Mukopolysaccharidose

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Mukopolysaccharidose ist ein Sammelbegriff für lysosomale Speicherkrankheiten, die auf der Speicherung von Glykosaminoglykanen beruhen. Alle Erkrankungen entwickeln ähnliche Symptome und Verlaufsformen. Die Schweregrade der Syndrome variieren sehr stark.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Mukopolysaccharidose?

Der endgültige Verlauf ist schließlich immer der Gleiche. Es kommt zu fortschreitenden Deformationen des Skelettsystems, zu Gelenkkontrakturen, zur Vergröberung der Gesichtszüge sowie zu Vergrößerung von Leber und Milz.
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Eine Mukopolysaccharidose als einzelne Erkrankung gibt es nicht. Die Bezeichnung Mukopolysaccharidose stellt einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Speicherkrankheiten dar. Diese beruhen auf Speicherstörungen von Glykosaminoglykanen (GAG) in den Lysosomen der Zellen. Die Speicherung erfolgt progredient, weil der Abbau der Verbindungen nicht funktioniert.

Alle Mukopolysaccharidosen sind genetisch bedingt. Bei jeder Erkrankung fehlt ein spezifisches Enzym, welches den Abbau des entsprechenden GAGs katalysiert. Alle Mukopolysaccharidosen sind sehr seltene Erkrankungen und weisen oft ähnliche Verläufe auf. Unbehandelt zerstören die ständig zunehmenden Ablagerungen die Zellen. Dabei werden die Organe zerstört. Die Erkrankung kann sowohl bereits im Säuglingsalter als auch im Erwachsenenalter beginnen.

Die Mukopolysaccharidose kann durch vier verschiedene Gruppen von Glykosaminoglykanen verursacht werden:

  • Heparansulfat
  • Keratansulfat
  • Chondroitinsulfat
  • Dermatansulfat.

Alle Glykosaminoglykane bestehen aus einer Polysaccharidkette, die mit einem Protein verbunden ist. Dabei macht der Kohlenhydratanteil 95 Prozent und der Proteinanteil fünf Prozent der Molekularmasse aus. Je nachdem, welches Glykosaminoglykan und welches Enzym betroffen ist, kann bei den Mukopolysaccharidosen zwischen sechs verschiedenen Hauptformen unterschieden werden: Dazu zählen Morbus Hurler / Scheie (MPS I), Morbus Hunter (MPS II), Morbus Sanfilippo (MPS III), Morbus Morquio (MPS IV), Morbus Maroteaux-Lamy (MPS VI) und Morbus Sly (MPS VII). Bei allen Typen gibt es schwer und mild verlaufende Formen.

Ursachen

Die Ursache für alle Mukopolysaccharidosen ist eine zunehmende Speicherung von Glykosaminoglykanen (GAGs) in den Lysosomen der Zellen. Der Abbau der entsprechenden Biopolymere ist gestört. Für jede einzelne Störung fehlt entweder ein bestimmtes Enzym oder dieses Enzym funktioniert fehlerhaft. Dabei kann es für jedes Enzym auch mehrere Mutationen geben. Die Vererbung der entsprechenden Mutation kann autosomal rezessiv, autosomal dominant oder x-chromosomal rezessiv sein.

Da ein enzymatischer Prozess meist über mehrere Reaktionsschritte erfolgt, können theoretisch für das gleiche Glykosaminoglykan mehrere Enzyme mutiert sein. Die Symptome der Störung wären aber gleich oder ähnlich.

  • Bei MPS I, dem Morbus Hurler oder Morbus Scheie, ist das Enzym Alpha-l-Iduronidase defekt.
  • MPS II stellt das Huntersyndrom dar mit einer defekten Iduronat-2-Sulfatase.
  • Das Sanfilippo-Syndrom (MPS III) kann gleich in mehrere Subtypen eingeteilt werden. Bei dieser Erkrankung können mehrere Enzyme betroffen sein.
  • Der Morbus Morquio (MPS IV) wird durch eine defekte β-Galactosidase verursacht.
  • Beim Maroteaux-Lamy-Syndrom (MPS VI) ist es die N-Acetyl-Galaktosamin-4-Sulfatsulfatase.
  • Morbus Sly (MPS VII) wird durch fehlerhafte β-Glucuronidase hervorgerufen. Bei der Speicherung der entsprechenden Glykosaminoglykane in den Lysosomen werden diese immer größer.

