Homocystinurie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Homocystinurie wird eine seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung bezeichnet, die auf einen Enzymmangel zurückzuführen und durch eine erhöhte Homocysteinkonzentration im Blut gekennzeichnet ist. Im Rahmen einer frühzeitigen und konsequenten Therapie lässt sich eine Homocystinurie in der Regel gut behandeln.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Homocystinurie?

Homocystinurie ist auf einen autosomal-rezessiv vererbten Gendefekt zurückzuführen, der einen Mangel verschiedener am Methioninstoffwechsel beteiligter Enzyme nach sich zieht.
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Als Homocystinurie wird eine seltene, genetisch bedingte Aminosäurestoffwechselerkrankung bezeichnet, die auf Defekte verschiedener am Methioninstoffwechsel (essentielle Aminosäure) beteiligter Enzyme zurückzuführen ist.

Homocystein und Homocystin stellen Abbau- bzw. Zwischenprodukte dieses Stoffwechselprozesses dar und werden bei gesunden Menschen unmittelbar weiter verstoffwechselt. Durch das Vorliegen defekter Enzyme ist dies bei von Homocystinurie Betroffenen lediglich eingeschränkt möglich, so dass die Konzentration von Homocystein im Blut und Homocystin im Urin erhöht ist.

Die erhöhte Konzentration dieser als toxisch geltenden Aminosäuren kann zu Schädigungen verschiedener Organsysteme führen. Augenerkrankungen (Linsenluxation, Myopie, Glaukom), Skelettveränderungen (Osteoporose, marfanoide Langgliedrigkeit), Schädigungen des zentralen Nervensystems (psychische und physische Retardation, Krämpfe, zerebrovaskuläre Störungen) sowie des Gefäßsystems (Thromboembolien, Gefäßverschluss) sind charakteristische Folgeerkrankungen einer Homocystinurie.

Ursachen

Homocystinurie ist auf einen autosomal-rezessiv vererbten Gendefekt zurückzuführen, der einen Mangel verschiedener am Methioninstoffwechsel beteiligter Enzyme nach sich zieht. In Abhängigkeit vom spezifisch betroffenen Enzym und Teilprozess des Methioninstoffwechsels werden drei Formen von Homocystinurie unterschieden.

Beim häufigeren Typ I der Homocystinurie liegt ein Mangel des Enzyms Cystathionbetasynthase (CBS) vor, wodurch die Synthese von Cystein aus Methionin gestört ist. Infolgedessen reichert sich Homocystein im Blut (Hyperhomocysteinämie) und Homocystin im Urin (Homocystinurie) an.

Typ II der Homocystinurie kennzeichnet ein Mangel an 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR), die die Methioninsynthese aus Homocystein regelt. Dieser Stoffwechselteilprozess ist bei vom Typ II Betroffenen entsprechend gestört und kann neben der Anreicherung des Serums mit Homocystein auch zu einem Methioninmangel führen.

Typ III der Homocystinurie ist durch einen Cobalaminmangel (Coenzym Vitamin B12) charakterisiert. Cobalamin ist ebenfalls an der Methioninsynthese aus Homocystein beteiligt, so dass ein Mangel ebenfalls eine erhöhte Homocysteinkonzentration im Blut und einen Methioninmangel verursachen kann.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Eine Homocystinurie kann in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten. Die Symptome sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Lebensabschnitt. Vor dem zweiten Lebensjahr treten nur in besonders seltenen Fällen Anzeichen der Erkrankung auf. Abgesehen von charakteristischen Laborbefunden sind Neugeborene mit Homocystinurie unauffällig.

Typischerweise ist der Homocystein-Wert im Blut deutlich erhöht. Dies schädigt die Blutgefäße, was langfristig zur Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) und damit einhergehend zu Embolien und Thrombosen führen kann. Dadurch ist die Lebenserwartung der Betroffenen deutlich limitiert. Das auffälligste Symptom der Stoffwechselstörung im Kindesalter ist ein Vorfall der Augenlinse.

