Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist eine erbliche Leukodystrophie mit Degenerationen der Nervensubstanz. Die Betroffenen leiden an einer mutationsbedingten Störung der Myelinisierung, die vor allem motorische und intellektuelle Defizite zur Folge hat. Die Therapie der Erkrankung beschränkt sich bislang auf supportive Maßnahmen von Physio- und Psychotherapie.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit?

Wie allen Leukodystrophien liegt auch der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit eine Degeneration der weißen Nervensubstanz zugrunde. Diese Degeneration entspricht im Falle der Krankheit einer genetisch bedingten Störung bei der Bildung von Myelinscheiden.
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Leukodystrophien sind genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen, bei denen die weiße Substanz des Nervensystems aufgrund von Mangelerscheinungen fortschreitend degeneriert. Abgebaut wird vor allem das Myelin, das die Nerven umgibt.

Myelin stellt im menschlichen Organismus eine Isolierung dar. Wie in einem Kunststoffkabel ist das bioelektrische Aktionspotenzial der Nervenerregung in myelinisierten Nervenbahnen vor Verlusten in die Umgebung geschützt. Ohne Myelin ist die Funktion eines Nervs massiv beeinträchtigt. Erregungsverluste treten auf. Die Reizleitung ist erschwert.

Patienten mit Leukodystrophien leiden deshalb an neurologischen Defiziten. Vor allem im Bereich der Motorik machen sich Leukodystrophien bemerkbar. Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist eine Leukodystrophie, deren Erstbeschreibung auf den deutschen Neurologen F. C. Pelizaeus und den Psychiater L. Merzbacher zurückgeht.

Charakterisiert ist die Erkrankung durch eine Störung in der Myelinscheidenbildung, die sich in einer Vielzahl von unterschiedlichen Symptomen manifestieren kann. Alle Altersgruppen können betroffen sein. Die Prävalenz wird auf rund einen bis neun Fälle aus 1000 000 Menschen geschätzt. Unterschiedliche Literatur bezeichnet die Leukodystrophie auch als Hirnsklerose, diffuse familiäre Leukodystrophie oder Pelizaeus-Merzbacher Hirnsklerose.

Ursachen

Wie allen Leukodystrophien liegt auch der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit eine Degeneration der weißen Nervensubstanz zugrunde. Diese Degeneration entspricht im Falle der Krankheit einer genetisch bedingten Störung bei der Bildung von Myelinscheiden. Die Myelinbildungsstörung geht auf eine Mehrfach-Mutation zurück, die mittlerweile auf das des PLP1-Gen lokalisiert wurde.

Dieses Gen kodiert für das Proteolipid-Protein 1 und ist in Genlocus Xq22 des X-Chromosoms angeordnet. Welche Art der Mutation im PLP-Gen stattfindet, kann von Fall zu Fall variieren. Die Mutationen können so zum Beispiel Deletionen entsprechen. Auch Duplikationen des Gens wurden an Patienten der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit allerdings nachgewiesen.

Aufgrund der Mutationen kommt es zu einer fehlerhaften Produktion von Proteolipid-Proteinen. Die defekten Proteine haben widerum defektes Myelin zur Folge, da sie eine essentielle Rolle für die Myelin-Synthese spielen. So entstehen funktionslose Myelinscheiden, die Potenzialverluste an den Nerven zur Folge haben. Die Erkrankung wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Aus diesem Grund erkrankt in der Regel nur das männliche Geschlecht. Frauen sind meist stille Trägerinnen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Leitsymptom der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist eine Verzögerung der geistigen sowie motorischen Entwicklung. Neben unkontrollierbaren Zuckungen der Augen in Form eines Nystagmus zählen spastische und schlaffe Lähmungen der Muskulatur sowie Tonusverlust mit ataktischer Stand- und Gangunsicherheit zu den Leitsymptomen der Krankheit.

Erst Symptome manifestieren sich meist im Kleinkindes- oder Kindesalter. Auch eine Manifestation im Erwachsenenalter ist allerdings denkbar. Grundsätzlich verläuft die konnatale Form meist am schwersten. Oft treten neben den genannten Beschwerden Dyspnoe oder Stridor auf. Eine spastische Tetraparese zählt im Verlauf oft zum Krankheitsbild.

Bei der klassischen Form mit Manifestation in den ersten Lebensmonaten gehen Nystagmus und Muskelhypotonien fortschreitend in eine Spastik über. Neben der klassischen und konnatalen Form existiert eine Übergangsform mit einem Beeinträchtigungsausmaß zwischen klassischer und der konnataler Variante. Grundsätzlich sind also unterschiedliche Schweregrade denkbar. Die Symptome können relativ breitgefächert ausfallen, sodass sich das klinische Bild der Patienten oft stark unterscheidet.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Erste Hinweise auf die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit geben die neurologische Untersuchung und die Anamnese. Da keine biochemischen Marker für die Erkrankung zur Verfügung stehen, spielt die Bildgebung im Rahmen der Diagnostik die wichtigste Rolle. In einer Kernspintomographie des Gehirns zeigen sich Störungen der Myelinisierung.

