Goldenhar-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Goldenhar-Syndrom (Dysplasia oculoauricularis oder okulo-aurikulo-vertebrale Dysplasie) ist ein seltener, angeborener Defekt. Er bezeichnet eine Kombination von Fehlbildungen, die das Gesicht betreffen. Sie treten meist einseitig auf und können sehr unterschiedlich ausfallen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Goldenhar-Syndrom?

Symptome können eine Gaumen-, Lippen- oder Zungenspalte sein, eine einseitig verkleinerte Zunge, Zahnanomalien, Nierenanomalien und Ankylosen (Gelenksteife).
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Das Goldenhar-Syndrom ist eine angeborene Fehlbildung, die zu den Kiemenbogensyndromen zählt und schätzungsweise eines von 3000 bis 5000 Neugeborenen betrifft. Es führt zu Missbildungen im Gesicht, die meistens eine Gesichtshälfte betreffen. Diese reichen von der Ohrmuscheldysplasie bis hin zu Fehlbildungskomplexen im Augen- und Ohrenbereich, im Bereich des Gesichts, des Kiefers und der Wirbelkörper. Zudem können Nieren und Herz betroffen sein.

Ursachen

Die Ursachen für das Goldenhar-Syndrom sind unklar und ihre Erforschung ist noch nicht abgeschlossen. Inwiefern es sich um genetische Ursachen handelt, ist bisher ungeklärt. Die meisten Fälle treten sporadisch auf, ein bis zwei Prozent innerhalb einer Familie. Bisher konnten keine Abnormalitäten in der DNS nachgewiesen werden. Wahrscheinlich entsteht die Fehlbildung im Uterus durch eine Unterbrechung der Blutversorgung oder durch Blutungen, die in den Geweben auftreten.

Dadurch kommt es zu kombinierten Entwicklungsstörungen im ersten und zweiten Kiemenbogen, in den Kiemenfurchen und in den Anlagen des Schläfenbeins. Als Zeitpunkt wird die vierte bis achte Schwangerschaftswoche angenommen. Wie schwer das Goldenhar-Symptom ausfällt, hängt sowohl vom Zeitpunkt als auch von der Schwere der Schädigung ab. Als Ursache werden weiterhin schädigende Substanzen wie Drogen, bestimmte Medikamente oder Insektizide/Herbizide vermutet.

Aber auch das fetale Alkoholsyndrom, Schwangerschaftsdiabetes oder hormonelle Störungen sind unter Verdacht, den Ausbruch der Krankheit zu begünstigen. Möglich ist zudem, dass Hämatome im Bereich der Kiemenbögen für die Schädigungen zuständig sind. Die Ursachen für die Hämatome sind unterschiedlich. In Frage kommen unter Anderem erhöhter Druck in den Blutgefäßen, Mangelversorgung mit Sauerstoff oder blutdrucksteigernde Medikamente.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Ausprägungen des Goldenhar-Syndroms fallen sehr unterschiedlich aus. Nicht jedes Symptom muss vorhanden sein und die Symptome fallen bei jedem Betroffenen anders aus. Die Mehrheit der vom Goldenhar-Syndrom Betroffenen weisen eine einseitige Gesichtsasymmetrie und eine Ohrmuschelfehlbildung auf. Ihr Unterkiefer ist auf einer Seite des Gesichts verkürzt, das Kinn zur erkrankten Seite hin verschoben. Der betroffene Mundwinkel steht höher und das Jochbein ist unterentwickelt. Das Kinn ist fliehend.

Ein weiteres Symptom ist ein epibulbäres Dermoid, ein gutartiger Tumor am Unterlid des Auges und/oder ein Lipodermoid, ein Bindehautgeschwulst. Viele Betroffene haben Präaurikularanhänge, Anhängsel vor der Ohrmuschel, bestehend aus Haut, Knorpel oder Bindegewebe. Vielfach ist die Mundspalte auf einer Seite übermäßig breit (Makrostomie). Vom Goldenhar-Syndrom ebenfalls betroffen ist die Wirbelsäule. Fehlbildungen kommen hier häufig im oberen Wirbelsäulenbereich und in den Halswirbeln vor.