Oftmals geht dieser mit Kurzsichtigkeit einher. Je früher erste Anzeichen der Erkrankung auftreten, desto höher ist das Risiko für psychomotorische Retardierung (geistige Behinderung), die irreversibel ist. Bei den meisten Betroffenen besteht bereits im Kindesalter eine Osteoporose. Die Wirbelsäule flacht dadurch ab und verformt sich allmählich.

Durch den hohen Homocystein-Wert kommt es oftmals zu Hochwuchs und zu Symptomen, die rein äußerlich dem Marfan-Syndrom ähneln können. Dazu zählen etwa das Vorhandensein einer Hühner- und Trichterbrust, eine verlagerte Augenlinse (Linsenluxation oder Linsenektopie), grüner Star (Glaukom), Netzhautablösung sowie Spinnenfingerigkeit (Arachnodaktylie).

Diagnose & Verlauf

Zur Diagnose von Homocystinurie kommen unterschiedliche Laboranalysen zum Einsatz. Wird im Rahmen einer Harnanalyse (bspw. Zyanid-Nitroprussid-Test) eine erhöhte Homocystinkonzentration und/oder verminderte Methioninkonzentration (Typ II und III) festgestellt, kann dies auf eine Homocystinurie hinweisen.

Anhand einer Blutanalyse kann die Homocysteinkonzentration im Serum bestimmt und eine mit Homocystinurie einhergehende Hyperhomocysteinämie diagnostiziert werden. Gesichert wird die Diagnose durch eine Anzüchtung von Zellen aus einer Binde- oder Lebergewebsprobe, wodurch der zugrunde liegende Gendefekt direkt nachgewiesen werden kann.

Der Verlauf einer Homocystinurie kann hinsichtlich der Symptomatik und Folgeerkrankungen individuell verschieden sein. Bei einer frühen Diagnose und einem frühzeitigen Therapiebeginn weist eine Homocystinurie allerdings in der Regel einen günstigen Verlauf sowie eine gute Prognose auf.

Komplikationen

Durch die Homocystinurie kommt es in erster Linie zu starken psychischen Beschwerden, die sich extrem negativ auf das Leben und den Alltag des Patienten auswirken können. In den meisten Fällen tritt dabei eine starke Persönlichkeitsstörung auf, welche von Verhaltensstörungen begleitet wird. Vor allem bei Kindern können diese Störungen zu starken Komplikationen führen.

In der Regel ist der Patient von sozialen Ausgrenzung betroffen und zieht sich aus dem Leben immer mehr zurück. Nicht selten treten dadurch depressive Verstimmungen auf. Weiterhin kommt es zu Beschwerden an den Augen, sodass zum Beispiel ein Grüner Star oder eine Kurzsichtigkeit entstehen können. Ebenso treten verschiedene Erkrankungen der Gefäße schon viel früher auf und können damit zu Einschränkungen der Bewegung führen.

Die Behandlung selbst führt in der Regel nicht zu besonderen Komplikationen und wird mit Hilfe von Medikamenten durchgeführt. Dabei kommt es relativ schnell zu einem positiven Krankheitsverlauf. Auch nach der Behandlung kommt es in den meisten Fällen nicht zu weiteren Beschwerden. Die Lebenserwartung wird bei einer frühzeitigen Behandlung nicht verringert. Psychische Beschwerden können von einem Psychologen unterstützend behandelt werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn Symptome wie Verhaltensstörungen, Thrombosen oder Verzögerungen in der Entwicklung auftreten, muss auf jeden Fall ein Arztbesuch erfolgen. Ebenso sollten Anzeichen einer Osteoporose oder einer Arteriosklerose frühzeitig abgeklärt werden. Ein Arzt muss die Ursache der Beschwerden ermitteln und gegebenenfalls eine Behandlung einleiten. Darum sollten genannte Symptome rasch abgeklärt werden. Personen, bei denen ein Gendefekt vorliegt, sind besonders anfällig für die Entstehung einer Homocystinurie. Betroffene sollten enge Rücksprache mit dem Hausarzt halten und diesen über ungewöhnliche Symptome informieren.