Da solche Störungen für die Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung nicht spezifisch sind, muss eine differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderer Entmarkungskrankheiten erfolgen. Die Magnetresonanzspektroskopie kann dabei behilflich sein. Die finale Sicherung der Verdachtsdiagnose erfolgt meist in Form einer molekulargenetischen Analyse.

Eine nachgewiesene Mutation des PLP1-Gens gilt als diagnosesichernd. Prinzipiell ist eine pränatale Diagnostik möglich. Die Prognose der Patienten hängt von der Schwere der Erkrankung und der Art der PLP-Mutation ab. Milde Verläufe sind genauso denkbar wie schwere Formen mit tödlichem Verlauf in der Kindheit.

Komplikationen

Aufgrund der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit leiden die Betroffenen an einer Reihe verschiedener Einschränkungen und Beschwerden. In den meisten Fällen können nur die wenigsten der Beschwerden vollständig geheilt werden, sodass der Betroffene in seinem Leben auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist. In erster Linie leiden die Patienten bei dieser Krankheit an einer deutlich verzögerten Entwicklung.

Auch die motorische Entwicklung des Patienten ist bei dieser Krankheit erheblich eingeschränkt und es kommt weiterhin auch zu starken geistigen Defiziten. Ebenso leiden die Betroffenen bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit an einer Gangunsicherheit und an verschiedenen Lähmungen und anderen Störungen der Sensibilität. Mitunter machen sich Anzeichen einer Spastik bemerkbar. In vielen Fällen kann es vor allem bei Kindern zu Mobbing oder zu Hänseleien kommen, sodass die Patienten durch die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit auch an psychischen Beschwerden und an Depressionen erkranken.

Eine kausale Behandlung der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist nicht möglich. Vor allem für die Eltern und für die Angehörigen stellt die Krankheit dabei eine starke psychische Belastung dar. Weiterhin können einige Beschwerden mit Hilfe von Therapien eingeschränkt werden. Eine vollständige Heilung tritt bei dieser Krankheit allerdings nicht ein. Möglicherweise wird dabei auch die Lebenserwartung des Patienten verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit zu starken Verzögerungen der kindlichen Entwicklung führt, muss diese Erkrankung in jedem Fall durch einen Arzt untersucht und behandelt werden. Nur dadurch können weitere Komplikationen vermieden werden. Je früher die Behandlung der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit eingeleitet wird, desto höher sind die Chancen auf eine vollständige Genesung.

Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn das Kind unter Lähmungen oder einem unsicheren Gang leidet. Die Lähmungen können unterschiedliche Körperregionen betreffen. Ebenso kann die motorische oder auch die geistige Entwicklung des Kindes deutlich eingeschränkt und verzögert sein. Sollten die Eltern diese Verzögerungen bemerken, so ist sofort ein Arzt aufzusuchen. Einige Kinder weisen durch die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit auch Spastiken auf.

In der Regel wird die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit durch einen Kinderarzt oder durch einen Allgemeinarzt diagnostiziert. Die weitere Behandlung findet jedoch bei verschiedenen Fachärzten statt und richtet sich nach der genauen Ausprägung der Beschwerden. Häufig ist bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit auch eine psychologische Behandlung sinnvoll, an welcher sowohl die Eltern als auch die Kinder teilnehmen können. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit in der Regel nicht negativ verringert.

Behandlung & Therapie

Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit hat ihre Ursache in den Genen. Aus diesem Grund existiert für Patienten der Erkrankung bislang keine ursächliche Therapie. Kausale Therapieformen könnte höchstens die Gentherapie eröffnen. Gentherapeutische Ansätze bilden derzeit einen Schwerpunkt in der medizinischen Forschung.

Allerdings haben die Ansätze die klinische Phase bisher nicht erreicht. Daher werden Patienten der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt rein symptomatisch und supportiv behandelt. Die einzelnen Therapieschritte hängen von den jeweils im Einzelfall vorliegenden Symptomen ab. Den Fokus der Therapie bilden supportive Maßnahmen, die den Verlauf verzögern und die Lebensqualität der Betroffenen damit verbessern sollen.

Zu diesen Maßnahmen zählen vor allem Ergo- und Physiotherapie. Die geistige Entwicklung kann mittels Frühförderung unterstützt werden. Darüber hinaus werden Angehörige der Betroffenen emotional unterstützt. Oft wird Eltern zum Beispiel ein Psychologe oder Psychotherapeut zur Seite gestellt. Kontakte zur Europäischen Vereinigung gegen Leukodystrophien werden hergestellt. Spezielle Sprechstunden bieten auch verschiedene Universitätskliniken an.