Weitere Symptome können eine Gaumen-, Lippen- oder Zungenspalte sein, eine einseitig verkleinerte Zunge, Zahnanomalien, Nierenanomalien und Ankylosen (Gelenksteife). Hinzu kommen Hörprobleme oder –störungen, die die sprachliche und geistige Entwicklung beeinträchtigen können. In etwa 15 Prozent der Fälle besteht eine geistige Behinderung. Zwei Drittel der Patienten mit Goldenhar-Syndrom sind männlich. Die rechte Körperhälfte ist öfter betroffen als die linke. Bei manchen Goldenhar-Patienten (bis zu 33 Prozent) tritt das Symptom an beiden Körperhälften auf.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose des Goldenhar-Syndroms erstellen die Kinderärzte klinisch zusammen mit einem Facharzt für Klinische Genetik oder Humangenetik. Keines der einzelnen Symptome ist für die Diagnosestellung unverzichtbar. Bei der Diagnose werden die Symptome unter anderem abgegrenzt von denen des Treacher-Collins-Syndroms (Dystosis mandibulofacialis) und von denen des Wildervanck-Syndroms.

In der Regel wird innerhalb der ersten sechs Lebensmonate das Ausmaß der Hörstörungen – von geringer Schwerhörigkeit bis hin zu einseitiger Gehörlosigkeit – diagnostiziert. Die meisten Kinder, die mit dem Goldenhar-Syndrom geboren werden, haben eine normale Lebenserwartung.

Komplikationen

Durch das Goldenhar-Syndrom kommt zu einer Reihe von unterschiedlichen Fehlbildungen, die in den meisten Fällen im Gesicht auftreten. In der Regel kommt es zu einer Asymmetrie im Gesicht, welche bei fast allen Patienten vorliegt. Darüber hinaus tritt auch eine Fehlbildung der Ohrmuschel auf, welche zu Einschränkungen des Hörvermögens führen kann. Nicht selten kommt es durch das Goldenhar-Syndrom auch zur Ausbildung eines gutartigen Tumors im Bereich der Augen.

Es tritt eine Gaumenspalte auf und im Mundraum kommt es zu Fehlbildungen an den Zähnen. Diese können zu starken Schmerzen führen. Weiterhin führt das Syndrom zu geistigen Beschwerden und Behinderungen, sodass viele Patienten auf die Hilfe anderer Menschen im Alltag angewiesen sind. Falls der Patient weiterhin nicht an anderen Beschwerden oder Krankheiten leidet, kommt es nicht zu einer verringerten Lebenserwartung.

Eine kausale Behandlung des Goldenhar-Syndroms ist allerdings nicht möglich, weswegen nur die Symptome eingeschränkt werden können. Dies geschieht meistens mit Hilfe von operativen Eingriffen oder Therapien, wobei es nicht zu weiteren Komplikationen kommt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Nimmt die werdende Mutter während der Schwangerschaft Störungen der Durchblutung wahr, sollte sie einen Arzt aufsuchen. Hat die Schwangere Blutungen oder stellt sich das Gefühl ein, dass Bereiche des Körper nicht ausreichend durchblutet werden, ist ein Arztbesuch erforderlich. Die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen innerhalb einer Schwangerschaft sollten grundsätzlich vollständig wahrgenommen werden. Bei den Kontrollen können durch die ausgereiften technischen Möglichkeiten frühzeitig Unregelmäßigkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder Anomalien des ungeborenen Kindes festgestellt werden.

Grundsätzlich ist es ratsam, wenn die Schwangere einen Arzt konsultiert, sobald sie das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmen könnte. Bei einem stationären Aufenthalt wird unmittelbar nach der Entbindung umfangreiche Untersuchung des Neugeborenen eingeleitet. Krankenschwestern und Entbindungsärzte überprüfen den Gesundheitszustand des Babys. Die Fehlbildung wird dabei diagnostiziert, sodass Eltern und Angehörige keine weiteren Maßnahmen ergreifen müssen.

