Pickwick-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Pickwick-Syndrom ist eine Erkrankung, die bei Menschen mit extremem Übergewicht auftritt. Es handelt sich dabei um eine Form der obstruktiven Schlafapnoe.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Pickwick-Syndrom?

Der Nachtschlaf ist nicht erholsam, sodass es zu einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit mit Schlafattacken kommt. Hier ähnelt die Symptomatik dem Schlafapnoe-Syndrom.
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Das Pickwick-Syndrom verdankt seinem Namen einer Figur aus dem Roman „Die Pickwickier“ von Charles Dickens. Der Kutscher Little Fat Joe schläft in diesem Buch fast die gesamte Zeit. Auch die Patienten mit Pickwick-Syndrom leiden tagtäglich unter extremer Müdigkeit. Das Pickwick-Syndrom wird auch als Obesitas-Hypoventilationssyndrom oder als Adipositas-bedingtes Hypoventilationssyndrom bezeichnet.

Es tritt ausschließlich bei Menschen mit starker Adipositas, also mit extremem Übergewicht auf. Ab einem Body-Mass-Index von über 30 spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Adipositas. Patienten mit Pickwick-Syndrom haben aber häufig einen BMI von über 40 oder 50. Infolge des Übergewichts entwickelt sich ein Hypoventilationssyndrom. Bei der Hypoventilation ist die normale Lungenbelüftung krankhaft vermindert.

Der Begriff der Hypoventilation wird häufig synonym mit dem Begriff der Atemdepression verwendet. Eigentlich bezeichnet die Hypoventilation aber vielmehr die Lungenbelüftung, bei der Atemdepression ist hingegen die Atemsteuerung beeinträchtigt. Durch die verminderte Belüftung der Lunge ist der Gasaustausch eingeschränkt, sodass es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff kommt.

Ursachen

Die Hauptursache für das Pickwick-Syndrom ist pathologisches Übergewicht. Durch das Übergewicht entsteht in den oberen Atemwegen eine Enge. Auch die Lunge wird durch die umliegenden Gewebemassen eingeengt. Das Hochdrücken des Zwerchfells, ein für die Atmung sehr wichtiger Mechanismus, wird durch die Gewebemassen, die bewegt werden müssen, erschwert.

Insbesondere in der Nacht kommt es zu einer sogenannten Stenoseatmung. Die Patienten müssen gegen das Gewebe anatmen. Durch die Belastung der Atmung ist die Lunge weniger belüftet und die Lungenbläschen erhalten weniger Luft. Dieser Zustand wird auch als alveoläre Hypoventilation bezeichnet. Die verminderte alveoläre Belüftung ist auch am Tage zu beobachten. Es kommt zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff (Hypoxämie).

Gleichzeitig wird aber auch zu wenig Kohlendioxid abgeatmet, sodass sich zusätzlich zum Sauerstoffmangel ein Kohlendioxidüberschuss im Blut entwickelt. Dieser Überschuss an Kohlendioxid wird auch als Hyperkapnie bezeichnet. Es wird vermutet, dass die chronische Hyperkapnie dem Schutz der Atempumpe dient. Normalerweise ist der Kohlendioxidgehalt der stärkste Anreiz für die Atmung.

Das Atemzentrum reagiert jedoch auf die chronische Hyperkapnie immer weniger, sodass es zu einer Verschiebung des Sollwerts in der Atmungsregulation kommt. Die Atmung wird vermindert und der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt. Darauf reagiert der Körper mit einer vermehrten Bildung von roten Blutkörperchen (Erythrozyten).

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Atemschwäche zeigt sich bei Patienten mit Pickwick-Syndrom vor allem in der Nacht. Sie äußert sich als begleitende und schlagbezogene Atmungsstörung. Der Nachtschlaf ist nicht erholsam, sodass es zu einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit mit Schlafattacken kommt. Hier ähnelt die Symptomatik dem Schlafapnoe-Syndrom. Die Atmung ist unregelmäßig und es kommt periodisch zu Atemaussetzern.

