDA hauptsächlich bei Kindern verwandter Elternpaare vor. Beim Typ I CDAN1 handelt es sich um eine Mutation des CDAN1-Gens, welches das Protein Codanin-1 kodiert.

Bei Veränderung dieses Proteins kommt es bei den noch unreifen Erythrozyten zwischen den Kernen zur Ausbildung einer Chromatinbrücke. Das sind kleine Eiweiß- und DNA-Fäden, welche die Kerne zusammenhalten. Gleichzeitig sind die Kernmembranen durchlässig für Substanzen aus dem Zellinneren. Als Folge entwickelt sich ein gestörter Kernstoffwechsel. Beim häufigeren Typ II CDAN2 ist ein Gen auf Chromosom 20 von einer Mutation betroffen.

Hier bilden sich große unreife Erythrozyten mit mehreren Kernen. Diese Mehrkernigkeit verursacht Fehler bei der Zellteilung. In den Zellwänden der roten Blutkörperchen kommt es zu Stoffwechselstörungen. Der Typ III CDAN3 wird durch eine autosomal-dominante Mutation im KIF23-Gen auf Chromosom 15 und der Typ IV CDAN4 durch eine Mutation im KLF1-Gen auf Chromosom 19 verursacht.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Alle CDA-Formen zeichnen sich durch drei Symptomenkomplexe aus. Dazu zählen hämolytische Anämie, Symptome einer gesteigerten Blutbildung und Zeichen einer Eisenüberladung. Die hämolytische Anämie kommt durch den verstärkten Abbau kranker Erythrozyten zustande.

Sie äußert sich durch rasche Ermüdbarkeit, zunehmende Blässe, Kopfschmerzen, Atembeschwerden bei körperlicher Anstrengung, Gelbsucht, Bildung von Gallensteinen sowie Milzvergrößerung. Die Blutarmut kann sich sogar im Rahmen einer aplastischen Krise noch verstärken. Dabei wird die Neubildung von Erythrozyten im Knochenmark durch den Einfluss des Parvovirus B19 (Erreger der Ringelröteln) zeitweise völlig unterbrochen.

Es findet nur noch Blutabbau statt. Im Allgemeinen provoziert die Anämie jedoch eine verstärkte Bildung von Erythrozyten im Knochenmark. Da die unreifen Erythrozyten aber schnell wieder abgebaut werden, kommt es zur weiteren Verstärkung dieses Prozesses. Die ungewöhnlich starke Neubildung von Erythrozyten im Knochenmark erfordert mehr Platz und führt daher zur Ausweitung der Knochen.

Schließlich können auch noch andere Organe wie die Milz zur Blutbildung herangezogen werden, sodass es zu deren Vergrößerung kommt. Die Eisenüberladung, welche den dritten Symptomenkomplex hervorruft, wird durch die verstärkte Blutbildungsaktivität im Knochenmark verursacht.

Die ineffektive Bildung von unreifen Erythrozyten bindet verstärkt Eisen, das sich nach Abbau de Blutkörperchen in den verschiedensten Organen ablagert. Es kommt zu Herzmuskelschwäche, Leberfunktionsstörungen, Schilddrüsenunterfunktion und weiteren Stoffwechselstörungen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnostik der CDA gehören Charakterisierung der Erythrozyten sowie Laboruntersuchungen verschiedener Blutparameter. Typisch sind niedrige Hämoglobin- und Haptoglobinwerte sowie erhöhte Werte für Bilirubin und Ferritin.

Komplikationen

In der Regel kommt es bei dieser Krankheit zu einer stark verringerten Blutbildung des Patienten. Diese hat damit einen negativen Einfluss auf den gesamten Organismus des Patienten und kann dessen Belastbarkeit stark verringern. Ebenfalls tritt Müdigkeit auf und die Betroffenen wirken blass oder leiden an Kopfschmerzen.

Auch Atembeschwerden oder eine Gelbsucht können dabei auftreten und die Milz kann sich vergrößern. Dadurch treten nicht selten Schmerzen auf. Sollten diese auch nachts in Form von Ruheschmerzen auftreten, so können die Patienten weiterhin an Schlafbeschwerden leiden. Ebenso können auch andere Organe durch die verringerte Blutbildung vergrößert werden, sodass es zu Schäden an den Organen oder zu anderen Beschwerden kommt.

