Poltern

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Poltern ist eine Redeflussstörung, die wie das Stottern zu den psychischen Verhaltensstörungen zählt. Die Patienten sprechen nicht flüssig, verschlucken oft Silben und verschmelzen gerne Worte, sodass andere sie nicht verstehen. Zur Behandlung der Patienten findet eine Kombination aus psycho-sozialer Therapie und logopädischen Schritten statt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Poltern?

Das Poltern ist wie das Stottern eine Redeflussstörung. Die Ursachen sind bisher unbekannt.
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Sprache ist das menschliche Ausdrucksmittel Nummer 1. Der Sprachausdruck ist ein hochkomplizierter Prozess, an dem unterschiedlichste Organe und anatomische Strukturen beteiligt sind. Die Zunge, der Gaumen und der Rachen sind für das Sprechen zum Beispiel unersetzlich. Ebenso unersetzlich sind bestimmte Teile des Gehirns.

Abgesehen vom Wernicke- oder Sprach-Zentrum sind am Sprachausdruck unterschiedlichste Kognitionsfähigkeiten innerhalb von multiplen Hirnbereichen der rechten und linken Hirnhälfte beteiligt. Sprachhandlungen bedürfen außerdem einer gewissen Aufmerksamkeit, einem bestimmten Maß an Wahrnehmungsfähigkeit und Erinnerungsvermögen. Vor diesem Hintergrund sind an der Produktion von situativ angemessenen, korrekten und sinnvollen Sätzen fast alle Bereiche des menschlichen Gehirns beteiligt.

So komplex die Sprachhandlung mit ihren neuronal vielfältigen Vernetzungen ist, so viele Sprachstörungen existieren. Die mitunter häufigste ist das Stottern. Eine etwas unbekanntere Sprechstörung ist das Poltern, das auch als Battarismus, Tachyphemie, Tumultus sermonis oder Paraphrasia praecepsv betitelt wird. Die Sprachflussstörung ist bislang nicht abschließend erforscht.

Ursachen

Da kaum Forschung mit Bezug zum Poltern existiert, bleibt die Ursache der Redeflussstörung ungeklärt. Einzig und allein Hypothesen bestehen zur Ätiologie. In früheren Jahren wurde das Poltern für eine Verhaltensstörung gehalten.

Mittlerweile vermutet die Medizin allerdings eine Kombination aus Wahrnehmungsstörung, Verarbeitungsstörung, Kontrollstörung, Planungsstörung und Timingstörung hinter der Erkrankung. Trotz der bis heute ungeklärten Ätiologie stuft das ICD-10 das Poltern als eine Krankheit aus der Gruppierung der psychisch bedingten Verhaltensstörungen ein. Unter dieser Gruppe wird die Sprachstörung der Untergruppe andersartiger Verhaltensstörungen und emotionaler Störungen zugerechnet, die ihren Beginn in Kindheit und Jugend nehmen.

Differenzialdiagnostisch ist die Redeflussstörung in diesem Zusammenhang vom Stottern und den Tic-Störungen abzugrenzen, die ebenfalls unter diese Gruppe gefasst werden. Das Poltern kann als Sprachablaufstörung neben psychischen Ursachen auch rein körperliche Ursachen haben und ist in diesem Zusammenhang vor allem mit degenerativen Erkrankungen wie Demenz assoziiert.


Krankheiten mit diesem Symptom

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Patienten mit Poltern sprechen schwer verständlich. Ihre Sprache ist durch Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, die in gestörten Sprechrhythmus münden. Ruckhafte Anläufe und fehlerhafte Satzmuster kennzeichnen die Sprache der Betroffenen. ÜberhasteteS Sprechen ist ebenso charakteristisch wie Lautverschmelzung im Sinne von Elision.

Unbetonte Silben werden oft verschluckt. Die Sprache klingt nicht fließend und voll von Interjektionen und Revisionen im Sinne von Satzumstellungen. Polternde Patienten wirken beim Sprechen wenig engagiert und können die eigene Störung in der Situation nicht unmittelbar identifizieren. Als sekundäre Symptome können unorganisierte Sprache, Bewusstseinsmangel über das Sprechtempo und den Redefluss sowie Lernschwierigkeiten vorliegen.

Die Betroffenen sind leicht abzulenken und oft hyperaktiv. Ihre Aufmerksamkeitsspanne für auditive Verarbeitung ist reduziert. Zu den obligativen Symptomen zählen abnorme Sprechgeschwindigkeit mit Tendenz zum Stocken, Silben- und Lautverschmelzung, Lautersetzung, Lautveränderung, Versprecher und Embolophrasien wie Floskeln, Satzabbrüche, Dehnungen oder Wiederholungen.

