Anticholinergika

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Anticholinergika werden aufgrund ihrer Wirkung im parasympathischen Nervensystem in der Medizin vielfältig eingesetzt. Die Nebenwirkungen sind allerdings nicht zu unterschätzen.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Anticholinergika?

Anticholinergika bewirken zum Beispiel eine Verminderung der Darmaktivität.

Anticholinergika sind Stoffe, die den Hauptüberträgerstoff Acetylcholin im parasympathischen Nervensystem hemmen. Als ein Teil des vegetativen (unbewussten) Nervensystems und Gegenspieler des Sympathikus hat der Parasympathikus die Aufgabe, den Körper in den Ruhezustand zu versetzen und sich zu regenerieren.

Die Unterdrückung des Botenstoffes Acetylcholin erfolgt, indem bestimmte Nervenreize unterbrochen werden. Solche Nervenreize sind für die Kontraktion der glatten Muskulatur sowie die Sekretion der Drüsen verantwortlich.

Acetylcholin regt also die Tätigkeit des Darmes und der Verdauungsdrüsen an. Im Gegensatz dazu verringern sich die Herzfrequenz und Atmung. Aufgrund der Wirkung im Parasympathikus werden die Anticholinergika auch als Parasympatholytika bezeichnet.

Medizinische Anwendung, Wirkung & Gebrauch

Die Wirkungen der Anticholinergika auf den menschlichen Organismus sind eine Verminderung des Speichelflusses, eine Weitung der Pupillen und eine Verminderung der Darmaktivität.

Aus diesen Wirkungsweisen ergeben sich diverse Anwendungen in der Medizin. Anticholinergika kommen insbesondere bei Erkrankungen der Reizblase zum Einsatz. Patienten mit verschiedenen Arten von Inkontinenz und häufiger Harnentleerungen erfahre eine schnelle Besserung, da die anticholinergen Substanzen die Kontraktionen der Blasenmuskulatur schwächen und somit das Fassungsvermögen der Blase erhöhen. Die Folge der stabileren Blase ist, dass Betroffene nicht mehr so häufig zur Toilette müssen, um ihre Blase zu entleeren.

Ein weiteres bedeutsames Anwendungsgebiet der Anticholinergika ist die Parkinson-Krankheit, bei der ein Überschuss an Acetylcholin und ein gleichzeitiger Dopaminmangel vorliegt. Um dieses Ungleichgewicht zu reduzieren, werden anticholinerge Wirkstoffe verabreicht. Aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen werden diese jedoch vorsichtig und hauptsächlich zur Verminderung des Ruhezitterns bei Parkinson eingesetzt.

Desweiteren sind die Medikamente wirksam bei übermäßigem Schwitzen (Hyperhidrose), asthmatischen Erkrankungen, Bronchitis, Krämpfen der inneren Organe und glatten Muskulatur, Bradykardie (zu langsamer Herzschlag) und Herzrhythmusstörungen. Darüber hinaus werden mit Anticholinergika Narkosen vor Operationen eingeleitet sowie Untersuchungen des Augenhintergrundes durch das Erweitern der Pupillen erleichtert.

Pflanzliche, natürliche & pharmazeutische Anticholinergika

Die verschiedenen Typen von Anticholinergika unterscheiden sich nur geringfügig. Hinsichtlich der Verträglichkeit existieren jedoch Unterschiede.

Bei Unverträglichkeiten ist deshalb ein Wechsel der Medikamente hilfreich. Es gibt zwei Großgruppen der Anticholinergika: Die erste Gruppe wirkt ausschließlich auf das Nervensystem (neurotrop) und die zweite Gruppe wirkt sowohl auf das Nervensystem als auch auf die Muskulatur (muskulotrop). Unter den neurotropen Substanzen gibt es die sogenannten Belladonna-Alkaloide bzw. Verwandte. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das Atropin, dessen Name sich von der Schwarzen Tollkirsche ableitet (Atropa belladonna).

Atropin kommt heute hauptsächlich bei Narkose-Einleitungen, in der Notfallmedizin und Augenheilkunde zum Einsatz, selten bei Magen-Darm-Krämpfen oder Koliken der Gallen- und Harnwege. In den letzten zwei Anwendungsgebieten hat die Substanz Butylscopolamin das Atropin zunehmend abgelöst.

Das Alkaloid Atropin wird zudem als Gegengift bei Vergiftungen mit gewissen Pflanzenschutzmitteln verwendet und vom Militär gegen Vergiftungen mit Nervenkampfstoffen gelagert. Bei asthmatischen Beschwerden helfen die Wirkstoffe Glycopyrroniumbromid, Ipratropiumbromid und Tiotropiumbromid. Zu den neurotrop-muskulotrop wirkenden Anticholinergika zählen zum Beispiel Oxybutynin und Propiverin bei Behandlungen der Blase oder Denaverin in der Gastroenterologie und Urologie.


Risiken & Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen der Anticholinergika sind zahlreich. Oft treten Müdigkeit, Übelkeit, Schwindel, Konzentrationsschwäche, Kreislaufstörungen, Verstopfung, Sehstörungen, Mund- und Hauttrockenheit, Harnverhaltung oder Darmschwäche auf, wobei die Mundtrockenheit die häufigste Nebenwirkung aller anticholinergen Wirkstoffe ist.

Aufgrund der Beeinflussung des Nervensystems kann es zu Verwirrtheitszuständen, Störungen des Gedächtnisses sowie Unruhe kommen. Insbesondere ältere Patienten leiden während der Behandlung mit Anticholinergika unter verstärkten Beeinträchtigungen ihres Gedächtnisses. Menschen, die bereits an Demenz erkrankt sind, können durch eine anticholinerge Medikamentengabe eine Verschlechterung ihrer kognitiven Leistungen erfahren.

Bei bestimmten Erkrankungen dürfen keine Anticholinergika eingenommen werden bzw. muss die Dosierung durch den Arzt verändert werden. Hierzu gehören zum Beispiel das Engwinkelglaukom, Störungen der Blasenentleerung, beschleunigter Herzschlag (Tachykardie), akutes Lungenödem oder Verengungen im Magen-Darm-Trakt. Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen der Anticholinergika sollte gründlich mit einem Arzt gesprochen und der Kosten-Nutzen-Faktor abgewogen werden.

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