Diese treten vor allem im Schlaf auf. Bei einem ausgeprägten Pickwick-Syndrom kann die Atmung aber auch tagsüber beeinträchtigt sein. Schlafstörungen und starkes Schnarchen sind ebenfalls typisch für die Erkrankung. Weitere wichtige Symptome sind eine Erhöhung des CO2-Gehaltes im Blut (Hyperkapnie) und eine Verminderung des Sauerstoffgehaltes im Blut (Hypoxie). Ferner entwickelt sich eine arterielle Hypertonie (Bluthochdruck).

Der Bluthochdruck findet sich jedoch nicht nur im großen Körperkreislauf, sondern auch im Lungenkreislauf. In der medizinischen Fachsprache wird die Blutdruckerhöhung im Lungenkreislauf als pulmonale Hypertonie bezeichnet.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Erste Hinweise auf das Pickwick-Syndrom liefert bereits der Sichtbefund. Patienten mit Pickwick-Syndrom fallen durch ihr extremes Übergewicht auf. Weitere diagnostische Hinweise liefert die Blutgasanalyse. Die Blutgasanalyse erlaubt Aussagen über die Gasverteilung von Kohlendioxid und Sauerstoff im Blut. Bei Patienten mit Pickwick-Syndrom ist der Sauerstoffgehalt im Blut erniedrigt. Der Kohlendioxidgehalt ist hingegen erhöht.

Zur Diagnosesicherung werden weitere Untersuchungsverfahren durchgeführt. So erfolgt beispielsweise eine Langzeitblutdruckmessung. Auch bestimmte Blutfettwerte wie HDL, LDL und Triglyzeride werden bestimmt. Zur Beurteilung der Herzfunktion erfolgt ein EKG. Auch eine Echokardiografie kann eingesetzt werden. Ferner kommt die Röntgendiagnostik zum Einsatz. Beim Lungenfunktionstest werden die verschiedenen Lungenvolumina und weitere klinische Messgrößen erfasst.

Komplikationen

Eine gefürchtete Komplikation ist die Entstehung einer pulmonalen Hypertonie. Dies ist ein ständiger Bluthochdruck, der durch das Zusammenpressen der Lungengefäße hervorgerufen wird. Durch den Hochdruck bedingtes und durch das Übergewicht getriggertes, besteht zudem ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen. Dies kann zum Beispiel zu einer Leistungssschwäche des rechten Herzens führen. Schuld daran sind die durch Fett verkalkten Arterien. Das Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist dadurch ebenfalls erhöht.

Die erschwerte Atmung, die nicht nur tagsüber, sondern auch im Schlaf auftritt, führt zu nächtlichem Aussetzen der Atemtätigkeit bis hin zum Atemstillstand. Tagsüber kann im fortgeschrittenen Stadium der Pickwick-Erkrankung eine bläuliche Gesichtsverfärbung ("Blue Bloater") und eine ständige Kurzatmigkeit hinzukommen. Durch die nächtlichen Atemprobleme kommt es zu einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit. Manche Patienten werden dadurch dauerhaft arbeitsunfähig und müssen frühzeitig in Rente gehen.

Kommt es zu einer Erhöhung der Anzahl der roten Blutkörperchen (Polyglobulie), ist die Gefahr für Thrombosen, bei denen es zu Blutgerinnseln an den Gefäßwänden kommt, erhöhlt. Lösen sich diese ab und wandern nach oben, entsteht die gefürchtete Lungenembolie. Auch diese führt zu Atemnot und plötzlichem Herzversagen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Fettleibige Menschen, die eine unregelmäßige Atmung, Schlafsucht und andere Anzeichen einer ernsten Erkrankung bemerken, sollten den Arzt konsultieren. Das Pickwick-Syndrom geht aus einer extremen Adipositas hervor und kann durch eine Gewichtsreduktion behandelt werden. Voraussetzung hierfür ist eine frühzeitige Diagnose, möglichst bevor sich Komplikationen wie eine pulmonale oder arterielle Hypertonie oder eine Hypoxie eingestellt haben. Personen, die an Adipositas erkrankt sind, sollten den Arzt aufsuchen, wenn ungewöhnliche Beschwerden auftreten, die über die gewöhnlichen Begleiterscheinungen der Fettleibigkeit hinausgehen.

