Dehnfähigkeit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 19. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Körperprozesse Dehnfähigkeit

Die Beweglichkeit der Gelenke ist vom Trainingszustand und von der Dehnfähigkeit verschiedener Gewebearten abhängig. Sportliche und alltägliche Bewegungsaktivitäten werden dadurch maßgeblich beeinflusst.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Dehnfähigkeit?

Die Beweglichkeit der Gelenke ist vom Trainingszustand und von der Dehnfähigkeit verschiedener Gewebearten abhängig.

Der Begriff Dehnfähigkeit beschreibt die Möglichkeiten eines Gewebes auf Längenveränderungen mit einem Widerstand zu antworten. Je nach Gewebezusammensetzung ist diese Fähigkeit sehr unterschiedlich. Am Bewegungsapparat, der Haut und den inneren Organen sind verschiedene Strukturen für die Dehn- und Ausdehnungsmöglichkeiten verantwortlich. Je nach Funktion können dies Faszien, Bänder, Muskeln, Sehnen, Gelenkkapseln oder andere verwandte Gewebearten sein.

Die Funktionalität der bindegewebigen Komponenten wird bestimmt durch die Zusammensetzung der Grundsubstanz, die bestimmte Anteile an Fasern und flüssiger Substanzen enthält. Das Mengenverhältnis dieser Elemente ist genetisch disponiert und bestimmt die viskoelastischen Eigenschaften und damit die Dehnfähigkeit des Gewebes. Eine quantitative Verschiebung zur Flüssigkeitsseite senkt die Widerstandsfähigkeit gegen Dehnreize, während sie steigt, wenn verhältnismäßig mehr Fasern vorhanden sind.

Bänder, mit ihrem verhältnismäßig hohen Anteil an Kollagenfasern, sind im physiologischen Zustand nur gering dehnbar. Ähnliches gilt für die äußere Schicht der Gelenkkapsel. Sehnen- und Faszien enthalten vergleichsweise mehr elastische Fasern, was eine kurzfristige Längenzunahme bei Dehnung zulässt, die jedoch durch die Retraktionskräfte schnell wieder aufgehoben wird. Die Länge eines Muskels selber kann nur durch Kontraktionen in einem festgelegten Rahmen verändert werden. Die kontraktilen Elemente sind nicht elastisch und damit auch nicht dehnfähig.

Funktion & Aufgabe

Die Gesamtheit der Dehnfähigkeit aller beteiligten Gewebearten bestimmt die Beweglichkeit der Gelenke und des gesamten Körpers. Bei Bewegungen im Alltag, besonders aber im Sport, kann die Bewegungsamplitude einen großen Einfluss auf die Bewegungsqualität und die Kraftentwicklung haben. In vielen Sportarten etwa ist die Ausholbewegung eine wichtige Komponente für die optimale Kraftentfaltung beim Start und den maximalen Beschleunigungsweg. Die Anfangskraft kommt so nicht nur aus der aktiven Kontraktion der Muskeln, sondern wird auch aus der kinetischen Energie gespeist, die durch die Vordehnung der Sehnen, der Faszien und der Gelenkkapseln entstanden ist. Die Ausprägung beider Komponenten ist ein bestimmender Leistungsfaktor.

Gleichzeitig wird dadurch die Bewegung effektiver, da weniger aktive Kraftentwicklung notwendig ist. Die Verletzungsgefahr sinkt, da die Beschleunigung nicht verfrüht auf die bremsenden Gewebe oder andere Gelenke und Körperbereiche übertragen wird. Das gleiche Prinzip kommt beim Atmen zum Tragen. Bei der Einatmung werden der Brustkorb und das Lungengewebe gedehnt. Die so entstandene Retraktionskraft ist in Ruhe alleine verantwortlich für die Rückführung des Thorax in der Ausatmung.

Eine Verbesserung der Dehnfähigkeit ist besonders im Kindes- und Jugendalter durch entsprechende körperliche Aktivitäten erreichbar, da das Bindegewebe noch relativ viele elastische Fasern enthält.

Im Erwachsenenalter ist das Training der Längenzunahme deutlich schwieriger, da die Gewebezusammensetzung sich geändert hat. Eine kurzfristige Veränderung der Beweglichkeit kann durch Dehnübungen immer erreicht werden, langfristige Erfolge jedoch nur durch regelmäßiges und angepasstes Training. Die Art der Dehnung und der Zeitpunkt der Anwendung spielen eine wichtige Rolle für die Effektivität dieser Maßnahmen, besonders im Sport.