Dabei vergrößern sich auch die Zellen, weil sie immer mehr Platz für nicht abgebaute GAGs benötigen. Das macht sich auch in der Vergrößerung vieler Organe bemerkbar. Ein typisches Symptom ist die ständige Vergrößerung der Leber und der Milz. Unbehandelt führen die Speicherkrankheiten zum Tod durch die allmähliche Zerstörung der Organe.

Symptome, Beschwerden und Anzeichen

Die Symptome sind bei allen Erkrankungen ähnlich. Dabei gibt es schwere und milde Verlaufsformen. Eine milde Verlaufsform bedeutet jedoch nur, dass die Erkrankung langsamer voranschreitet. Der endgültige Verlauf ist schließlich immer der Gleiche. Es kommt zu fortschreitenden Deformationen des Skelettsystems, zu Gelenkkontrakturen, zur Vergröberung der Gesichtszüge sowie zu Vergrößerung von Leber und Milz.

Die geistigen und motorischen Fähigkeiten nehmen kurz- oder langfristig ab. Bei den schweren Formen der Störungen ähneln sich die Krankheitsbilder sehr stark. Schon frühzeitig kommt es zu Nabel- und Leistenbrüchen, zu Herzproblemen und Atemwegsinfekten. Mit der Zeit entwickeln sich durch die Verengung der Atemwege sowie durch die Vergrößerung von Gaumen- und Rachenmandeln massive Schlafapnoeprobleme.

Diagnose und Krankheitsverlauf

Diagnostiziert werden können die Mukopolysaccharidosen durch eine Untersuchung des Urins auf ausgeschiedene Glykosaminoglykane. Bei einer Mukopolysaccharidose sind die Werte immer erhöht. Des Weiteren kann die Aktivität des vermuteten defekten Enzyms in den Leukozyten oder Fibroblasten bestimmt werden. Ein bestimmtes Ausscheidungsmuster der Glykosaminoglykane lenkt den Verdacht auf ein entsprechendes Enzym, welches dann untersucht wird.

Komplikationen

Durch die Mukopolysaccharidose leiden die Betroffenen an verschiedenen Fehlbildungen und Beschwerden am Skelett. Dabei treten Deformationen auf, die den Alltag des Patienten erheblich einschränken können. In der Regel sind auch die Gelenke von der Mukopolysaccharidose betroffen, sodass es zu Einschränkungen in der Bewegung des Patienten kommt.

Vor allem Kinder sind dabei betroffen und leiden an einer stark verzögerten Entwicklung, sodass es auch im Erwachsenenalter zu verschiedenen Folgeschäden kommen kann. Nicht selten führt die Mukopolysaccharidose auch zu Beschwerden am Herzen oder bei der Atmung. Dabei kann es im schlimmsten Falle durch einen plötzlichen Herztod zum Tode des Betroffenen kommen. Durch die Atembeschwerden leiden die Patienten an einer Müdigkeit und an einer Abgeschlagenheit.

Auch die Belastbarkeit der Betroffenen sinkt enorm ab. Nicht selten können Atembeschwerden in der Nacht zu Schlafbeschwerden und damit zu Depressionen führen. Die Lebensqualität des Patienten wird durch die Mukopolysaccharidose erheblich verringert. Eine kausale Behandlung dieser Krankheit ist leider nicht möglich. Die Betroffenen sind daher auf Knochenmarkspender angewiesen, um die Beschwerden behandeln zu können. Dabei treten keine besonderen Komplikationen auf. Allerdings sind die Patienten in den meisten Fällen auf eine lebenslange Therapie angewiesen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Veränderungen und Auffälligkeiten des Körperbaus weisen auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung hin. Ein Arztbesuch ist notwendig, sobald es zu dauerhaften optischen Besonderheiten kommt oder der Betroffene Mühe hat, seine Körperhaltung willentlich zu optimieren. Schwellungen der Gelenke, Veränderungen der Gesichtszüge oder Vergrößerungen des Brustkorbs sollten intensiv ärztlich untersucht werden, damit eine Diagnosestellung ermöglicht wird. Kommt es zu Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten, Unregelmäßigkeiten der alltäglichen Willkürkontrolle sowie einer Abnahme der körperlichen wie geistigen Leistungsfähigkeit, wird ein Arzt benötigt. Bei Störungen des Herzrhythmus, Problemen der Atemtätigkeit sowie Unterbrechungen während des Nachtschlafs ist ein Arzt zu konsultieren.