Eine Schlafapnoe sollte umgehend ärztlich abgeklärt werden. Sollte es infolge des Schlafapnoe-Syndroms zu einem Atemstillstand kommen, ist der Notarzt zu rufen. Das Pickwick-Syndrom wird von dem Hausarzt diagnostiziert. Für die Behandlung der zugrunde liegenden Adipositas sollten sich die Betroffenen an einen Ernährungsberater wenden. Zur Gewichtsreduktion müssen physiotherapeutische Maßnahmen durchgeführt werden, wofür der Sportmediziner oder ein Physiotherapeut der richtige Ansprechpartner ist. Zudem kommt eine Magenverkleinerung in Frage, die stationär erfolgt und der Nachsorge durch einen Gastroenterologen bedarf. Etwaige psychische Begleiterkrankungen sollten mit einem Therapeuten aufgearbeitet werden, damit die Fettleibigkeit langfristig gelindert und das Pickwick-Syndrom behoben werden kann.

Behandlung & Therapie

Patienten mit Pickwick-Syndrom müssen zwingend ihr Gewicht reduzieren. Die Gewichtsreduktion kann konservativ mit einer Ernährungsumstellung erfolgen. Alternativ kann auch ein Magen-Bypass gelegt werden. Darüber hinaus müssen die Patienten Alkohol streng vermeiden. Auch Schlaftabletten dürfen trotz der Schlafstörungen nicht eingesetzt werden. Schlaftabletten vermindern den Atemantrieb und sind deshalb beim Pickwick-Syndrom kontraindiziert.

Da das Pickwick-Syndrom je nach Ausprägung lebensgefährliche Folgen haben kann, wird die Therapie immer in spezialisierten Zentren mit einem Schlaflabor begonnen. Bei leichteren Fällen ist es häufig schon ausreichend, wenn die Patienten nachts anders gelagert werden. Bei schweren Fällen wird die positive nasale Überdrucktherapie (nCPAP) eingesetzt.

Es handelt sich dabei um eine nächtliche Selbstbeatmung. Sehr fortgeschrittene Fälle können nur noch durch eine Heimbeatmung behandelt werden. Dabei werden die Patienten maschinell beatmet. Als lebensbedrohliche Spätfolge des extremen Übergewichts kann das Pickwick-Syndrom innerhalb weniger Jahre tödlich enden.


Aussicht & Prognose

Im Allgemeinen ist der weitere Verlauf des Pickwick-Syndroms sehr stark vom gesundheitlichen Zustand des Betroffenen abhängig, sodass eine allgemeine Prognose hier nicht gegeben werden kann. Dabei richtet sich der Verlauf auch sehr stark danach, ob und wie viel Gewicht der Betroffene verliert und ob gegen das Übergewicht vorgegangen wird. Sollte die Grunderkrankung dabei nicht geheilt werden, so verschwinden die Symptome des Pickwick-Syndroms in der Regel auch nicht und können sich dabei in vielen Fällen auch deutlich verstärken. Daher sollte schon bei den ersten Symptomen und Anzeichen ein Arzt kontaktiert und auch eine Behandlung eingeleitet werden, damit es nicht zu weiteren Komplikationen und Beschwerden kommt. Im schlimmsten Falle kann es dabei durch das enorme Übergewicht zum Tode des Betroffenen kommen, wenn dagegen nicht vorgegangen wird.

Wird das Übergewicht reduziert, so verschwinden in der Regel auch die Beschwerden des Pickwick-Syndroms. Dabei können sie auch vollständig eingeschränkt werden, wenn das Übergewicht komplett abgebaut wird. In schwerwiegenden Fällen sind die Betroffenen dabei auf eine Beatmung durch eine Maschine angewiesen.

