Proximale myotone Myopathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Proximale myotone Myopathie ist eine erblich bedingte Erkrankung, die mit einer Muskelschwäche an der proximalen Skelettmuskulatur und mit Augenproblemen einhergeht. In der Regel erscheinen die ersten Symptome zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Zurzeit ist nur eine symptomatische Behandlung möglich.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine proximale myotone Myopathie?

Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt. Wenn ein Elternteil an dieser Krankheit leidet, besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch der Nachwuchs davon betroffen ist.
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Die Proximale myotone Myopathie ist eine genetisch bedingte Muskelerkrankung, die sich meist erst in den mittleren Lebensjahren manifestiert. Bisher gab es keine Fälle angeborener Erkrankungen. Auch bei Kindern wurde die Krankheit noch nicht beobachtet. Lediglich eine sehr seltene juvenile Form kann vorkommen.

Neben einer proximalen Muskelschwäche treten auch Augenprobleme auf, die sich durch Sehbehinderungen bemerkbar machen. Weitere Bezeichnungen für diese Erkrankung sind unter anderem myotone Dystrophie Typ 2 oder Morbus Ricker. Der Verlauf dieser Erkrankung ist milder als bei der ebenfalls erblich bedingten Myotonen Dystrophie Typ 1 (Morbus Curschmann-Steinert).

Allerdings tritt Morbus Ricker seltener auf als Morbus Curschmann-Steinert. So wird die Prävalenz auf 1 bis 5 pro 100.000 Personen geschätzt. In Deutschland und in den USA ist die Häufigkeit der Erkrankungen etwas höher. Ursache dafür könnte das erstmalige Auftreten der entsprechenden Mutation in Mitteleuropa sein. Die Krankheit kann aufgrund ihrer genetischen Ursache nicht kausal, sondern nur symptomatisch behandelt werden.

Ursachen

Als Ursache für die Proximale myotone Myopathie wird ein Defekt des ZNF9-Gens auf Chromosom 3 vermutet. Dieses Gen codiert ein sogenanntes Zinkfingerprotein, welches Zink als zentrales Atom enthält. Das entsprechende Protein interagiert mit der DNA oder RNA und hat so Einfluss auf die Genexpression diverser Gene. Der codierbare Teil des Gens ist zwar nicht verändert, aber die CCTG-Wiederholungssequenz expandiert.

Das heißt also, dass im nicht codierbaren Bereich des Gens eine zusätzliche CCTG-Sequenz eingebaut ist, welche wiederum die Genexpression für das ZNF9-Gen beeinflusst. Dabei wird das entsprechende Protein genetisch nicht verändert, aber es liegt nicht in der optimalen Konzentration vor. In einigen Fällen wird auch Antizipation beobachtet.

Die Antizipation kennzeichnet ein früheres Auftreten der Erkrankung bei den Nachkommen. Außerdem sind die Symptome bei ihnen dann stärker ausgeprägt. Das wird durch weitere eingebaute CCTG-Repeats verursacht, die von Generation zu Generation immer mehr expandieren können. Auch die Expansion von CCTG-Repeats oder allgemein von Tetranukleotid-Repeats ist genetisch bedingt.

Jedoch findet eine Antizipation nicht immer statt, weil die Zahl der CCTG-Repeats nicht unbedingt mit dem Eintrittsalter der Erkrankung korrelieren muss. Die Proximale myotone Myopathie wird autosomal-dominant weitervererbt. Dabei erfolgt die Weitergabe der Erkrankung direkt von einer Generation auf die Nächste.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Proximale myotone Myopathie kann sich durch eine Vielzahl von Symptomen bemerkbar machen. Dabei ist der Ausprägungsgrad der Krankheitszeichen sehr unterschiedlich. Eins der wichtigsten Merkmale ist die Ausbildung einer proximalen Muskelschwäche, die meist auch ausschlaggebend für die Diagnostik der Erkrankung ist.

Oft sind die Muskeln des Beckens und der Schultergürtel betroffen. Zur Muskelschwäche gesellen sich häufig starke Muskelschmerzen (Myalgien). In 75 Prozent der Fälle treten erhöhte Muskelspannungen (Myotonie) auf, die nur langsam abgebaut werden. Sehr viel seltener (ungefähr 12 Prozent) sind auch die Gesichtsmuskeln beeinträchtigt.

Bei einem Drittel der Fälle wird ein Tremor beobachtet. Auch das Herz ist häufig betroffen. Es kommt zu Herzrhythmusstörungen und Störungen der Reizweiterleitung. In den Augen zeigen sich Katarakte (Grauer Star), die zur Verschlechterung der Sehschärfe führen. Weiterhin kann sich auch Hyperhidrose (verstärkte Schweißbildung), Hyperthermie (verstärkte Wärmebildung), Verkleinerung der Hoden (Hodenatrophie) oder sogar Diabetes entwickeln.

