Neurose

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 2. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Eine Neurose oder neurotische Störung ist eine Sammelbezeichnung für viele verschiedene psychische und seelische Störungen. Meist ergeben sich hierbei keine körperlichen Ursachen. Häufig begleiten diverse Angststörungen die Neurose. Zu trennen ist eine Neurose von ihrem Gegenstück der Psychose. Häufigste neurotische Störungen sind die Angststörung, Zwangsstörung und Hypochondrie.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Neurose?

Zwangsstörungen zeigen sich trotz unterstützender Medikamentation als sehr schwer behandelbar.
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Die Bezeichnung Neurose wird in den heute verwendeten Diagnose-Handbüchern nicht mehr verwendet: Die ICD-10 der WHO kategorisiert unter Neurotische Störungen verschiedener psychische Erkrankungen ohne körperliche Ursache. Phobische Störungen, Angst- und Zwangserkrankungen, Belastungs- und Anpassungsstörungen, dissoziative Störungen, die multiple Persönlichkeitsstörung, somatoforme und „andere neurotische Störungen“ werden hier unter dem Kapitel F 4 zusammengefasst.

Historisch betrachtet definierte William Cullen im Jahre 1776 die Neurose als eine nervlich bedingte funktionelle Erkrankung, der keine organische Ursache zugrunde liegt. In der Tradition der Psychoanalyse entwickelte Sigmund Freud das Konzept einer leichtgradigen psychischen Störung, die durch einen seelischen Konflikt entstand. Freud bezog diesen Konflikt auf unterdrückte Ängste oder sexuelle Problematiken.

Ursachen

Die Verhaltenstherapie sieht die Ursache einer Neurose in einer konditionierten (erlernten) Fehlanpassung. Auslöser sind hierbei so genannte Stressoren, die auf den Organismus traumatisierenden Einfluss haben. Heute versteht man unter einer Neurose meist eine krankhafte Störung der Erlebnisverarbeitung: Die fehlende Verarbeitung eines Konflikts oder die dysfunktionale Wahrnehmung einer auslösenden Situation führt in der Folge zu seelischen, psychosozialen oder körperlichen Symptomen.

Eine organische Beteiligung an der Entstehung einer Neurose wird nicht mehr ausgeschlossen: So werden genetische Dispositionen in "Vulnerabilitäts-Stress-Hypothesen" als mitverursachend beschrieben. Eine gesteigerte Angstbereitschaft bzw. übertriebene Angstreaktion auf neutrale Stimuli zeigt sich als verbindendes Element der einzelnen Störungen trotz ihrer unterschiedlichen Symptomatiken.

Statistisch gesehen machen neurotische Störungen einen Großteil der psychischen Erkrankungen aus. Insbesondere bei den somatoformen Störungen ist das weibliche Geschlecht der mittleren bis oberen Sozialschicht überrepräsentiert, wobei diese Häufung auch auf die Tatsache, dass Frauen häufiger einen Arzt aufsuchen und statistisch leichter erfasst werden können, zurückzuführen sein könnte.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Je nach Art und Schwere kann eine Neurose verschiedene Symptome hervorrufen. Bei einer Panikstörung treten unvermittelt Panikattacken auf, die sich durch starkes Herzklopfen, Atemnot, Schwindel, Brustschmerzen, Zittern, Schweißausbrüche, Mundtrockenheit und Todesangst äußern. Die Anfälle haben scheinbar keinen direkten Auslöser und halten in der Regel nur wenige Minuten an.

Werden nur körperliche Symptome verstärkt wahrgenommen, die das Herz betreffen (erhöhter Puls, Brustschmerzen, Atemnot) spricht der Mediziner von einer Herzneurose. Eine Phobie macht sich durch unbegründete Angst vor bestimmten Situationen, Gegenstände oder Tieren bemerkbar, während die generalisierte Angststörung durch ein über längere Zeit anhaltendes diffuses Angstgefühl ohne bestimmten Auslöser gekennzeichnet ist. Symptome dafür können eine mit Zittern und Ruhelosigkeit einhergehende ständige innere Anspannung, Beklemmungsgefühle, Mundtrockenheit, Schwindel und Schlafstörungen sein.