Gegebenenfalls ist der Herzmuskel geschwächt und es treten Störungen an der Leber oder an der Schilddrüse auf. Die Lebensqualität des Patienten wird durch diese Krankheit deutlich eingeschränkt. Die Behandlung führt in der Regel nicht zu Komplikationen. Mit Hilfe von Transfusionen kann der Blutverlust ausgeglichen werden. Eventuell muss auch die Milz entfernt werden. Die Lebenserwartung wird bei einer frühzeitigen und richtigen Behandlung nicht verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eltern, die bei ihrem Kind eine rasche Ermüdbarkeit und Erschöpfung bemerken, möglicherweise mit Kopfschmerzen, Atembeschwerden und anderen Symptomen verbunden, sollten den Kinderarzt einschalten. Die kongenitale dyserythropetische Anämie muss frühzeitig behandelt werden, um gesundheitliche Komplikationen und Langzeitfolgen auszuschließen. Deshalb sollte schon bei ersten Anzeichen einer ernsten Erkrankung ärztlicher Rat eingeholt werden. Wenn das Kind bereits Anzeichen einer Gelbsucht oder von Gallensteinen zeigt, sollten die Eltern es in ein Krankenhaus bringen.

Bei Anzeichen einer aplastischen Krise, die sich durch Blässe, Abgeschlagenheit und Schwindel äußert, muss der Notarzt gerufen werden. Die CDA ist erblich bedingt und kann anhand eines Gentests festgestellt werden. Liegen Fälle der Erkrankung in der Familie vor, sollte frühzeitig ein Test veranlasst werden. So kann eine CDA rechtzeitig erkannt und behandelt werden, bevor sich schwerwiegende Komplikationen einstellen. Die Eltern können den Kinderarzt oder einen Internisten aufsuchen. Die weitere Behandlung findet in aller Regel in einem Fachzentrum für erbliche Erkrankungen statt.

Behandlung & Therapie

Die Therapie einer CDA umfasst regelmäßige Bluttransfusionen, die Einnahme von blutbildenden Substanzen, gegebenenfalls die Entfernung der Milz, Stammzelltransplantationen und die Einnahme von Medikamenten zur Entfernung von überschüssigem Eisen. Die Gabe von blutbildenden Substanzen wie Alpha-Interferon ist bei der CDA vom Typ I CDAN1 geeignet.

Durch die Entfernung der Milz kann die Lebensdauer der Erythrozyten verlängert werden. Aufgrund der möglichen Komplikationen wird diese Operation jedoch nur in sehr schweren Fällen durchgeführt. Bei sehr schweren Verläufen kann auch eine Stammzelltransplantation in Betracht gezogen werden. Dazu müssen jedoch die Blutmerkmale von Spender und Empfänger im Wesentlichen übereinstimmen.

Medikamente gegen die Eisenüberladung müssen Patienten mit CDA immer bekommen. Eine Eisenüberladung entsteht sowohl bei der verstärkten Bildung von Erythrozyten als auch als Folge der häufigen Bluttransfusionen. Als Medikamente zur Entfernung überschüssigen Eisens werden sogenannte Eisenchelatoren verwendet.


Aussicht & Prognose

Die angeborene kongenitale dyserythropoetische Anämie (CDA) tritt sehr selten auf. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung sind für die meisten Neugeborenen mit kongenitaler dyserythropoetischer Anämie die Aussichten recht gut, eine normale Lebenserwartung zu haben. Wichtig ist aber, dass die Betroffenen und deren Angehörige optimal mitwirken. Eine gestörte Blutbildung hat Folgen, die ein Leben lang anhalten.

Die Behandlung sollte nach Möglichkeit von einem Team von spezialisierten Fachärzten vorgenommen werden. Die Zusammenarbeit von Hausärzten oder Kinderärzten mit Fachärzten für Blutkrankheiten verbessert die statistischen Chancen der Betroffenen, ein halbwegs normales Leben zu haben. Problematisch ist jedoch, dass auch Fachärzte keine Voraussagen über den Verlauf der kongenitalen dyserythropoetischen Anämie (CDA) machen können. Auf das Überleben mit einer Bluterkrankung können viele Faktoren einwirken.