Als fakultative Symptome gelten begleitsymptomatisch zusätzliche Sprachstörungen und Sprachgestaltungsschwächen, Störungen der Semantik und Wortfindung, pragmatische Störungen durch gestört soziales Sprachverhalten sowie Aufmerksamkeitsstörungen.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose des Polterns wird von einem Logopäden gestellt. Nach dem Erstkontakt erhebt der Logopäde Spontan-Sprach-Proben und grenzt das Poltern differenzialdiagnostisch vom Stottern ab. Kinder bis sieben Jahre werden auf ihr Sprachverständnis geprüft.

Darüber hinaus findet eine Testung der oralen Diadochokinese statt. Der Logopäde führt außerdem Untersuchungen zur Sprechtempovariation und kommunikativ-pragmatischen Fähigkeit des Patienten durch. Davon abgesehen, wird die auditive Merkfähigkeit für Silben-Folgen und Zahlen getestet. Anhand eines Lesetextes prüft der Logopäde die Deutlichkeit der Artikulation und die sprachliche Strukturierungsfähigkeit.

Nach diesem Ersttermin wird ein Folgetermin für eine weiterführende Diagnostik vereinbart. Unter bestimmten Umständen muss zusätzlich eine neurologische oder psychiatrische Diagnostik stattfinden. Die Prognose hängt von der Ursache der Störung ab.

Komplikationen

Poltern geht vor allem mit einer Vielzahl psychosozialer Probleme einher. Wird das Poltern nicht logopädisch behandelt, so treten für die Betroffenen gerade im Bereich der sozialen Bindungen Schwierigkeiten auf. Soziale Isolation, Rückzug vom sozialen Umfeld bis hin zum völligen Abbruch aller Kontakte und des Arbeitsplatzes können die Folge sein.

Polterer werden vom Umfeld häufig gemieden, da soziale Interaktion mit ihnen als unangenehm empfunden wird. Die Betroffenen polarisieren im Gespräch häufig stark, lassen den Gesprächspartner nicht zu Wort kommen und verlieren beim Erzählen oft den "roten Faden". Einem Polterer zuzuhören fällt somit schwer und wird als anstrengend empfunden, sodass sie in der Folge häufig gemieden werden.

Eine solche negative soziale Erfahrung führt bei den Polterern zudem zu einem erhöhten Störungsbewusstsein, das sich zusätzlich schlecht auf die Akzeptanz der Störung und der Motivation, etwas daran zu ändern, auswirkt. Natürlich führt eine intensive logopädische Behandlung ebenfalls zu einem hohen Störungsbewusstsein, jedoch kann im Zuge der Therapie dann an der Akzeptanz und Identifikation der Störung gearbeitet werden.

Erhöhte Frustration ist eine weitere Folge der Therapie von Poltern, in deren Verlauf die Patienten sich des vollen Ausmaßes der Störung erst bewusst werden. Eine bessere Organisation und Planungsfähigkeit muss erlernt werden, was den meisten Betroffenen im Verlauf des Polterns fehlte. Zudem bringt die Selbstreflexion über das eigene Sprechtempo und die Sprechkontrolle zunächst viele Schwierigkeiten mit sich, wie zum Beispiel eine innere Abwehrhaltung oder eine deutliche Erstverschlimmerung der Symptome.

Zu einer Erstverschlimmerung beim Poltern kommt es während der Therapie meist dadurch, dass die Patienten zunächst einmal lernen müssen, sich selbst zu beobachten und zu kontrollieren - eine Fähigkeit, die ihnen bisher fehlte.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Poltern ist eine Sprechstörung, die sich oft bereits im Kindesalter zeigt. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass Eltern die sprachliche Entwicklung ihres Kindes beobachten. Beim Verdacht auf Poltern ist es sinnvoll, frühzeitig professionellen Rat einzuholen – denn eine frühe Intervention erweist sich beim Poltern in der Regel als günstig. Oft empfiehlt es sich, das Problem beim Kinderarzt anzusprechen, zum Beispiel bei einer Vorsorgeuntersuchung.

Spätestens dann, wenn das Kind regelmäßig poltert, ist ein Besuch beim Kinderarzt sinnvoll. Zeigt sich das Poltern hingegen nur einmalig (zum Beispiel bei einem isolierten Ereignis, das für das Kind sehr aufregend ist), ist für gewöhnlich keine Intervention erforderlich.

Anders sieht es aus, wenn das Poltern an spezifische Situation gebunden ist. Wenn das Poltern nur in bestimmten Situationen auftritt, dort aber regelmäßig vorkommt, ist ärztlicher Rat ebenfalls hilfreich. Möglicherweise leidet das Kind in diesem Fall nicht unter Poltern oder einer anderen Sprechstörung, sondern unter anderen Problemen. Dabei kommt zum Beispiel eine Angststörung in Betracht, die sprachliche Auffälligkeiten ebenfalls erklären kann.

Unabhängig davon, wie häufig das Poltern auftritt, kann die Sprechstörung den Betroffenen psychisch belasten. Auch bei großem Stress ist es deshalb sinnvoll, mit einem Arzt über das Problem zu sprechen. In vielen Fällen lassen sich die Symptome lindern oder beheben.

