Heterophorie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Heterophorie wird ein latent vorhandenes Schielen verstanden, das nur bei einäugigem Sehen erkennbar ist. Bei beidäugigem Binokularsehen wird der latent vorhandene Sehfehler durch die motorische und sensorische Ausrichtung der beiden Augen über aktive Muskelkraft unwillkürlich kompensiert. Wenn das binokulare Sehen unterbrochen wird und die Blickrichtung beider Augen nicht mehr aufeinander abgestimmt werden kann, kommt es bei den meisten Menschen zu einer leichten Divergenz in den Blickachsen der beiden Augen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Heterophorie?

In den weitaus meisten Fällen ist eine Heterophorie nur schwach ausgeprägt. Fehler in der Nicht-Parallelität der beiden Blickachsen bei Akkommodation auf die Ferne werden durch den motorisch-sensorischen Stellmechanismus bei binokulärem Sehen symptomlos korrigiert.
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Bei Ausrichtung beider Augen auf einen Punkt in der Ferne sorgen unsere motorischen und sensorischen Stellmechanismen beider Augen über die äußeren Augenmuskeln für eine exakt parallele Ausrichtung der beiden Blickachsen.

Ohne diese Stellmechanismen käme es ansonsten zu einem unscharfen Bild oder sogar zu einer Doppelabbildung. Wenn der weit entfernte Punkt auf uns zukommt und wir ihn weiter mit beiden Augen fixieren, werden beide Blickachsen allmählich um einige Bogensekunden und bei extremer Nähe um mehrere Winkelgrade aktiv nach innen gedreht.

Wenn die aktive Ausrichtung der Blickachsen bei Fixierung eines Punktes in der Ferne ausbleibt und damit auch der motorische Stellmechanismus der Augen, kommt es bei etwa 80 Prozent der Menschen zu einer leichten Verdrehung der Blickachse des nicht-aktiven Auges. De facto ist dadurch der Tatbestand eines leichten Schielens gegeben.

Die Abweichung der Blickachse des inaktiven Auges kann dabei um alle drei räumlichen Achsen leicht nach innen, nach außen oder nach oben oder unten verdreht sein. Auch Kombinationen der dejustierten oder entkoppelten Blickachsen zwischen innen/ außen und oben/ unten sind möglich. In der Regel handelt es sich bei der Heterophorie nur um wenige Bogensekunden bis wenige Winkelgrade, um die die Blickachsen von der Parallelität abweichen.

Ursachen

Als Auslöser und Verursacher der Heterophorie werden drei mögliche Verursacherkomplexe verantwortlich gemacht, nach denen das latente Schielen benannt und klassifiziert wird. Es wird zwischen einer statischen, einer akkommodativen und einer neurogenen Heterophorie unterschieden. Zum statischen Ursachenkomplex werden alle anatomischen Komponenten wie Augenhöhle (Orbita) und Lage und Beschaffenheit des Halteapparates des Augapfels gezählt.

Akkommodative Heterophorien können durch Refraktionsfehler oder durch eine bestimmte Form der Weitsichtigkeit verursacht werden. Neurogene Faktoren für die Entstehung einer Heterophorie können in nervösen Weiterleitungsproblemen von Sehimpulsen bestehen.

Auch eine gestörte Weiterverarbeitung der Signale in Ganglien oder im ZNS kann als Ursache in Frage kommen. Es kommt dadurch zu einer eingeschränkten oder einer gänzlich ausgefallenen „Bildverarbeitung“. Eine verminderte neurologische Verarbeitung der neuronalen Impulse führt in der Regel auch zum Unvermögen der sensorischen Bildfusion beider Augen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

In den weitaus meisten Fällen ist eine Heterophorie nur schwach ausgeprägt. Fehler in der Nicht-Parallelität der beiden Blickachsen bei Akkommodation auf die Ferne werden durch den motorisch-sensorischen Stellmechanismus bei binokulärem Sehen symptomlos korrigiert. Erst bei stärker ausgeprägter Heterophorie wird die äußere Augenmuskulatur durch den aktiven Stellmechanismus so beansprucht, dass sich unspezifische Symptome zeigen.

