Mitgähnen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Mitgähnen bezeichnet das Phänomen, dass einander nahe Menschen sich mit ihrem Gähnen anstecken können. Gähnt einer, gähnt auch der andere. Das Mitgähnen wird nach heutigem Stand der Forschung als Ausdruck von Sympathie verstanden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Mitgähnen?

Das Mitgähnen bezeichnet das Phänomen, dass einander nahe Menschen sich mit ihrem Gähnen anstecken können.

Bei manchen Menschen lässt sich beobachten, dass sie auf den auslösenden Reiz hin beginnen, mit einem anderen Menschen mitzugähnen. Besonders oft lässt sich das Mitgähnen bei Menschen beobachten, die einander nahe stehen oder einander zumindest gut kennen.

Gähnen ist dabei kein Zeichen von Sauerstoffmangel, wie lange Zeit vermutet wurde, sondern es steht in Zusammenhang mit Müdigkeit und kann bei Langeweile auftreten. Die genauen Ursachen des Gähnens sind noch weitestgehend unbekannt, jedoch steht fest, dass das Gähnen Mitmenschen anstecken kann.

Als sehr wahrscheinlich gilt, dass das Mitgähnen ein Zeichen von Empathie ist und unterbewusst von den Mitmenschen wahrgenommen wird. Empathische Menschen gähnen auch dann mit, wenn sie ihr gähnendes Gegenüber nicht gut kennen. Das Mitgähnen hat für den Menschen also nicht die gleiche Funktion wie das initiale Gähnen, sondern dient eher als unterbewusstes Signal von Sympathie an einen Mitmenschen.

Funktion & Aufgabe

Das Gähnen selbst kann eine Reihe von Funktionen erfüllen. Manche psychologische Schulen gehen etwa davon aus, dass es eine Funktion in der Verarbeitung negativer Emotionen erfüllt. Andere Theorien gehen etwa vom Gähnen als Methode zur Thermoregulation des Körpers aus.

Das Mitgähnen erfüllt sehr wahrscheinlich gleiche Funktionen, allerdings kommt hier noch die gruppendynamische Komponente hinzu. Wahrscheinlich zeigt das Mitgähnen den Mitmenschen unterbewusst Sympathie. Studien haben bereits zeigen können, dass besonders empathiebegabte Menschen sogar dann gähnen, wenn ein ihnen unbekannter Mensch gähnt. Gar nicht wurde das Mitgähnen dagegen beobachtet bei Störungen der Empathiefähigkeit, etwa bei Psychopathie oder bei anderen vergleichbaren Persönlichkeitsstörungen.

Natürlich findet ein Mensch sein Gegenüber nicht alleine durch das Mitgähnen sympathisch, auch wird die Wirkung des Mitgähnens nicht bewusst wahrgenommen.

Es handelt sich um unterbewusste Kommunikation und tritt in ähnlicher Form auch im Tierreich bei Arten auf, die zu Gruppenverhalten neigen. Damit liegt die Vermutung nahe, dass Menschen und Tiere das Mitgähnen auch zum Aufbau von sozialen Gefügen nutzen.

Zusätzlich wurde gerade bei Primatengesellschaften beobachtet, dass das Zeigen der Zähne beim Gähnen oder Mitgähnen eine wichtige Rolle im sozialen Zusammenhalt der Individuen zu spielen scheint. Das Mitgähnen in dieser Form ist eine Reaktion auf den Anblick der Zähne eines anderen Primaten. Eine einzige Ursache fürs Mitgähnen scheint es nicht zu geben, ähnlich wie für das auslösende Gähnen eines Mitmenschen. Es scheint sich jedoch um ein evolurionäres Überbleibsel aus der Zeit zu handeln, in der auch der Mensch in kleinen Gruppen jagte und auf den sozialen Zusammenhalt in seiner Gemeinschaft angewiesen war, die es ständig neu zu untermauern galt.


Krankheiten & Beschwerden

Das Gähnen wird in der westlichen Kultur oft als Ausdruck von Langeweile, Müdigkeit und Desinteresse verstanden. Dass das Mitgähnen wahrscheinlich das genaue Gegenteil hiervon ist, hat sich noch nicht in der gesellschaftlichen Wahrnehmung durchgesetzt, weshalb Gähnen und Mitgähnen gleichermaßen kaschiert oder ganz unterdrückt werden.

Zusammen mit anderen ausbleibenden unterbewussten Signalen der Sympathie kann das fehlende Mitgähnen auch zum unterbewussten Eindruck ausbleibender Sympathie führen. Das menschliche Gehirn achtet auf feinste Signale der Körpersprache, um zu deuten, ob Sympathie besteht oder nicht.

Ein fehlendes Mitgähnen wurde bei Vorhandensein psychischer Erkrankungen wie der Psychopathie und anderen sogenannten "dunklen" Persönlichkeitszügen beobachtet. Derartige Erkrankungen schalten das Empathie-Empfinden des Menschen aus und erlauben ihm somit auch nicht, echte Sympathie für die Mitmenschen zu empfinden und auszudrücken.

Ein noch so vertrauter Mensch könnte gähnen, bei solchen Erkrankungen blieben das Mitgähnen des Betroffenen aus. Ähnliche Beobachtungen wurden bei autistischen Kindern gemacht, auch sie gähnen nicht mit, wenn ihnen Videos gähnender Menschen vorgespielt werden. Bei ihnen liegt die Begründung ebenfalls darin, dass sie nicht das gleiche Empathie-Empfinden haben und somit keine Signale wie das Mitgähnen aussenden.

Sehr häufiges scheinbares Mitgähnen sollte in Verbindung mit weiteren Symptomen vorsichtig beobachtet werden. Vielfaches Gähnen ist in seltenen Fällen ein Symptom von Krankheiten wie der multiplen Sklerose, der Strahlenkrankheit, einer Migräne (sehr selten) oder kommt beim Drogenentzug vor. Selbst, wenn es nur wie harmloses Mitgähnen wirkt, kann es zusammen mit anderen spezifischeren Symptomen auf ein gesundheitliches Problem hindeuten.

Die Einnahme mancher Medikamente kann das Gähnen oder Mitgähnen ebenfalls verstärken, darunter sind Wirkstoffe wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Lidocain oder Benzodiazepine. Insgesamt ist das Mitgähnen jedoch selten ein Symptom mit Krankheitswert und sollte vielmehr als harmloses, unterbewusstes Signal und evolutionäres Überbleibsel verstanden werden.

Quellen

  • Becker-Carus, C., Wendt, M.: Allgemeine Psychologie. Springer 2. Auflage, Berlin 2017
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Poeck, K., Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010

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