Die statische Dehnung, auch Stretching genannt, ist immer noch eine sehr beliebte Form des Längentrainings im Sport, obwohl Erkenntnisse der Sportwissenschaft schon länger belegen, dass dynamische Dehnungen effektiver sind. Jede Art von Dehnung vor sportlichen Aktivitäten, die mit Kraft-, Schnellkraft oder Schnelligkeitsanforderungen einhergehen, ist kontraproduktiv. Sie wirkt sich leistungsmindernd aus, da nicht so viel kinetische Energie durch die Vordehnung erreicht wird. Vor Ausdauerleistungen ist ein gezieltes Aufwärmen sehr wichtig, Dehnübungen sind dagegen nicht notwendig.

Auch die häufig noch vertretene Meinung, dass regelmäßiges Dehnen die Verletzungsanfälligkeit der arbeitenden Muskulatur herabgesetzt wird, ist längst wissenschaftlich widerlegt. Es gilt jedoch, die Muskulatur durch Übungen vorsichtig vorzuwärmen.


Krankheiten & Beschwerden

Eine ganze Reihe von Erkrankungen ist die Folge eines Prozess, der auf der Veränderung der Gewebezusammensetzung basiert und die Dehnfähigkeit zum Teil erheblich einschränkt. Entweder durch eine Verminderung des Flüssigkeitsanteils in der Grundsubstanz oder durch die vermehrte Produktion von kollagenen Fasern kommt es zu einer Verschiebung der quantitativen Verhältnisse. Die Kollagenfasern rücken näher aneinander und es bilden sich spontan Wasserstoffbrücken, die das Gewebe mehr vernetzen und weniger dehnfähig machen. Eine gewisse Zeit lang ist dieser Vorgang reversibel, da die Brücken noch gelöst werden können, später allerdings nicht mehr, da feste Disulfidbrücken zu strukturellen Kontrakturen des Muskelgewebes mit zum Teil erheblichen Bewegungseinschränkungen führen.

Am Bewegungsapparat treten solche Beeinträchtigungen infolge von Ruhigstellungen in Gelenken oder allgemeiner Immobilität auf. Fibrosen verschiedener Art beruhen trotz differenter Ursachen ebenfalls auf diesem Prozess. Lungenfibrosen werden zum Beispiel durch Giftstoffe ausgelöst, denen die betroffenen Menschen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt werden. Die langsam fortschreitende Einschränkung der Dehnfähigkeit des Lungengewebes beeinträchtigt die Atemfunktion in erheblichem Maße.

Die Dupuytren-Kontraktur ist eine Fibromatose, deren Ursache noch nicht geklärt ist. Durch die krankhaften Prozesse wird die bindegewebige Sehnenplatte der Handfläche verfestigt und verliert zunehmend ihre Dehnfähigkeit. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden die mit ihr verbundenen Finger, insbesondere Ring- und Kleinfinger zur Handfläche gezogen und unbeweglich.

Auch Kapselschrumpfungen, die nach Verletzungen oder Operation auftreten, sind über den beschriebenen Prozess erklärbar. Eine Spezialform dieser Erkrankung ist die sogenannte Frozen Shoulder (Schultersteife), bei der es zu massiven Bewegungseinschränkungen im Schultergelenk durch die enorm reduzierte Dehnfähigkeit der Gelenkkapsel kommt. Der Prozess ist sehr resistent gegen jegliche Therapieformen.

Alle Verletzungen, die mit einer Gewebezerstörung einhergehen, werden im Rahmen des Wundheilungsprozesses repariert. Das entstandene Narbengewebe ist jedoch deutlich weniger dehnfähig als das gesunde. Bei kleinen Narben stellt dies keine Schwierigkeit dar, aber große Narbengebiete, wie sie nach Brandverletzungen entstehen, können erhebliche Mobilitätsdefizite verursachen.

Bewegungsaktivitäten haben einen großen Einfluss auf die Dehnfähigkeit der verschiedenen Gewebe. Viele Kinderärzte und Sportlehrer beklagen heute, dass die Kinder und Jugendlichen deutlich unbeweglicher sind als früher. Das hat sicherlich mit dem veränderten Bewegungs- und Freizeitverhalten zu tun. Die so entstandenen Beweglichkeitsdefizite können im Erwachsenenalter entweder überhaupt nicht oder nur mit größten Anstrengungen wieder beseitigt werden.

Quellen

  • Grüne, S., Schölmerich, J.: Anamnese, Untersuchung, Diagnose. Springer, Heidelberg 2007
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Rost, R.: Sport- und Bewegungstherapie bei Inneren Krankheiten. Deutscher Ärzteverlag, Köln 2005

Das könnte Sie auch interessieren