Findet eine Hausgeburt statt, übernimmt eine Hebamme die ersten Kontrolluntersuchungen des Säuglings. Sie ergreift ebenfalls selbständig weitere Maßnahmen beim Sichtkontakt der optischen Veränderungen im Gesicht. Kommt es zu einer unerwarteten und plötzlichen Geburt ohne ein medizinisches Pflegepersonal, sollten Mutter und Kind unmittelbar nach der Niederkunft einen Arzt konsultieren. Ratsam ist das Rufen eines Krankenwagens, damit schnellstmöglich eine medizinische Kontrolle sowie Behandlung stattfinden kann.

Behandlung & Therapie

Die Fehlbildungen werden beim Goldenhar-Syndrom chirurgisch behandelt. Hierbei werden sowohl Körperfunktion als auch Erscheinungsbild in die Behandlung einbezogen. Ab etwa drei Jahren engt die Kieferfehlbildung oft die Atemwege ein, wodurch eine rekonstruktive Operation nötig wird. Der Kiefer wird aus einer Rippe oder durch Streckung des Knochens rekonstruiert. Zahnfehlstellungen werden vom Kieferorthopäden korrigiert.

Präaurikulare Anhänge und größere Dermoide werden entfernt. Die plastische Chirurgie korrigiert das Jochbein und die Unterkiefervorverlagerung. Die Mundwinkel werden korrigiert und die Weichteile der Wange der betroffenen Gesichtshälfte werden durch Eigenfetttransplantation aufgebaut. Zudem kann das Ohr rekonstruiert werden und die Augen werden, je nach Befund, behandelt. Ist das Goldenhar-Syndrom mit Taubheit verbunden, erfolgt eine Sprachtherapie.

Schon in frühem Kindesalter werden Hörprüfungen durchgeführt und, wenn nötig, Hörhilfen verabreicht. Treten Herzfehler auf, ist auch hierbei eine Behandlung nötig. Kinder mit Goldenhar-Syndrom sind durch die äußere Fehlbildung auch innerlich betroffen. Als Folge von Kränkungen und dem Bewusstsein der Deformität entstehen psychische Beeinträchtigungen in Form von reaktiven Störungen. Eine psychologische Unterstützung ist daher Teil der Behandlung und hilft, die psychosozialen Belastungen zu bewältigen.

Durch notwendige Operationen kommen Schmerzerfahrungen hinzu, die psychologisch begleitet werden. Ein Psychologe sorgt ebenfalls dafür, dass Kinder, die vor einer Operation stehen, realistische Erwartungen an die Resultate entwickeln. Zudem erhalten Eltern psychologische Hilfestellungen. Kinder, deren geistige Entwicklung betroffen ist, benötigen schon zeitig Rehabilitationsmaßnahmen. Diese stimulieren ihre geistige Entwicklung und schließen kontinuierliche Betreuung und Behandlung mit ein.

Aussicht & Prognose

Die Prognose des Goldenhar-Syndroms ist ungünstig, wenngleich es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten gibt und die Erkrankung in den meisten Fällen zu keinem plötzlichen Ableben des Neugeborenen führt. Die angeborene Störung ist gekennzeichnet von Fehlbildungen im Gesicht sowie der Wirbel.

Diese treten individuell auf und zeigen sich bei jedem Patienten in einer anderen Intensität. Eine Korrektur der Missbildungen ist mit Hilfe chirurgischer Eingriffe möglich. Dabei steht die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Mittelpunkt, damit Kiefer, Rachen und Hals zu keinen lebensbeeinträchtigenden Konsequenzen führen.

Trotz aller derzeitigen medizinischen Möglichkeiten bleiben nach einer Operation Narben und Unregelmäßigkeiten der Optik erhalten. Bei einigen Patienten müssen mehrere Eingriffe vorgenommen werden, damit eine Optimierung der körperlichen Funktionen erreicht wird. Dies kann zu psychischen Störungen führen. Damit birgt das Goldenhar-Syndrom das Risiko von Folgeerkrankungen. Eine vollständige Regenerierung der Fehlbildung ist nur in Ausnahmefällen gegeben. Vielmehr ist zusätzlich mit Organschäden der Nieren oder des Herzens zu rechnen.