Einige der beobachteten Symptome und Anzeichen können sich beispielsweise in Form einsetzender Kopfschmerzen und in unscharfem Sehen bestehen, weil der unbewusste Stellmechanismus die äußere Augenmuskulatur überfordert ist. Bei noch stärker ausgeprägter Heterophorie können sich zusätzlich auch Schwindelgefühle, Konzentrationsmangel und eine erhöhte Blendempfindlichkeit einstellen.

Typischerweise treten die Anzeichen und Symptome, die unter dem Begriff Asthenopie zusammengefasst werden, erst im Laufe des Tages auf. Das hängt sehr wahrscheinlich mit allmählichen Ermüdungserscheinungen der äußeren Augenmuskulatur zusammen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Im Normalfall, in dem keine Symptome einer Heterophorie auftreten, bleibt diese Art der Fehlsichtigkeit unentdeckt und folgenlos. Erst, wenn sich jeweils im Tagesverlauf zunehmende Symptome zeigen, empfiehlt sich eine diesbezügliche Untersuchung und Abklärung. Gebräuchliche Geräte, mit denen jegliche Art von Schielen (Strabismus) untersucht und differentialdiagnostisch abgeklärt werden, sind Sehzeichenprojektor, Haploskop und das wesentlich komplexer aufgebaute Phasendifferenzhaploskop.

Die latente Fehlsichtigkeit einer Heterophorie zeigt normalerweise keinen weiteren Verlauf, weil sie häufig von Geburt an aufgrund anatomischer Besonderheiten besteht. In den Fällen, in denen sie aufgrund von Nervenkrankheiten oder aufgrund von Erkrankungen der äußeren Augenmuskulatur erworben wurde, hängt der Verlauf von der weiteren Entwicklung der Grunderkrankung ab.

Komplikationen

Bei der Heterophorie kommt es in der Regel zu einem Schielen beim Patienten. Durch das Schielen können vor allem Kinder betroffen sein, die nicht selten zu Mobbing oder zu Hänseleien führen. Die Lebensqualität des Patienten wird im Allgemeinen verringert und der Alltag erschwert. Nicht selten treten durch die Heterophorie Schwindelgefühle auf, da der Patient nur unscharf sehen kann.

Durch die Sehbeeinträchtigungen werden auch die täglichen Tätigkeiten erschwert und eingeschränkt. Weiterhin kommt es in vielen Fällen zu Kopfschmerzen oder zum sogenannten Doppelsehen oder Schleiersehen. Auch die Konzentration nimmt durch die Erkrankung ab, was sich vor allem bei Kindern negativ auf den Alltag und auf die schulischen Leistungen auswirken kann. Viele Betroffene fühlen sich schwindelig und weisen eine verstärkte Lichtempfindlichkeit auf.

Bei der Behandlung der Heterophorie treten in der Regel keine besonderen Komplikationen auf. Die Behandlung findet vor allem durch Sehhilfen oder durch einen operativen Eingriff statt und führt nicht zu weiteren Komplikationen. Allerdings können die operativen Eingriffe in den meisten Fällen erst im Erwachsenenalter durchgeführt werden, weswegen Kinder noch auf die Sehhilfen angewiesen sind.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Die Heterophorie hat bei vielen Menschen keinen Krankheitswert und muss nicht behandelt werden. Bis zu 80% der Menschen leben mit der Diagnose einer Heterophorie und bemerken im Alltag keinerlei Einschränkungen oder Beschwerden. Da sie sich selbst als symptomfrei bezeichnen, wird in diesen Fällen keine ärztliche Versorgung benötigt. Der Gang zum Arzt ist erst notwendig, sobald es zu Störungen der Sehkraft oder anderen Beschwerden kommt. Bei dem Sehen von Doppelbildern oder einem unscharfen Sehen, ist ein Arzt aufzusuchen.

