XYY-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das XYY-Syndrom ist eine numerische Chromosomenaberration, die einen männlichen Phänotypen mit einem abnormen Karyotypen von bis zu (52, XXXXXXYY) hervorbringen kann. Äußerlich ist den Betroffenen die genotypische Anomalie nicht weiter anzusehen. Eine Behandlung ist nur erforderlich, wenn die Betroffenen tatsächlich Symptome wie einen Herzfehler entwickeln.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das XYY-Syndrom?

Viele der Patienten besitzen eine durchschnittlich erhöhte Körpergröße und zeichnen sich durch beschleunigtes Wachstum im Kindesalter aus.
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Als numerische Chromosomenaberrationen werden nicht erbliche Veränderungen in der Chromosomenanzahl bezeichnet. Chromosome kommen bei dem Phänomen entweder mehrfach vor, oder fehlen ganz. Das XYY-Syndrom wird zu den numerischen Chromosomenaberrationen gezählt.

Die Erkrankung ist auch als XYY-Trisomie, als Diplo-Mann-Syndrom oder Supermaskulinitäts-Syndrom, Jacobs-Syndrom und Diplo-Y-Syndrom bekannt. Zuweilen wird auch die Bezeichnung Polysomie Y synonym verwendet. Bei der Chromosomenaberration handelt es sich um eine Aneuploidie der Geschlechtschromosomen.

Phänotypisch gesehen sind Personen mit dem Syndrom eindeutig männlich. Ihr Karyotyp ist ebenfalls männlich, enthält allerdings ein doppeltes Y-Chromosom. Im Einzelfall können außerdem mehrere X-Chromosomen gegeben sein. Karyotypen wie (52, XXXXXXYY) sind für Personen mit XYY-Syndrom denkbare Kombinationen.

Der erste Fall der Anomalie wurde 1961 dokumentiert. Die Arbeitsgruppe Avery A. Sandberg gilt als Urheber der Erstbeschreibung. Da der Betroffene vom Phänotypen her gänzlich unauffällig war, handelte es sich bei dem Fund um einen Zufallsfund. Die Prävalenz der Anomalie liegt zwischen einem Fall aus 590 in Nordeuropa und einem Fall aus 2000 in den USA.

Ursachen

Numerische Chromosomenaberrationen entstehen aufgrund einer Fehlverteilung von homologen Chromosomen bei der Meiose. Während der Bildung männlicher Keimzellen durchläuft das Y-Chromosom in der Meiose II normalerweise ein Non-Disjunction-Ereignis, das die beiden Chromatiden nicht voneinander abgehen lässt.

Im Normalfall entsteht so ein Verhältnis von 50 Prozent an Spermien mit dem üblichen Karyotyp (23, X), 25 Prozent Spermien entsprechen Karyotyp (24, YY) und weitere 25 Prozent besitzen keine Gonosomen. Wenn eines der (24, YY)-Spermien mit einer Eizelle des Karyotypen (23, X) verschmilzt, trägt die entstehende Zygote den Karyotypen (47, XYY). Im Nachgang dieser Verschmelzung ergibt sich innerhalb der Eizelle sowie innerhalb des Spermiums eine Nondisjunction homologer Chromosomen während der Meiose I.

In der Meiose II kommt es zu einer Nondisjunction der Schwesterchromatiden. Somit lautet die maximal numerische Chromosomenaberration als Karyotyp (52, XXXXXXYY). Wichtig ist, dass dem XYY-Syndrom keine hereditäre Basis zugrunde liegt. Stattdessen entsteht die Anomalie durch Fehlverteilung bei Eizellen und Spermien der beschriebenen Karyotypen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome des XYY-Syndroms sind vielgestaltig. Nicht jeder Betroffene muss dieselben Symptome aufweisen. Viele der Patienten besitzen eine durchschnittlich erhöhte Körpergröße und zeichnen sich durch beschleunigtes Wachstum im Kindesalter aus.

Da das Körpergewicht der Patienten nicht im gleichen Ausmaß zunimmt, wirken die Patienten häufig extrem schlank. Von heftiger Akne im Jugendalter wird in vielen Fällen berichtet. Auch ein hoher Testosteronspiegel kann charakteristisch sein. Männer mit XYY-Syndrom fallen außerdem häufig durch vergrößerte Proportionen im Bereich des Gesichts auf, so zum Beispiel durch große Ohren oder einen auffällig starken Nasenrücken.

Ihre Hände und Füße sind oft länger als die des Durchschnitts. Einige der Betroffenen weisen eine Brustbeindelle auf. Außerdem kann eine knochige Verbindung zwischen der Elle und der Speiche bestehen, die als radio-ulnare Synostose bezeichnet wird. Im Einzelfall leiden die Patienten an Herzfehlern verschiedener Art. Außerdem kann ein Hodenhochstand im Rahmen des Syndroms auftreten.