Schwellungen am Hals, ein Engegefühl im Rachen, Störungen des Schluckaktes sowie Veränderungen der Lautgebung gelten als besorgniserregend. Sie müssen von einem Arzt begutachtet werden, damit eine Linderung der Beschwerden eingeleitet werden kann. Erleidet der Betroffene vermehrt Infektionen, sinkt die Konzentrations- und Aufmerksamkeitskapazität oder kommt es wiederholt zu Nabel- sowie Leistenbrüchen, ist ein Arzt auf die Beobachtungen hinzuweisen.

Plötzliche Hautunreinheiten, eine Gelbfärbung des Hautbildes sowie eine innere Unruhe sind untersuchen und behandeln zu lassen. Ein Arzt wird benötigt, sobald es zu Schmerzen im Körper, einer verminderten Lebensqualität sowie Verhaltensauffälligkeiten kommt. Droht eine Atemnot, wird ein Rettungsdienst benötigt. Um diesem akuten Zustand vorzubeugen, sollte möglichst frühzeitig ein Arzt konsultiert werden.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Therapie ist heute noch nicht möglich. Allerdings gibt es in Forschungsprojekten einige Ansätze zu einer künftigen Gentherapie dieser Erkrankungen. Derzeit stehen greifbare Ergebnisse auf diesem Gebiet leider noch aus. Allerdings soll beim Morbus Hurler eine klinische Studie in Barcelona zur Gentherapie starten. Bei einigen Formen der Mukopolysaccharidosen haben sich in Einzelfällen Knochenmarksübertragungen bewährt. Das betrifft beispielsweise den Morbus Hunter, den Morbus Hurler oder Morbus Sanfilippo.

Durch diese Knochenmarksübertragung werden die kranken Stammzellen gegen gesunde Stammzellen eines Spenders ausgetauscht. Dadurch kann der Organismus das fehlende Enzym wieder in ausreichendem Maße herstellen. Auch eine Enzymersatztherapie zahlt sich in vielen Fällen aus. Allerdings muss diese Ersatztherapie lebenslang durchgeführt werden. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen keine Erfolg versprechenden Therapien mehr möglich sind. Hier geht es jedoch darum, symptomatische Behandlungen durchzuführen.


Aussicht & Prognose

Die weitere Entwicklung bei Patienten mit einer Mukopolysaccharidose ist individuell zu bewerten. Es handelt sich bei diesem Begriff um eine Sammelbezeichnung von verschiedenen Speicherkrankheiten. Diese sind bei jedem Patienten unterschiedlich stark vorhanden und in ihrer Intensität individuell ausgeprägt. Wird keine medizinische Versorgung eingeleitet, werden die inneren Organe im Verlaufe der Lebenszeit bei allen Betroffenen allmählich zerstört. Dies hat eine Verkürzung der durchschnittlich erwartbaren Lebenszeit zur Folge.

Bei einer frühen Diagnosestellung kann eine persönlich optimierte Therapie erarbeitet werden. Diese ist gebunden an die gesundheitlichen Voraussetzungen und vorhandenen Beschwerden des Patienten. Eine Langzeitbehandlung ist grundsätzlich notwendig, um eine stabile Verbesserung des gesundheitlichen Befindens zu erreichen. Es kann zu operativen Eingriffen kommen, die jeweils mit unterschiedlichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind. Verläuft die Operation ohne weitere Komplikationen, ist im Anschluss im Normalfall eine Linderung der Beschwerden zu beobachten.