Aussicht & Prognose

Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist chromosomal bedingt. Sie tritt in drei unterschiedlichen Formen auf. Über diese entscheiden das Erkrankungsalter und die Ausprägung der Erkrankung bzw. deren Schweregrad. Diese Parameter beeinflussen dann auch die Prognose. An dieser sehr selten auftretenden Erkrankung leiden vornehmlich männliche Patienten.

Bei der angeborenen Erkrankungsvariante sind die gravierendsten Symptome zu verzeichnen. Bricht die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit erst nach der Geburt aus, entwickeln sich die Symptome nach und nach in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Prognose der Übergangsform liegt zwischen der konnatalen und der klassischen Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit. Es kommen jedoch auch mildere Verläufe der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit vor. Je nach vorliegendem Typ fällt die Prognose für diese Erkrankung unterschiedlich aus.

Ohne eine interdisziplinäre Behandlung durch Neurologen, Orthopäden, Physiotherapeuten, Gastroenterologen und Pulmologen kann den Patienten nicht genügend geholfen werden. Der progrediente Krankheitsverlauf ist je nach Phänotyp unterschiedlich. Die Lebenserwartung muss bei Vorliegen der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit nicht unbedingt eingeschränkt sein. Zumindest bei den milderen Verläufen ist sie relativ normal. Oftmals kommt es in der Jugend zu einem langsameren Fortschreiten der Erkrankung. Wie hoch die Lebensqualität sein kann, hängt vom Krankheitsbild ab.

Anders lautet die Prognose für schwer betroffene Menschen. Diese versterben meistens vor dem zwanzigsten Lebensjahr. Bis dahin kann den Betroffenen nur mittels einer symptomatischen Behandlung Erleichterung verschafft werden.

Vorbeugung

Der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit lässt sich bisher nur durch genetische Beratung in der Phase der Familienplanung vorbeugen. Anhängig vom eigenen Vererbungsrisiko kann die Entscheidung gegen ein eigenes Kind fallen. Darüber hinaus kann gegebenenfalls eine pränatale Diagnostik stattfinden.

Nachsorge

Betroffenen stehen bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit meistens nur wenige Maßnahmen und Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung. Bei dieser Krankheit ist in erster Linie eine schnelle und vor allem eine frühzeitige Erkennung der Krankheit sehr wichtig, um weitere Komplikationen oder Beschwerden zu verhindern. Hierbei sollten Betroffene schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Krankheit einen Arzt aufsuchen, um eine weitere Verschlechterung der Beschwerden oder auch weitere Komplikationen zu verhindern.

In der Regel sind die Betroffenen bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit auf Maßnahmen einer Krankengymnastik oder einer Physiotherapie angewiesen, wobei eine Selbstheilung nicht eintreten kann. Viele der Übungen aus diesen Therapien können dabei auch im eigenen Zuhause wiederholt werden. Da es sich dabei um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, sollten Betroffene bei einem Kinderwunsch eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen, damit die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit nicht erneut bei den Kindern und den Nachfahren auftreten kann.

Da die Krankheit auch zu Depressionen und anderen psychischen Verstimmungen führen kann, ist dabei häufig auch die Hilfe und die Unterstützung durch die eigene Familie und durch Freunde sehr wichtig. Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit verringert in der Regel nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Da die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit genetisch bedingt ist, existieren keine Selbsthilfemaßnahmen, die die Störung ursächlich bekämpfen. Die Krankheit manifestiert sich in den meisten Fällen bereits im Kindesalter, so dass es Sache der Eltern und der Familien der Patienten ist, rechtzeitig geeignete Maßnahmen einzuleiten.

Die betroffenen Eltern sollten zunächst dafür Sorge tragen, dass ihr Kind von einem Arzt behandelt wird, der mit dieser relativ seltenen Krankheit Erfahrung hat. Wenn der Hausarzt keinen Experten empfehlen kann, hilft die Ärztekammer weiter. Viele Universitätskliniken unterhalten spezielle Sprechstunden, in denen sich die Patienten und ihre Angehörigen umfassend über die Krankheit und ihren Verlauf informieren können. Für junge Eltern ist es wichtig, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, was auf sie und ihr krankes Kind zukommt. Für gut informierte Eltern ist es leichter, rechtzeitig einen Betreuungsplatz und später eine Schule zu finden, die ihrem Kind die ihm Rahmen seiner Möglichkeiten beste Ausbildung garantiert.

Darüber hinaus ist die Betreuung und das Zusammenleben mit einem behinderten Kind auch für die Angehörigen eine große Herausforderung. Die Betroffenen sollten sich deshalb nicht scheuen, auch für sich selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oft hilft bereits der Austausch mit anderen Betroffenen. Die Europäische Vereinigung gegen Leukodystrophien ist bei der Kontaktaufnahme behilflich.

Quellen

  • Koletzko, B.: Kinder- und Jugendmedizin. Springer Medizin Verlag, Berlin 2007
  • Michaelis, R., Niemann, G.W.: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Thieme, Stuttgart 2010
  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010

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