Die Entwicklung während der Jugend ist aufgrund des zusätzlichen Y-Chromosoms etwas verzögert. Dieser Zusammenhang legt keine geistige Entwicklungsverzögerung nahe, sondern bezieht sich eher auf die Feinmotorik der Betroffenen. Spezifisch männliche Verhaltensmuster können im Verhalten der Betroffenen aufgrund des erhöhten Testosteronspiegel verstärkt zur Schau treten. Aufbrausendes Temperament, Aufmerksamkeitsdefizit und erhöhte Unruhe sind verbreitet.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose des XYY-Syndroms entspricht in vielen Fällen einem Zufallsbefund. Da phänotypisch in aller Regel keinerlei Auffälligkeiten vorliegen und die Anomalie meist auf den Genotypen beschränkt bleibt, erfahren viele Betroffene bis zum Ende ihrer Tage nichts von ihrer Anomalie. Von einem tatsächlichen Krankheitswert kann beim XYY-Syndrom letztlich nicht die Rede sein.

Aus diesem Grund ist die Diagnose in der Regel nicht weiter relevant. Die Prognose für Menschen mit dem Syndrom ist extrem günstig, da keine Einschränkungen der Lebenserwartung bestehen und auch die Fruchtbarkeit in den meisten Fällen nicht weiter beeinträchtigt ist.

Komplikationen

Das XYY-Syndrom stellt eine numerische Chromosomenanomalie dar, die jedoch kaum medizinische Bedeutung besitzt. Nach den bisherigen Erkenntnissen treten im Gegensatz zu anderen Chromosomenanomalien auch so gut wie keine bedeutenden Komplikationen auf. Die Betroffenen wissen meist selbst nichts von ihrer Anomalie.

Oft handelt es sich um einen Zufallsbefund. Es können bei einigen Betroffenen zwar Merkmale auftreten, die Hinweise auf eine erhöhte Konzentration des männlichen Sexualhormons Testosteron geben. Sie liegen aber meist im Rahmen der normalen Bandbreite. Im Gegensatz zu früheren Annahmen besitzen die betroffenen Männer eine normale Intelligenz und sind voll zeugungsfähig.

Allerdings kann das äußere Erscheinungsbild und das Verhalten hinsichtlich anderer "durchschnittlicher" Männer etwas abweichen. So sollen XYY-Männer etwas aufbrausender als normale Männer sein, was schließlich doch zu einem aggressiveren Verhalten führen kann. Aber auch hierzu gibt es keine eindeutigen Erkenntnisse. Des Weiteren ist die Entwicklung in der Jugend im Gegensatz zu Mädchen noch etwas stärker verzögert als bei den anderen Jungen.

Auch feinmotorische Fähigkeiten sollen schlechter ausgebildet sein. Aufgrund der erhöhten Testosteronkonzentrationen sind die XYY-Männer im Durchschnitt größer und leiden öfter an einem Hodenhochstand. Dieser kann unbehandelt die Zeugungsfähigkeit in Einzelfällen doch einschränken. Manchmal treten auch unterschiedliche Herzfehler auf, die später eventuell medizinische Bedeutung erlangen. Insgesamt ist die Prognose jedoch sehr gut. Die Lebenserwartung ist normal.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Syndrom kann naturgemäß ausschließlich bei männlichen Personen auftreten. Daher sollten Eltern mit ihrem Nachwuchs einen Arzt konsultieren, sobald sie im Wachstums- und Entwicklungsprozess ihres Kindes Unregelmäßigkeiten wahrnehmen. Meist zeigen sich optische Auffälligkeiten durch eine sehr große Körpergröße des Jungen. Gleichzeitig ist das Gewicht des Betroffenen im direkten Verhältnis zur Körpergröße sehr gering. Trotz einer guten Nahrungsaufnahme oder einer grundsätzlich kalorienreichen Kost kommt es zu keiner nennenswerten Zunahme des Körpergewichts.

Wird im Jugendalter eine starke Veränderung des Hautbildes wahrgenommen, ist die Konsultation eines Arztes anzuraten. Bei einer ausgeprägten Akne, zahlreichen Pickeln oder einem emotionalen Leid aufgrund des optischen Erscheinungsbildes ist ein Arztbesuch notwendig. Sind die Proportionen im Bereich des Gesichtes ungewöhnlich, weist dies auf eine gesundheitliche Störung hin. Wenngleich keine körperlichen Beschwerden oder Schmerzen auftreten, sollte ein Arztbesuch zur Klärung der Ursache erfolgen.

Bei Unregelmäßigkeiten des Herzrhythmus, einem Hodenhochstand sowie Verhaltensauffälligkeiten wird ebenfalls ein Arzt benötigt. Störungen und Defizite der Aufmerksamkeit, ein sehr aufbrausendes Auftreten sowie ein außergewöhnlich aufgedrehtes Temperament sind Anzeichen einer hormonellen Unregelmäßigkeit. Bei einer starken Unruhe, Störungen der Feinmotorik oder einer intellektuellen Entwicklungsverzögerung ist die Rücksprache mit einem Arzt zu empfehlen. Auffallend häufig kommt es zu Konfliktsituationen, bei denen der Betroffene keine Anzeichen eine Deeskalation zeigt.