Wird das Sichtfeld als verschwommen oder unklar wahrgenommen, empfiehlt es sich, einen Arzt zu konsultieren. Nehmen die Beschwerden der Sehkraft im Laufe der Zeit an Intensität oder Umfang zu, sollte unverzüglich ein Sehtest durchgeführt werden. Steigt das allgemeine Unfallrisiko oder kommt es vermehrt zu Fehleinschätzungen von Entfernungen, ist ein Arztbesuch notwendig. Können gewohnte Beschriftungen von Verkehrsschildern nicht mehr entziffert werden, ist dies ein Hinweis auf eine Minderung der Sehfähigkeit, der nachgegangen werden sollte.

Bei anderen Beschwerden wie Kopfschmerzen, einem Druckgefühl im Kopf oder bei brennenden Augen, sind diese Symptome mit einem Arzt zu besprechen. Kommt es zu Störungen der Konzentration, einer erhöhten Reizbarkeit oder setzt die Müdigkeit trotz ausreichendem Nachtschlaf verfrüht ein, sind weitere Untersuchungen zur Klärung der Ursache anzuraten.

Behandlung & Therapie

Für behandlungswürdige Heterophorien bestehen grundsätzlich drei unterschiedliche Therapieformen. Als passive Therapie kommt die Nutzung einer individuell angefertigten Brille in Frage. Die latente Fehlsichtigkeit kann zur Gänze oder zu einem Teil durch die Brillengläser ausgeglichen werden. Hierdurch wird der motorisch-sensorische Stellmechanismus der Augen entlastet, so dass die typischen Ermüdungserscheinungen ausbleiben und sich die Symptome zügig zurückbilden.

In anderen Fällen kann bereits ein spezielles Sehtraining zum Erfolg führen. Es handelt sich dabei um ein gezieltes Augenmuskeltraining, mit dem vor allem Konvergenzschulung, also Einwärtsbewegungen der Augen (Nahakkommodation) und die Vermeidung von Doppelbildern trainiert werden. Neben vielen weiteren Übungen umfasst die Sehschulung auch visuelle Entspannungsübungen. Die dritte Form einer Therapie besteht in einem operativen Eingriff, der vor allem Korrekturen an den äußeren Augenmuskeln betrifft.

Die Korrekturen werden so angesetzt, dass die Sehachsen der beiden Augen nach dem Eingriff in entspanntem Zustand möglichst parallel liegen. Hierdurch wird die Augenmuskulatur bei der Fernakkommodation entlastet, so dass sich keine Ermüdungserscheinungen mehr zeigen sollten.


Aussicht & Prognose

Die Prognose der Heterophorie ist als günstig einzustufen. In vielen Fällen tritt bereits nach einigen Stunden eine Spontanremission auf. Der Patient erlebt häufig keinerlei Beschwerden. Die Sinnesreize werden trotz des Schielens im Gehirn korrekt verarbeitet, so dass der Betroffene keine Beeinträchtigungen erlebt. Das Schielen wird von anwesenden Personen wahrgenommen, obgleich der Betroffene in den Momenten keine nennenswerten Veränderungen des Sehvermögens erlebt.

Oftmals ist eine vollständige Genesung bereits bei einem ausreichenden Nachtschlaf gegeben. Das Auge ist aufgrund einer Überanstrengung oder einer Übermüdung nicht mehr in der Lage, eine volle Funktionsfähigkeit zu präsentieren. Nach einem erholsamen Schlaf kommt es zu einer Regenerierung der Störfaktoren und daher tritt im Anschluss die volle Leistungsfähigkeit wieder ein.

Wurde die Heterophorie durch einen starken Alkoholkonsum ausgelöst, ist eine vollständige Rückbildung an den Abbauprozess der Schadstoffe aus dem Organismus gebunden. Mit Folgeschäden des Auges oder einer dauerhaften Störung des Sehvermögens ist bei einer Heterophorie nicht zu rechnen. Vielmehr wird der Vorgang des Schielens als ein Hinweis des Körpers für eine Überforderung angesehen. Sie tritt bei nahezu jedem Menschen im Verlauf des Lebens auf und wird als nicht besorgniserregend betrachtet. Tritt die Heterophorie häufiger aus, sollte dennoch die auslösende Ursache naher betrachtet werden, da meist grundsätzlicher Handlungsbedarf besteht.