Unbehandelt können diese zu einem plötzlichen Ableben führen. Darüber hinaus leiden die Patienten häufig an einer verminderten Hörfähigkeit. Diese wird innerhalb des ersten Lebensjahres festgestellt und diagnostiziert. Da eine Wiederherstellung des natürlichen Hörvermögens nicht möglich ist, kann über die Nutzung von Hörgeräten im Normalfall eine ausreichende Korrektur des Hörvermögens erfolgen.


Vorbeugung

Richtlinien, die auf eine mögliche Vorbeugung des Goldenhar-Syndroms hinweisen, gibt es nicht. Ob es möglich ist, dem Syndrom vorzubeugen, hängt von der Klärung der tatsächlichen Ursachen ab. Bisher gibt es dahingehend allerdings keine Empfehlungen.

Nachsorge

Die Möglichkeiten zur Nachsorge sind beim Goldenhar-Syndrom relativ stark eingeschränkt. Es handelt sich dabei um eine angeborene Erkrankung, die nicht kausal, sondern nur rein symptomatisch behandelt werden kann. Der Betroffene ist dabei auf eine lebenslange Therapie angewiesen, um die Beschwerden zu lindern und weitere Komplikationen zu vermeiden.

Da der weitere Verlauf des Goldenhar-Syndroms stark von seiner Ausprägung abhängt, kann dabei keine allgemeine Prognose gegeben werden. Die einzelnen Fehlstellungen und Fehlbildungen des Goldenhar-Syndroms werden dabei meist mit Hilfe von operativen Eingriffen behandelt. Dabei sollten sich Betroffene nach einem solchen Eingriff ausruhen und den Körper schonen.

Anstrengende Tätigkeiten oder sportliche Aktivitäten sind zu vermeiden, wobei auch Stress vermieden werden sollte. Sprachbeschwerden können beim Goldenhar-Syndrom durch eine Sprachtherapie behandelt werden. Dabei können die verschiedenen Übungen auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, um die Behandlung zu beschleunigen.

In vielen Fällen sind die Betroffenen allerdings auch auf eine psychologische Behandlung angewiesen. Dabei ist auch die Unterstützung durch die Freunde und die Familie sehr sinnvoll. Auch der Kontakt zu anderen Patienten des Goldenhar-Syndroms kann dabei sinnvoll sein, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt.

Das können Sie selbst tun

In erster Linie benötigen die Betroffenen des Goldenhar-Syndroms eine liebevolle und fürsorgliche Behandlung, da sie an schwerwiegenden psychischen Beschwerden und an einer geistigen Behinderung leiden. In der Regel ist hierbei die Hilfe von Eltern und Angehörigen notwendig, um dem Patienten eine entsprechende Pflege zukommen zu lassen.

Da die Betroffenen in vielen Fällen auch an Minderwertigkeitskomplexen oder an einem verringerten Selbstwertgefühl leiden, sollten die Fehlbildungen im Gesicht behandelt werden. Hierbei helfen auch Gespräche mit anderen Betroffenen des Goldenhar-Syndroms um Informationen auszutauschen. Weiterhin kann sich auch eine Sprachtherapie sehr positiv auf den Verlauf der Erkrankung auswirken und dabei mögliche Sprachbeschwerden lindern. Auch zu Hause kann der Betroffene verschiedene Sprachübungen durchführen.

Kinder benötigen vor operativen Eingriffen eine besondere Beruhigung durch den Arzt und durch die Eltern. Allerdings sollten hierbei auch die Ergebnisse realistisch abgeklärt werden, um später Enttäuschungen und damit verbundene psychische Beschwerden zu vermeiden. Auch die geistige Entwicklung kann durch eine dauerhafte Förderung gesteigert werden, um Komplikationen im Erwachsenenalter zu vermeiden. In der Regel wird die Lebenserwartung des Patienten durch das Goldenhar-Syndrom nicht negativ beeinflusst.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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