Behandlung & Therapie

Das XYY-Syndrom ist letztlich nicht unbedingt eine Erkrankung. Tatsächlich bleiben so gut wie alle Betroffenen bis zu ihrem Lebensende symptomlos und erfahren zuweilen nicht einmal etwas von ihrer Anomalie. In diesen Fällen liegt keine Notwendigkeit für eine Therapie vor.

In einigen Ausnahmefällen besteht Zeugungsunfähigkeit oder zumindest eine verschlechterte Spermienqualität. Das kann beim Kinderwunsch zu einem Problem werden. Ein Spermiogramm kann Aufschluss über die Spermienqualität geben. Bei Kinderwunsch trotz verminderter Spermienqualität kann künstliche Befruchtung stattfinden.

Tatsächlich therapiebedürftige Symptome des XYY-Syndroms sind letztlich nur die Herzfehler, die allerdings bei Weitem nicht in allen Fällen vorliegen. Je nach Art des Herzfehlers können Operationen und medikamentöse Therapien erforderlich sein. Auch der Hodenhochstand sollte unter bestimmten Bedingungen behandelt werden, so zum Beispiel mittels einer Hormontherapie. Eine ursächliche Behandlung für Patienten mit XYY-Syndrom existiert nicht.


Vorbeugung

Vorbeugemaßnahmen zur Prävention des XYY-Syndroms existieren kaum. Externe Faktoren scheinen für das Syndrom keine Rolle zu spielen. Allein der Karyotyp der Eizelle und des Spermiums bei der Meiose entscheiden über das Vorhandensein der Anomalie für die entstehende Zygote.

Nachsorge

Eine Heilung ist beim XYY-Syndrom ausgeschlossen. Da die betroffenen Männer aufgrund der Chromosomenabweichung jedoch keine Beschwerden haben, sind in der Regel keine Maßnahmen zur Nachsorge notwendig. In einigen Fällen ist die Fruchtbarkeit der Betroffenen durch das XYY-Syndrom minimal eingeschränkt. Dies ist in der Regel jedoch nicht klinisch relevant.

Sehr selten ist die Entwicklung von Jungen mit dem XYY-Syndrom im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern verzögert. Insbesondere im Bereich der Feinmotorik gibt es manchmal Defizite. In diesen Fällen ist eine längerfristige Betreuung durch einen Ergotherapeuten möglich. Grundsätzlich legen sich derartige Einschränkungen nach einigen Jahren jedoch von selbst, so dass derartige Maßnahmen nicht zwingend notwendig sind.

Darüber hinaus können die betroffenen Jungen durch das zusätzliche Y-Chromosom und den damit einhergehenden erhöhten Testosteronspiegel besondere Verhaltensmuster entwickeln. Diese können sich etwa ab Beginn der Pubertät durch Aufmerksamkeitsstörungen, Nervosität oder Aggressivität äußern. Aus diesem Grund kann psychotherapeutische Betreuung über kurze oder gegebenenfalls auch lange Dauer notwendig sein. Dennoch ist eine intensive Nachsorge in diesen Fällen ebenfalls nicht erforderlich. Die Lebensdauer der betroffenen Männer ist durch das XYY-Syndrom nicht eingeschränkt. Dennoch ist ein gesunder Lebensstil empfehlenswert.

Das können Sie selbst tun

Die Maßnahmen der Selbsthilfe reichen nicht aus, um eine Veränderung der Chromosomen zu beeinflussen. In vielen Fällen kommt es im Verlauf des Lebens zu keinen weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Daher besteht bei ihnen häufig kein Handlungsbedarf.

Zeigen sich Auffälligkeiten des Verhaltens, sollten gezielte Trainings und Übungseinheiten mit dem Betroffenen durchgeführt werden. Anzuraten ist die Inanspruchnahme einer professionellen Therapie. Darüber hinaus können selbstständig Änderungen des Verhaltens herbeigeführt werden. Wichtig ist hierfür meist die Unterstützung des sozialen Umfeldes sowie der unmittelbaren Angehörigen.

Im Alltag können gemeinsam erarbeitete Regeln aufgestellt werden, die dem Betroffenen dabei helfen sollen, auch außerhalb des Familienkreises eine stabile soziale Bindung aufbauen zu können. Der Kontakt zu anderen Menschen kann durch das Nachstellen alltäglicher Situationen geübt werden. Bestimmte Verhaltensmuster werden dadurch dem Betroffenen bewusst und können Anschluss gemeinsam optimiert werden.

Ebenfalls können Übungen durchgeführt werden, die zu einem Abbau von Unruhe oder Hektik führen. Methoden wie Yoga, Entspannungsübungen, autogenes Training oder Mentaltechniken helfen dabei, zur inneren Ruhe zu finden und diesen Zustand bei Bedarf bewusst herbeizuführen. Insbesondere bei Menschen, die sehr zappelig sind, sollte zudem die Nahrungszufuhr kontrolliert werden. Der Konsum von koffein- oder zuckerhaltigen Produkten, führt häufig bei ihnen zu einer Verschlechterung der Situation und sollte vermieden werden.

Quellen

  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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