Vorbeugung

Direkt vorbeugende Maßnahmen, die die Entstehung einer Heterophorie verhindern könnten, sind nicht existent. Die Krankheit bildet sich aufgrund genetisch bedingter leichter Anomalien unmittelbar nach der Geburt heraus oder sie wird durch spezielle neuronale oder muskuläre Erkrankungen erworben. Das bedeutet, dass nur indirekt wirkende vorbeugende Maßnahmen denkbar sind, die das Risiko, einer entsprechenden Muskel- oder Nervenkrankheit minimieren.

Nachsorge

Betroffene sind bei der Heterophorie in erster Linie auf eine schnelle und vor allem auf eine frühzeitige Diagnose angewiesen, da nur dadurch weitere Komplikationen oder eine weitere Verschlechterung der Symptome verhindert werden kann. Es kann dabei auch nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen, sodass eine Behandlung in jedem Falle durchgeführt werden muss. Weitere Maßnahmen einer Nachsorge stehen Betroffenen in der Regel nicht zur Verfügung.

Vor allem Eltern müssen die Krankheit bei ihren Kindern schon früh erkennen und dann auch sofort einen Arzt aufsuchen. In den meisten Fällen werden die Beschwerden der Heterophorie dabei durch das Tragen einer Brille relativ gut gelindert. Dabei müssen Betroffene ihre Brille oder auch Kontaktlinsen dauerhaft tragen, damit sich die Fehlsichtigkeit nicht noch weiter verstärkt.

Ebenfalls sind regelmäßige Untersuchungen und Kontrollen durch einen Augenarzt sehr sinnvoll. In einigen Fällen ist jedoch auch ein operativer Eingriff notwendig. Nach einem solchen Eingriff muss sich der Betroffene ausruhen und seinen Körper schonen. Hierbei ist von Anstrengungen oder von körperlichen Tätigkeiten abzusehen, um den Körper nicht unnötig zu belasten. In der Regel wird durch die Heterophorie die Lebenserwartung des Betroffenen nicht verringert.

Das können Sie selbst tun

Eine Heterophorie muss nicht immer ärztlich behandelt werden. Bei leichtem Schielen genügt oft bereits ein gezieltes Augenmuskeltraining. Dieses spezielle Sehtraining wird von einem Facharzt angeleitet und kann zuhause selbstständig fortgeführt werden. Begleitend dazu kommen visuelle Entspannungsübungen zum Einsatz, wie zum Beispiel die visuelle Meditation oder ähnliche Maßnahmen.

Wenn das Schielen Symptome wie Kopfschmerzen oder Schwindelgefühle hervorruft, hilft es meist schon, die Augen für einige Minuten zu schließen. Bei starken Beschwerden kann zu pflanzlichen Heilmitteln gegriffen werden. Kopfschmerzen lassen sich beispielsweise durch ätherische Öle lindern. Auch Mineralerde kann das Pochen reduzieren und zugleich Schwindelgefühlen vorbeugen. Bei mangelnder Konzentration sollte viel Wasser getrunken werden. Eine bewährte Alternative aus der Homöopathie ist das Mittel Belladonna, welches in Rücksprache mit einem Heilpraktiker eingenommen werden kann.

Sollten die Beschwerden zunehmen, muss eine Heterophorie allerdings operativ behandelt werden. Dann besteht die beste Selbsthilfemaßnahme darin, das betroffene Auge nach dem Eingriff zu schonen. Nach den Vorgaben des Arztes können spezielle Pflegeprodukte zum Einsatz kommen, die das gereizte Auge entspannen und eine Infektion verhindern. Sollten sich Anzeichen einer Entzündung bemerkbar machen, muss der zuständige Augenarzt informiert werden.

Quellen

  • Augustin, A.J.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 2007
  • Burk, A. et al.: Checkliste Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2011
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014

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