Zuweilen werden auch zentralnervöse Störungen, Hypogammaglobulinämie (Mangel an Gammaglobulinen) oder Abflussstörungen von Galle beobachtet. Eine Komplikation stellt die maligne Hyperthermie dar. Diese kann bei der Narkose durch Inhalationsnarkotika, depolarisierende Muskelrelaxantien oder gar Stress ausgelöst werden.

Symptome dieser Komplikation sind Herzrasen, Atembeschwerden, Zyanose, Muskelstarre, Azidose oder Hyperkaliämie. Schließlich findet ein starker Temperaturanstieg statt, der zu Eiweißdenaturierung und Kreislaufversagen führen kann.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnose der Proximalen myotonen Myopathie wird die elektrische Muskelaktivität im EMG (Elektromyogramm) gemessen. Wenn monotone Salven auftreten, die an ein Sturzkampfbombergeräusch erinnern, liegt eine Muskelerkrankung vor. Zur genaueren Differenzierung wird eine direkte Genuntersuchung in den Leukozyten durchgeführt.

Weitere Untersuchungsmethoden stellen die Faustschlussprobe und der Perkussionstest dar. Bei der Faustschlussprobe zeigt nach geschlossener Faust ein verzögertes Öffnen der Hand eine Myotonie an. Das Gleiche gilt, wenn bei Beklopfen der betroffenen Muskeln (Perkussion) Muskelkontraktionen auftreten, die einige Sekunden andauern.

Komplikationen

Bei dieser Erkrankung leiden die Betroffenen in der Regel an einer Muskelschwäche. Dabei treten die Beschwerden in den meisten Fällen erst im späten Alter ein, sodass eine direkte Vorbeugung oder eine frühzeitige Behandlung dieser Erkrankung nicht möglich ist. Leider ist auch keine kausale Behandlung möglich, sodass nur die Symptome dieser Krankheit eingeschränkt werden können.

Dabei leiden die Patienten an einer stark ausgebildeten Muskelschwäche. Es kommt dabei zu starken Schmerzen an den Muskeln, die vor allem unter Belastung auftreten. Weiteren tritt bei dieser Erkrankung auch ein Muskelschwund ein, der zu einer deutlich verringerten Lebensqualität führt. Vor allem die Muskeln im Gesicht sind davon betroffen, sodass der Patient diese nicht mehr bewegen und damit auch seinen Gesichtsausdruck nicht mehr steuern kann. Ebenso leiden die Betroffenen bei dieser Krankheit an einem Tremor und an Herzbeschwerden.

Im schlimmsten Fall kann dabei der Herzstillstand eintreten. Auch Beschwerden an den Augen und eine deutlich verringerte Sehstärke tritt dabei ein und erschwert den Alltag des Betroffenen. Bei der Behandlung selbst treten keine Komplikationen auf. Allerdings können dabei nur die Symptome teilweise eingeschränkt werden. Eine vollständige Heilung ist in der Regel nicht möglich. Möglicherweise wird auch die Lebenserwartung des Betroffenen aufgrund der Krankheit verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Menschen, die sich im Erwachsenenalter befinden und starke Muskelprobleme haben, sollten eine Kontrolluntersuchung bei einem Arzt durchführen lassen. Sind die Beschwerden aufgrund einer körperlichen Überanstrengung entstanden, genügen im Normalfall eine ausreichende Ruhephase und ein erholsamer Nachtschlaf. Anschließend erfolgt eine Linderung der Symptome oder eine Spontanheilung. Ein Arztbesuch ist in diesen Fällen nicht angezeigt.

Halten die Beschwerden jedoch über mehrere Tage unvermindert an oder nehmen sie an Intensität zu, wird ein Arzt benötigt. Eine Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, Einschränkungen der Mobilität sowie Zuckungen der Muskelfasern sind untersuchen und behandeln zu lassen. Ein fortdauerndes Stresserleben, eine innere Unruhe, ein allgemeines Krankheitsgefühl sowie Störungen des Herzrhythmus sind einem Arzt vorzustellen.

Zeigen sich Schlafstörungen, können alltägliche Anforderungen nicht erfüllt werden oder sinkt das Wohlbefinden, besteht Handlungsbedarf. Kommt es zu Einschränkungen des Sehvermögens, einer Abnahme der Sehschärfe sowie einer erhöhten Unfall- und Verletzungsgefahr, sind die Beobachtungen mit einem Arzt zu besprechen.

Besorgniserregend sind eine Verkleinerung der Hoden, eine Zunahme der Schweißabsonderung oder ein ungewöhnliches Wärmeempfinden im Körperinnern. Allgemeine Funktionsstörungen, Beschwerden im Bereich des Beckens oder der Schultern sowie Unregelmäßigkeiten der Gesichtsmuskulatur sind einem Arzt vorzustellen. Kommt es zu Muskelschmerzen, wiederholten Verspannungen oder einem Unwohlsein, wird ein Arzt benötigt.