Grundsätzlichen müssen Beschwerden abgeklärt werden, die länger als einige Tage bestehen bleiben oder über einen längeren Zeitraum an Intensität zunehmen. Die charakteristischen Anzeichen einer Homocystinurie entwickeln sich im Normalfall schleichend und werden oft erst erkannt, wenn sich bereits irreversible Erkrankungen eingestellt haben. Umso wichtiger ist es, die Frühsymptome zu erkennen und behandeln zu lassen. Personen, die bei sich oder anderen körperliche oder seelische Veränderungen bemerken, die möglicherweise im Zusammenhang mit Stoffwechselstörungen stehen, sollten zeitnah mit dem Hausarzt sprechen. Weitere Ansprechpartner sind Fachärzte für innere Medizin oder eine Fachklinik für Erbkrankheiten.

Behandlung & Therapie

Die Therapie einer Homocystinurie hängt vom zugrunde liegenden Erkrankungstyp bzw. Enzymdefekt ab und zielt auf die Reduzierung und Beseitigung der erhöhten Konzentration des toxischen Homocysteins. So wird Typ I einer Homocystinurie mit Pyridoxin (Vitamin B6) behandelt, wenn eine Restaktivität des defekten Enzyms vorliegt.

Durch die Substanz wird die Enzymaktivität erhöht und die Homocysteinkonzentration im Blut gesenkt. Etwa 50 Prozent der von diesem Typ Betroffenen sprechen sehr gut auf die orale Therapie mit hoch dosiertem Vitamin B6 an. Daneben wird eine methioninarme und cystinreiche Diät zur Therapieunterstützung empfohlen.

Liegt bei Typ II und III einer Homocystinurie, bei welchen die Methioninsynthese aus Homocystein gestört ist, eine Enzymrestaktivität vor, wird versucht, mit Cobalaminpräparaten (Vitamin B12) die Beeinträchtigung einzuschränken. Bei beiden Formen der Homocystinurie ist ein methioninreicher Ernährungsplan angezeigt.

Zusätzlich wird bei Typ II Folsäure, die sich ebenfalls positiv auf die Aktivität der defekten 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase auswirkt, sowie Methionin und Betain therapeutisch eingesetzt. Unterstützend kommen zur Vermeidung von Gefäßerkrankungen wie Thrombosen und Embolien gerinnungshemmende Medikamente (Acetylsalicylsäure) zum Einsatz.


Aussicht & Prognose

Bei früher Diagnose und intensiver Therapie ist die Prognose der Homocystinurie in der Regel günstig. Heilbar ist die Erkrankung zwar nicht, weil es sich um einen Gendefekt handelt. Allerdings ist im Rahmen der Therapie die dauerhafte Reduzierung der Konzentration von Homocystein und Methionin möglich, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungsstörungen und Komplikationen deutlich verringert.

Der Ausprägungsgrad der Homocystinurie kann vielgestaltig sein. Es gibt Formen der Erkrankung, die zunächst unauffällig sind und auch sonst mild verlaufen. Allerdings besteht auch hier bereits in einem Alter ab 20 oder 30 Jahren ein größeres Risiko für die Entwicklung von Arteriosklerose, Thrombosen, Embolien, Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Wenn die Homocysteinkonzentration jedoch bereits im Säuglingsalter sehr hoch ist, besteht ohne intensive Behandlung eine große Gefahr von körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen des Kindes. Eine geistige Behinderung kann schon in den ersten beiden Lebensjahren deutlich werden. Oft leiden die betroffenen Kinder auch an einer Osteoporose. Bei bis zu 70 Prozent der unbehandelten Kinder entwickeln sich Augenprobleme, die ihren deutlichsten Ausdruck in einem Vorfall der Augenlinse findet. Als weitere Folgen für die Augen können Grüner Star, extreme Kurzsichtigkeit, Netzhautablösung und Erblindung auftreten. Werden schwere Formen der Erkrankung zu spät oder gar nicht behandelt, entwickeln sich bei außerdem 30 Prozent aller Patienten in einem Alter unter 20 Jahren Thrombosen und Embolien.