Im Allgemeinen wirkt sich eine gesunde Lebensweise positiv auf den weiteren Verlauf der Krankheit aus. Das Übergewicht selbst kann dabei in vielen Fällen auch die Lebenserwartung des Betroffenen deutlich einschränken.

Vorbeugung

Das Pickwick-Syndrom ist eine Folge von starkem Übergewicht. Übergewichtige Patienten können dem Syndrom deshalb mit einer Gewichtsreduktion vorbeugen. Für ein normales Körpergewicht ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung die absolute Voraussetzung. Eine Vollwertkost mit einem hohen Anteil an Obst und Gemüse kann Übergewicht entgegenwirken.

Zusätzlich sollten Übergewichtige für ausreichend Bewegung sorgen. Bei sehr starkem Übergewicht sollte vor der Gewichtsreduktion jedoch ein Arzt aufgesucht werden, der das Abnehmen unterstützt.

Nachsorge

In den meisten Fällen stehen dem Betroffenen beim Pickwick-Syndrom nur wenige oder nur sehr eingeschränkte Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Hierbei sollte der Patient schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Erkrankung einen Arzt aufsuchen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder zu anderen Beschwerden kommt. Im Allgemeinen hängt der weitere Verlauf bei dieser Krankheit sehr stark davon ab, ob und wie der Betroffene sein Übergewicht reduzieren kann, sodass eine allgemeine Voraussage dabei nicht möglich ist.

Eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung wirkt sich jedoch positiv auf den weiteren Verlauf der Krankheit aus. Ein Arzt kann für den Betroffenen auch einen Ernährungsplan erstellen, welcher auf jeden Fall eingehalten werden sollte. Die Schlafbeschwerden können dabei mit Hilfe von Schlaftabletten gelindert werden. Dabei sollte der Betroffene immer eine richtige Dosierung einhalten, damit es nicht zu Vergiftungen kommt.

Bei Übergewicht ist langfristig eine Reduktion erforderlich, da dadurch die Lebenserwartung deutlich verringert wird. In einigen Fällen sind die Betroffenen auch auf die Hilfe und die Unterstützung der eigenen Familie im Alltag angewiesen, um auch Depressionen und andere psychische Verstimmungen zu verhindern.

Das können Sie selbst tun

Menschen, die am Pickwick-Syndrom erkrankt sind, sollten sich frühzeitig in ärztliche Behandlung begeben. Durch eine konstante Verbesserung der Schlafqualität können die Betroffenen die Beschwerden oftmals selbst lindern. Wichtig ist vor allem regelmäßiger Schlaf. Die Erkrankten sollten täglich zur selben Zeit zu Bett gehen und zwischen sieben und neun Stunden täglich schlafen. Optimalerweise werden Schlafmaske, Ohrstöpsel und weitere Hilfsmittel verwendet, um die Schlafqualität zu verbessern.

Eine gute Schlafhygiene kann die Schlafapnoe zwar nicht beheben, die Symptome jedoch erheblich lindern. Personen, die an Übergewicht leiden, sollten diätetische und sportliche Maßnahmen einleiten, um die Gewichtsprobleme langfristig zu beheben.

Pickwick-Syndrom-Patienten, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung befinden, sollten nicht ohne Aufsicht schlafen, damit bei einem medizinischen Notfall umgehend der Rettungsdienst gerufen werden kann. Bestenfalls wird das Leiden bereits in einem frühen Stadium behandelt, wofür eine frühzeitige Diagnose vonnöten ist. Die Erkrankten können oftmals eine Besserung der Symptome erreichen, indem sie in einer anderen Position schlafen oder ihren Schlafrhythmus anpassen. Auch Faktoren wie Ernährung und Körpergewicht haben einen Einfluss auf die Entwicklung des Pickwick-Syndroms.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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