Anzeichen einer Zwangsstörung kann der unkontrollierbare Drang sein, eine Tätigkeit wie etwa das Händewaschen wiederholt und ohne erkennbaren Grund auszuführen. Auch sich permanent aufdrängende Zwangsgedanken oder der zwanghafte Impuls, sich selbst oder andere zu verletzen, lassen an eine Zwangsstörung denken.

Die Hypochondrie äußert sich durch eine verstärkte Wahrnehmung des eigenen Körpers, auch harmlose Abweichungen von der Norm werden als ernsthafte Störungen wahrgenommen. Körperfunktionen werden permanent überprüft, selbst ein unauffälliges Untersuchungsergebnis bringt den Hypochonder nicht von der Überzeugung ab, ernsthaft erkrankt zu sein.

Krankheitsverlauf

Bezugnehmend auf den Verlauf einer Neurose gilt wie bei vielen psychischen Störungen die Eindrittel-Regel: Ein Drittel der Betroffenen ist in der Lage, weitgehend unbehelligt von der neurotischen Auffälligkeit ein normales Leben zu führen, ein Drittel erlebt kontinuierlich Phasen mit starker behandlungsbedürftiger Symptomatik, ein Drittel ist durch die Erkrankung so beeinträchtigt, dass nur ein soziales Nischendasein möglich ist. Dieses letztgenannte Drittel zeigt sich behandlungsresistent.

Neurosen manifestieren sich hauptsächlich zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr mit einem Gipfel im 3. Lebensjahrzehnt. Die neurotische Depression, heute als Dysthymia bezeichnet, scheint mit ca. 5 % die häufigste Neurose auszumachen. Auch im Kindes- und Jugendalter können sich Neurosen als Früh- oder Brückensymptome zeigen, die teils bis ins Erwachsenenalter bestehen können: Einnässen, Einkoten, Essstörungen, seelisch bedingte Herz- und Atembeschwerden, Ängstlichkeit, soziale Unsicherheit, gestörtes Bindungsverhalten, Zwänge, Phobien, Stottern, Nägelkauen, Aggressivität, Schulschwänzen, etc.

Komplikationen

Die Komplikationen, die mit einer Neurose einhergehen, sind von der Art der Neurose abhängig. So können Neurosen, die etwa auch in das Umfeld Dritter eingreifen (Ordnungswahn, soziophobe Störungen, paranoide Störungen, Hysterien) zu einer sozialen Isolation und zu einem negativen Selbstbild bei den Betroffenen führen. Da sich diese ihrer Neurose durchweg bewusst sind, können Einschränkungen und Isolation negative Empfindungen verstärken.

Neurosen, die nur den Betroffenen selbst zum Ziel haben (Waschzwang, Ordnungszwang bei eigenen Objekten) wirken sich allenfalls zeitverschwendend aus, können aber auch zu Hautirritationen, einer körperlichen Überlastung und ähnlichem führen.

Neurosen bergen ein großes Potenzial, den Betroffenen dauerhaft zu belasten. Die andauernde psychische Belastung führt zu den gleichen Auswirkungen wie dauerhafter Stress. Depressive Tendenzen, Herzprobleme, ein verringertes Selbstwertgefühl und andere Symptome folgen und können behandlungsbedürftig werden.

Einen Sonderfall stellen die Neurosen dar, die sich ausschließlich körperlich bemerkbar machen. So können Herzneurosen, Darmneurosen oder Magenneurosen eine Dauerbelastung für den Körper darstellen und im schlimmsten Fall zu Schmerzen oder anhaltenden Funktionsstörungen der betroffenen Organe führen.


Wann sollte man zum Arzt gehen?