Vorbeugung

Da Homocystinurie eine genetisch bedingte Erkrankung darstellt, kann dieser nicht vorgebeugt werden. Jedoch lassen sich bei einem frühzeitigen Therapiebeginn die Folgeerkrankungen von Homocystinurie verhindern bzw. einschränken. Darüber hinaus besteht für Betroffene im Rahmen einer pränatalen Diagnostik (Fruchtwasseranalyse) die Möglichkeit, ihr ungeborenes Kind auf Homocystinurie testen zu lassen. Auch Geschwistern von Betroffenen wird empfohlen, sich auf Homocystinurie untersuchen zu lassen.

Nachsorge

Abhängig von der Art des Enzymdefekts, der für die Stoffwechselstörung ursächlich ist, sind im Rahmen der Nachsorge einer Homocystinurie eine ganze Reihe von Maßnahmen sinnvoll und notwendig. Bei einer Homohystinurie Typ I muss der Patient, begleitend zur ärztlichen Gabe von Vitamin B6, eine vitaminreiche Diät einhalten. Vitamin B6 erhöht die Aktivität des defekten Enzyms und führt in der Folge zu einer geringeren Konzentration von Homocystein im Blut.

Die Diät muss dauerhaft eingehalten werden, damit dieser Effekt beibehalten wird. Selbiges gilt für den Verzehr von cystinreichen und methioninarmen Speisen. Bei einer Homocystinurie Typ II muss die Diät ebenfalls weiterhin durchgeführt werden, um langfristige Effekte zu erzielen. Daneben gelten während der Nachsorge regelmäßige Verlaufskontrollen. Der Arzt muss die Aktivität der betroffenen Enzyme prüfen und gegebenenfalls die Therapie anpassen.

Da die Homocystinurie in aller Regel keine schwerwiegende Erkrankung ist, genügen ärztliche Kontrollen in einem Abstand von drei bis sechs Monaten. Bei schweren Störungen sollte nach Abschluss der eigentlichen Therapie monatlich ein Facharzt konsultiert werden. Ergänzend dazu muss auf ungewöhnliche Symptome geachtet werden, da die Stoffwechselstörung langfristig weitere Erkrankungen hervorrufen kann, die behandelt werden müssen.

Das können Sie selbst tun

Je nachdem welche Art von Enzymdefekt der Homocystinurie zugrunde liegt und welche Therapie der Arzt anwendet, kann der Patient selbst einiges tun, um die Beschwerden zu lindern.

Wichtig ist zunächst eine cystinreiche Diät. Der Betroffene sollte vor allem Reis, Nüsse, Sojabohnen und Haferprodukte verzehren. Auch in Wassermelonen, Sonnenblumenkernen und Grüntee ist der Wirkstoff enthalten. Der Arzt wird außerdem Vitamin-B12-Präparate verschreiben, um die Beeinträchtigung einzuschränken. Der Betroffene kann diese Maßnahmen unterstützten, indem er gemeinsam mit einem Ernährungsmediziner einen methionreichen Ernährungsplan erstellt und diesen konsequent umsetzt. Lebensmittel mit einem hohen Eiweißgehalt wie Eier oder Fleisch sollten vermieden werden. Erlaubt sind eiweißarme Lebensmittel, einschließlich Obst, Gemüse und eiweißarme Nudeln, Brot oder Mehl aus dem Fachhandel. Diese Diät sollte ebenfalls mit verschiedenen B-Vitaminen sowie Folsäure unterstützt werden.

Nachdem die Erkrankung abgeklungen ist, sollte der Patient weitere Kontrolluntersuchungen durchführen lassen. Bei der Homocystinurie handelt es sich um eine lebenslange Erkrankung, die einer regelmäßigen Abklärung in einem spezialisierten Behandlungszentrum bedarf. Durch eine engmaschige Kontrolle können Probleme mit dem Stoffwechsel frühzeitig erkannt und behandelt werden, bevor sich Komplikationen ergeben.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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