Dennoch kann es im Verlaufe des Lebens zu ungewollten Entwicklungen und Rückschlägen kommen. In Einzelfällen kann dann nur eine Knochenmarktransplantation eine Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität erwirken. Aufgrund der Gesamtumstände erlebt der Patient eine starke emotionale und seelische Belastung. Eine normale Alltagsgestaltung ist häufig aufgrund der Beschwerden nicht möglich. Psychische Folgeerkrankungen können auftreten und zu einer weiteren Verschlechterung der Situation führen.

Vorbeugung

Da die Mukopolysaccharidosen erblich bedingte Erkrankungen sind, ist eine Vorbeugung nicht möglich. Bei bestehender Erkrankung kann durch eine rechtzeitige Therapie der Behandlungserfolg gesichert werden. Des Weiteren ist eine ständige Kontrolle der Lungen- und Herzfunktion erforderlich. Wenn in der Familie bereits Fälle von Mukopolysaccharidose aufgetreten sind, kann bei Kinderwunsch durch eine humangenetische Beratung das Risiko der Erkrankung abgeschätzt werden.

Nachsorge

Bei der Mukopolysaccharidose stehen dem Patienten in den meisten Fällen nur wenige Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung, sodass der Betroffene bei dieser Erkrankung in erster Linie schon frühzeitig einen Arzt aufsuchen sollte. Nur bei einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung dieser Krankheit können auch weitere Komplikationen verhindert werden, sodass schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen ein Arzt kontaktiert werden sollte.

In den meisten Fällen sind die Betroffenen auf operative Eingriffe angewiesen, welche die Beschwerden lindern und einschränken können. Da es sich bei der Mukopolysaccharidose allerdings um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, kann diese in der Regel nicht vollständig geheilt werden.

Daher sollte der Betroffene bei einem Kinderwunsch zuerst einen Arzt aufsuchen, um das erneute Auftreten dieser Krankheit bei den Kindern zu verhindern. Häufig ist auch die Unterstützung der eigenen Familie während der Behandlung sehr wichtig. Dadurch können auch Depressionen und andere psychische Verstimmungen verhindert werden. Eventuell kommt es durch die Mukopolysaccharidose zu einer verringerten Lebenserwartung des Betroffenen, wobei der weitere Verlauf sehr stark vom Zeitpunkt der Diagnose abhängig ist.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten der Selbsthilfe bei Mukopolysaccharidose sind darauf begrenzt eine Linderung der Symptome und damit eine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen. Als sehr hilfreich haben sich Selbsthilfegruppen gezeigt, da der Austausch mit anderen Eltern sowohl wertvolle Tipps offenbart, als auch Ängste und Bedenken oftmals mildern und einen positiveren Blick in die Zukunft geben kann.

Die Begleitung zu Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und anderen Therapieformen, welche oftmals auch im häuslichen Umfeld vertieft werden können, sind fortan fester Lebensbestandteil.

Um sich und dem betroffenen Kind das Leben möglichst zu erleichtern, ist es ratsam das Wohnumfeld möglichst frühzeitig behindertengerecht einzurichten. Mit zunehmendem Alter und Gewicht des Kindes erweisen sich höhenverstellbare Pflegebetten als große körperliche Entlastung für die pflegenden Personen. Epilepsie-Warngeräte und weitere technische Hilfsmittel ermöglichen auch nachts die bestmögliche Sicherheit und entlasten die Eltern nachts, damit diese entspannter schlafen können.

Das Führen eines Symptom-Tagebuchs kann dem Arzt dabei helfen neue Symptome zu erkennen und die Behandlung vorhandener Symptome möglicherweise zu korrigieren, da eine medikamentöse Therapie oftmals nicht die erwünschte, sondern die gegensätzliche Wirkung aufzeigt.

Da die Erkrankung die Angehörigen stark fordert, müssen diese sich selbst kleine Freiräume schaffen, um Kraft zu tanken. Hierzu können Kuren, Verhinderungspflege oder später auch ein Urlaub im Hospiz zählen.

Quellen

  • Greten, H., Rinninger, F., Greten, T. (Hrsg.): Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2010
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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