Neurosen sind ernst zu nehmende psychische Erkrankungen, die dazu führen können, dass Betroffene sich und andere Menschen in Gefahr bringen. Für den Laien sind Neurosen nur schwer als solche zu erkennen; allerdings merkt jeder Außenstehende am Verhalten eines betroffenen Menschen, dass es ihm psychisch nicht gut gehen kann. Neurosen können zeitweise oder dauerhaft auftretende Zustände sein - unabhängig davon, in welcher Form sie auftreten, sie bedürfen in jedem Fall schnellstmöglicher psychologischer Hilfe. Häufig werden sich Neurose-Betroffene selbst nicht an einen Arzt wenden, sodass die Angehörigen gefordert sind.

Besteht Grund zur Annahme, dass ein neurotischer Patient sich selbst oder andere verletzen oder gefährden könnte oder gar vorhat, Suizid zu begehen, gibt es die Möglichkeit, ihn zwangsweise in eine psychiatrische Einrichtung einweisen zu lassen. Das dient seinem eigenen Schutz und er wird erst wieder entlassen, wenn er keine Gefahr mehr darstellt. Betroffene, die vorher jede Hilfe verweigert haben, können sich oft erst auf diese Weise helfen lassen und bleiben nach einem so einschneidenden Erlebnis auch in Behandlung. Vorübergehende Neurosen wie etwa im Falle einer postpartalen Störung sind inzwischen so bekannt, dass potenziell gefährdete Patienten vorher über diese Möglichkeit aufgeklärt werden können.

Behandlung & Therapie

Je nach spezifischem Krankheitsbild einer Neurose und theoretischer Ausrichtung haben sich unterschiedliche Therapieverfahren etabliert: Während die Psychoanalyse versucht, frühkindliche Konflikte zu ergründen, konzentriert sich die moderne Verhaltenstherapie auf das Erlernen von Bewältigungsstrategien, die in akuten Konfliktsituationen ein angepasstes Verhalten (und damit Empfinden) erlauben.

Meistens erfolgt, vor Allem bei Zwangs- und Angststörungen, eine Kombination aus einer psychopharmakologischen und verhaltenstherapeutischen Behandlung. Phobien sprechen sehr gut auf so genannte Expositionsmethoden der Verhaltenstherapie an, wobei der Betroffene der Konfrontation mit dem phobischen Stimulus, die in Echt (in vivo) oder in der Vorstellung (in sensu) stattfinden kann, ausgesetzt wird. Zwangsstörungen zeigen sich trotz unterstützender Medikamentation als sehr schwer behandelbar.

Aussicht & Prognose

Die Prognose bei einer Neurose hängt von der Art und Ausprägung der Erkrankung aus. Handelt es sich um organische Neurosen, also um funktionelle Erkrankungen ohne einen erkennbaren Auslöser oder Grund, kann manchmal mit einfachen Eingriffen das Problem behoben werden. Danach treten bestenfalls gar keine Beschwerden mehr auf, oder aber die Beschwerden werden spürbar verringert und die Lebensqualität des Betroffenen kann verbessert werden.

Psychische Neurosen fallen meistens in den Bereich der Persönlichkeitsstörung oder der angelernten Fehlanpassung und lassen sich durch eine geeignete Psychotherapie sowie je nach Bedarf durch die Einnahme von Medikamenten behandeln. Handelt es sich bei der neurotischen Erkrankung um eine Fehlanpassung, ist davon auszugehen, dass der Betroffene sich früher einmal besser an bestimmte Situationen angepasst hat oder diese normale Reaktion zumindest in ihm steckt. Psychotherapie kann helfen, das erlernte Fehlverhalten wieder in gesunde und sozial erwünschte Bahnen zu lenken.