Behandlung & Therapie

Zur Behandlung von psychischen Sprechstörungen wie Stottern existieren feste Therapiepläne. Bei Polternden verhält es sich etwas anders, da die Störung für einen festen Plan noch nicht ausreichend erforscht ist. Obwohl also kein festgelegter Therapieplan zur Behandlung der Patienten existiert, werden so gut wie alle Patienten mit polternder Sprache in Fluency-Shaping-Programmen betreut.

In diesen Programmen findet zunächst eine Therapie der psychosozialen Problematiken statt. Polternde Sprache kann psychodynamische Ursache haben, aber sie kann auch selbst zu psychosozialen Problemen führen, da die Patienten von ihrem Umfeld nicht mehr verstanden werden. Um eine Verschlechterung der psychischen Situation auszuschließen, muss vor allem in diese Richtung therapiert werden.

Gleichzeitig findet oft eine Behandlung des Redeflusses statt. Gemeinsam mit dem Logopäden arbeiten die Patienten vor allem weil am Sprechtempo. Sie üben verschiedene Sprechgeschwindigkeiten, wobei die Pausensetzung zu beachten ist. Neben Aussprache und der Silbenausprägung sind alle anderen, eventuell vorhandenen Sprachprobleme Bestandteil der Therapie.

Da das Poltern unter bestimmten Umständen mit Stottern vergesellschaftet sein kann, findet häufig auch eine dahingehende Therapie statt. Bei neurologischer Vorgeschichte wird zusätzlich eine ursächliche Therapie in Abhängigkeit von der neurogenen Schädigung durchgeführt.

Aussicht & Prognose

Ob das Poltern bei einem Patienten behandelt werden kann oder nicht, hängt stark vom psychischen Zustand des Betroffenen ab und kann daher nicht universell vorausgesagt werden. In vielen Fällen führt das Poltern allerdings zu sozialen Problemen. Vor allem bei Kindern kann aufgrund des Polterns Mobbing und eine soziale Ausgrenzung auftreten. Dies führt in extremen Fällen zu psychischen Problemen. Der Alltag des Patienten wird durch das Poltern eingeschränkt und die Lebensqualität nimmt ab.

Eine Behandlung ist nur eingeschränkt möglich, da das Symptom oft durch ein psychisches Problem ausgelöst wird. Daher findet die Behandlung auch begleitend bei einem Psychologen statt. Männer sind in der Regel stärker vom Poltern betroffen als Frauen.

Die Behandlung mit Hilfe einer Sprachtherapie kann in vielen Fällen zu einem Erfolg führen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Poltern nicht angeboren ist und durch ein bestimmtes Ereignis aufgetreten ist. Nicht selten haben die Betroffenen Schwierigkeiten, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Dies kann ebenso zu Problemen bei der Arbeitsstelle führen.

Bei den meisten Menschen tritt neben dem Poltern auch eine Legasthenie auf, die nur beschränkt behandelt werden kann.


Vorbeugung

Ausgeprägtem Poltern lässt sich vorbeugen, indem Eltern mit ihren Kindern bei ersten Sprachauffälligkeiten einen Logopäden aufsuchen. Andere Vorbeugemaßnahmen existieren bislang nicht, da die Ursachen der Erkrankung dazu noch unzureichend erforscht sind.

Das können Sie selbst tun

Betroffene haben im Alltag zahlreiche Möglichkeiten, ihre Sprechweise zu beeinflussen. Beim Stottern leiden die Betroffenen umso mehr, je intensiver sie sich auf ihr Sprechen konzentrieren und es versuchen zu beeinflussen. Die Symptome wie Blockaden oder Wiederholungen verstärken sich dann.

Einem Polterer hilft es hingegen, wenn er sich vor dem Sprechen konzentriert und bewusst sein Sprechtempo reduziert. Eine aufrechte Haltung ist wichtig, um die notwendige Körperspannung aufzubauen, die für eine gute Sprechatmung und ausgewogene Artikulation nötig ist. Polterer können besonders gut im Stehen oder beim ruhigen Gehen sprechen. Im Sitzen ist es ratsam, sich aufzurichten, ohne dabei die Stuhllehne zu benutzen.

In der Kommunikation mit anderen sollte der Polterer versuchen, den Blickkontakt zu halten. Die Reaktionen des Sprechpartners spiegeln klar, ob alles Gesagte verstanden wurde. Ein fragender Blick sollte also das Signal sein, die Äußerung noch einmal langsam und mit deutlichen Artikulationsbewegungen zu wiederholen. Als kleine Übungen für zwischendurch eignen sich Lockerungsübungen für den ganzen Körper, Dehnungen und auch erlernte Entspannungsverfahren. Auch Wangen, Lippen, Zunge und der Unterkiefer sollten immer mal gelockert werden. Solche Übungen werden in logopädischen Therapien vermittelt und sind schnell erlernbar.

Quellen

  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Möller, H.J., et al.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Thieme, Stuttgart 2011

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