Behandlung & Therapie

Eine kausale Therapie der Proximalen myotonen Myopathie ist zurzeit noch nicht möglich. Es können bisher nur symptomatische Behandlungen stattfinden. Dabei werden hauptsächlich physiotherapeutische Maßnahmen durchgeführt, welche die Gehfähigkeit bis zum 60. Lebensjahr erhalten können. Wichtig ist auch eine multidisziplinäre Betreuung und Kontrolle.

Hier spielt besonders die Überwachung des Herzens eine große Rolle, denn die kardiale Beteiligung ist häufig ausschlaggebend für die Prognose der Krankheit. Sollte es zu einer malignen Hyperthermie kommen, sind sofort lebensrettende Maßnahmen wie Beatmung, Verabreichung von Dantrolen (ein Muskelrelaxans), Kühlung des Körpers und Behandlung der Azidose unter intensivmedizinischer Überwachung einzuleiten.


Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung des Ausbruchs einer proximalen myotonen Myopathie bei Vorliegen einer genetischen Veranlagung gibt es zurzeit noch nicht. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt. Wenn ein Elternteil an dieser Krankheit leidet, besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch der Nachwuchs davon betroffen ist. Daher ist es bei familiärer Häufung sinnvoll, eine humangenetische Beratung in Anspruch zu nehmen.

Nachsorge

Bei der proximalen myotonen Myopathie kann aktuell nur eine symptomatische Nachsorge erfolgen. Diese dient hauptsächlich der Reduzierung der schmerzhaften Begleiterscheinungen der Erkrankung. Hierfür sind physiotherapeutische Sitzungen geeignet.

Diese wirken dem voranschreitenden Muskelschwund und der Muskelschwäche entgegen und helfen, die Gehfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Regelmäßige Trainingseinheiten und spezielle Übungen dienen der Stabilisierung des Körpers. Ein wichtiger Bestandteil spielt die Ernährung. Eine gesunde Ernährung versorgt den Körper mit allen wichtigen Nährstoffen.

Weiterhin hilft eine psychologische Unterstützung den Patienten ihre innere Ruhe und eine positivere Einstellung trotz der Erkrankung zu erhalten. Auch können Selbsthilfegruppen den Personen helfen, die Erkrankung mit Hilfe anderer Betroffener zu verarbeiten. Im Zuhause kann Ergotherapie mit Einsatz verschiedener Hilfsmittel wie Duschstuhl, Sitzerhöhungen oder Greifzangen den Alltag der Patienten erleichtern.

Nach der Erkrankung mit proximalen myotonen Myopathie sind regelmäßige Nachuntersuchungen beim Arzt wichtig, um das Herz sowie den Muskelschwund zu überwachen sowie vermindertes Sehvermögen rechtzeitig zu erkennen. Die Prognose bei proximaler myotoner Myopathie ist leider eher negativ.

Da es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist eine komplette Heilung aktuell ausgeschlossen. Vor allem durch den voranschreitenden Muskelschwund wird die Lebensqualität verringert. Dieser Schwund kann auch zu einer geringeren Lebenserwartung führen.

Das können Sie selbst tun

Die proximale myotone Myopathie ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Der Betroffene hat keine Möglichkeiten, um sich selbst von dieser Krankheit zu heilen. Durch den Lebenswandel und verschiedene Techniken kann der Organismus positiv unterstützt werden, aber eine Beschwerdefreiheit tritt nicht ein.

Die Muskulatur sollte in gezielten Trainings im Fokus stehen. Wenngleich es durch die Krankheit zu starken Beeinträchtigungen kommt, ist es ratsam, den Muskelapparat täglich in individuellen Übungen nach besten Möglichkeiten stabilisieren. Die Trainingseinheiten sind auf die Bedürfnisse und Grenzen des Körpers auszurichten. Der Aufbau von Erfolgserlebnissen ist dabei wichtig, da sie motivationsfördernd sind.

Eine grundsätzlich positive Einstellung zum Leben ist bei der Bewältigung der Beschwerden im Alltag sehr hilfreich. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sollten angenehme Erlebnisse und die Förderung des Wohlbefindens stehen. Die Nutzung von Entspannungstechniken kann bei der Stärkung der mentalen Kraft Anwendung finden. Durch Meditation, autogenes Training oder Yoga werden vorhandene Stressoren abgebaut und gleichzeitig wird das Innenleben des Patienten gekräftigt. Dies soll helfen, um den Umgang mit der Erkrankung im Alltag zu verbessern. Ein sozialer Rückzug ist zu vermeiden. Gemeinsame Aktivitäten werden von den Patienten als angenehm und aufbauend empfunden. Der Austausch in Selbsthilfegruppen bringt eine gegenseitige Stärkung und Hilfestellung.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011

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