Heilbar wäre die CDA lediglich durch eine Stammzelltransplantation‎. Mehrheitlich geht es den Medizinern allerdings darum, die Symptome und Folgeerscheinungen der kongenitalen dyserythropoetischen Anämie zu mildern. Unter optimaler Mitwirkung von Patient und Familie kann zumindest in Ländern mit hohem medizinischem Standard eine hohe Lebenserwartung angenommen werden. In anderen Ländern, wo solche Bedingungen nicht gegeben sind, sieht die Überlebens-Prognose schlechter aus. Anzumerken ist jedoch, dass eine positive Prognose sich auch hierzulande als trügerisch erweisen kann. Die CDA kann durch viele Umstände einen ungünstigen Verlauf nehmen.

Vorbeugung

Eine Vorbeugung vor einer CDA ist nicht möglich, da sie als erblich bedingte Krankheit sehr selten vorkommt. Die entsprechenden Mutationen werden zudem meist auch autosomal-rezessiv vererbt. Daher besteht nur ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankung bei Nachkommen verwandter Personen.

Nachsorge

Bei dieser Krankheit sind die Maßnahmen und Möglichkeiten einer Nachsorge in den meisten Fällen deutlich eingeschränkt. In erster Linie sollte die Krankheit schon früh von einem Arzt erkannt werden, damit es nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden kommt. Im Falle eines Kinderwunsches kann auch eine genetische Beratung sinnvoll sein, um das erneute Auftreten der Krankheit bei den Kindern zu verhindern.

Eine Selbstheilung wird in der Regel nicht eintreten. Die Behandlung selbst erfolgt durch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten, wobei hier der Betroffene auf eine regelmäßige Einnahme und auch auf eine richtige Dosierung der Medikamente achten sollte. Bei Unklarheiten oder bei Fragen ist immer zuerst ein Arzt zu konsultieren.

Ebenso sind regelmäßige Bluttransfusionen notwendig, sodass viele Patienten in ihrem Leben aufgrund der Krankheit auf die Hilfe und Pflege durch die Familie, Freunde und Bekannte angewiesen sind. Dabei wirken sich auch liebevolle Gespräche positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus, da dadurch in vielen Fällen Depressionen und andere psychische Verstimmungen verhindert werden können. Eventuell verringert die Krankheit auch die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Patienten mit Kongenitaler dyserythropoetischer Anämie sind in der Lage, durch bestimmte Maßnahmen ihre Lebensqualität zu steigern und zum Erfolg der Therapie beizutragen. Die Betroffenen leiden unter einer verringerten Leistungsfähigkeit und ermüden rasch. Dementsprechend verzichten die Patienten darauf, sich psychisch zu überlasten. Stattdessen wählen die erkrankten Personen gemeinsam mit dem Arzt und Physiotherapeuten Sportarten und Übungen aus, die der Leistungsfähigkeit der Erkrankten angemessen sind. Somit erfolgt keine Überlastung und die Patienten trainieren dennoch Muskulatur und Kondition.

Die Betroffenen finden sich regelmäßig beim Arzt zu diversen Untersuchungen und therapeutischen Maßnahmen ein. Unter Umständen sind Aufenthalte im Krankenhaus vonnöten, etwa wenn die Milz infolge einer Vergrößerung zu entfernen ist. Das Pflegepersonal und die Ärzte geben wichtige Anweisungen zum Ruheverhalten, der Einnahme von Medikamenten sowie der Ernährung, die vom Patienten zu befolgen sind.

Bei einer adäquaten Therapie der Erkrankung sind die Patienten in der Lage, am sozialen Leben teilzuhaben und eine normale Schule zu besuchen. Allerdings ist es möglich, dass die betroffenen Kinder nicht am Sportunterricht teilnehmen. Für eine angemessene Betreuung der Patienten ist es wichtig, dass das soziale Umfeld über das Bestehen der Krankheit informiert ist und bei medizinischen Komplikationen einschreitet.

Quellen

  • Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Speer, C.P., Gahr, M. (Hrsg.): Pädiatrie. Springer, Berlin 2013

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