Nach der Behandlung merken Betroffene bestenfalls nichts mehr von der einst dagewesenen Neurose. Persönlichkeitsstörungen dagegen bleiben auch mit Behandlung oft bestehen, allerdings können Betroffene durch verschiedene Therapieansätze einen gesünderen Umgang damit erlernen. Auch Medikamente können helfen, mit den Folgen einer solchen Störung besser zurechtzukommen und den Leidensdruck der Betroffenen langfristig zu verringern. Wichtig für eine gute Prognose ist jedoch die freiwillig Mitarbeit des Betroffenen an der Therapie.

Nachsorge

Bei einer Neurose ist eine konsequente Nachsorge vor allem in der Phase nach Therapieabschluss oft ganz entscheidend, wenn es darum geht, den Behandlungserfolg auch auf lange Sicht zu stabilisieren. Die Nachsorge wird in der Regel mit dem behandelnden Psychologen oder Psychotherapeuten abgestimmt. Ergeben sich Fragen oder Probleme, kann der Patient auch im Rahmen der Nachsorge diese in einer erneuten Sitzung klären.

Die Nachsorge wird optimalerweise exakt darauf abgestimmt, welche Form von Neurose der Patient hat und in welcher Ausprägung sich diese gezeigt hat. Handelt es sich beispielsweise um eine Angstneurose, die im Rahmen einer Verhaltenstherapie behandelt wurde, ist es in der Regel auch in der Nachsorge wichtig, dass der Patient die neu erlernten Verhaltensmuster immer wieder in Eigenregie übt und konsequent in seinen Alltag integriert.

Oft ist eine Selbsthilfegruppe in diesem Zusammenhang der ideale Begleiter. Probleme mit Gleichgesinnten zu besprechen, ist oftmals besonders hilfreich und der Erfahrungsaustausch kann Krisen überwinden helfen und wertvolle Tipps bieten. Auch Entspannung ist für Neurosepatienten wichtig und somit ein wichtiger Baustein in der Nachsorge dieser Erkrankung.

Entspannungsmethoden wie die Progressive Muskelrelaxation und das Autogene Training werden im Idealfall unter Anleitung in einem Kurs erlernt und danach zu Hause selbstständig angewandt. Auch der Besuch von Yogakursen dient der Entspannung.

Das können Sie selbst tun

Da der Begriff „Neurose“ unterschiedlich interpretiert werden kann, sind auch die Möglichkeiten zur Selbsthilfe breit gefächert. Bei vielen neurotischen Störungen zeigen Entspannungsverfahren und Achtsamkeit einen positiven Effekt, u. a. bei Angststörungen, Zwangserkrankungen, verschiedenen Persönlichkeitsstörungen und somatoformen Störungen. Wissenschaftliche abgesicherte Tiefenentspannung bietet zum Beispiel das autogene Training oder die progressive Muskelrelaxation. Beide Verfahren können dazu beitragen, die Symptome langfristig zu reduzieren.

Um ein Entspannungsverfahren zu erlernen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn sich Betroffene die Tiefenentspannung selbst beibringen möchten, können sie auf Bücher oder fundierte Anleitungen aus dem Internet zurückgreifen. Auch Audioaufnahmen mit Instruktionen können helfen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, an einem Entspannungskurs teilzunehmen, der von einem qualifizierten Kursleiter durchgeführt wird. In Deutschland fördern die gesetzlichen Krankenkassen die Entspannung als Primärprävention. Die Kosten für einen Entspannungskurs können deshalb von der Krankenkasse erstattet werden. Die Voraussetzung ist, dass der Kursleiter eine entsprechende Kassenzulassung besitzt. Eine Diagnose muss nicht vorliegen. Die Entspannung sollte auch nach Kursende regelmäßig angewandt werden, damit sie wirksam sein kann.

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen können von einer guten Selbstreflexion im Alltag profitieren. Dabei wenden sie das an, was sie in der Therapie gelernt haben. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann hilfreich sein; allerdings ist darauf zu achten, dass in der Selbsthilfegruppe kein Wettbewerb entsteht.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Laux, G.; Möller, H.: Memorix Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2011
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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