Posttraumatische Verbitterungsstörung

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Unter einer posttraumatischen Verbitterungsstörung wird eine psychische Anpassungsstörung verstanden. Bei dieser Erkrankung haben die betroffenen Personen Probleme bei der Bewältigung von Misserfolgen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine posttraumatischen Verbitterungsstörung?

Freunde haben sie nur selten, da sie sich immer mehr aus dem sozialen Leben zurückziehen. Weitere mögliche Symptome der PTED sind Antriebslosigkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen und physische Beschwerden.
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Die posttraumatische Verbitterungsstörung wird auch als Posttraumatic Embitterment Disorder (PTED) bezeichnet und zählt zu den Anpassungsstörungen. Die medizinische Bezeichnung ist noch verhältnismäßig neu und wurde im Jahr 2003 von dem deutschen Psychiater und Neurologen Michael Linden geprägt.

Die psychische Störung tritt auf, wenn Menschen außergewöhnliche Belastungen erleiden, die allerdings nicht lebensunüblich sind. Dazu gehören zum Beispiel die Einbuße des Arbeitsplatzes, erlittene Verluste, zwischenmenschliche Konflikte oder Probleme in der Partnerschaft. Dabei erleben die betroffenen Personen die damit verbundenen Vorgänge als demütigend, kränkend und ungerecht.

Infolgedessen verhalten sie sich dauerhaft verbittert und aggressiv gegenüber sich selbst oder anderen Menschen. Die posttraumatische Verbitterungsstörung berührt sämtliche Lebensbereiche und ist mit Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Denkblockaden und Wut verbunden. Nach Ansicht von Michael Linden zeigen sich posttraumatische Verbitterungsstörungen nach intensiven sozialen Umbrüchen.

Erstmals definiert wurde das Krankheitsbild nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990. Es spielen jedoch keine großen sozialen Veränderungen für den Ausbruch der Verbitterung eine Rolle, sondern vielmehr Belastungen, die durchaus als lebensüblich gelten. Schätzungen zufolge leiden in Deutschland zwei bis drei Prozent aller Bundesbürger unter einer posttraumatischen Verbitterungsstörung.

Ursachen

Verbitterung kommt in der Regel durch eine große persönliche Kränkung zustande. Die Betroffenen fühlen sich von anderen Menschen falsch verstanden oder ungerecht behandelt. Gleichzeitig sehen sich jedoch nicht in der Lage, etwas gegen die erlittene Ungerechtigkeit zu unternehmen.

Kann sich der Mensch jedoch nicht wirksam verteidigen, führt dies zu Gefühlen wie Hilflosigkeit, Resignation und schließlich Verbitterung. Nicht selten löst die starke Verbitterung extreme Gefühle wie das Bestrafen des vermeintlichen Peinigers aus, die mit aggressiven Phantasien verbunden sind und mitunter sogar Gewalttaten oder erweiterte Selbstmorde zur Folge haben.

In der Regel ist Verbitterung jedoch ein Gefühl, das sich im Laufe der Zeit wieder legt. Wodurch es zu einer abrupt auftretenden posttraumatischen Verbitterungsstörung kommt, ließ sich bislang nicht klären. Nach Auffassung von Michael Linden tragen auch Psychologen und Psychiater zu der Erkrankung bei.

Dies rührt daher, dass sie die eigentlichen Probleme ihrer Patienten nicht erkennen und sie deswegen nur gegen Aggressionen oder Depressionen behandeln. Die posttraumatische Verbitterungsstörung zeigt sich beim männlichen Geschlecht gleichermaßen wie bei Frauen und kann sowohl junge als auch alte Menschen treffen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Es gibt einige Symptome, die als typisch für eine posttraumatische Verbitterungsstörung gelten. So weisen die betroffenen Personen eine grundsätzlich schlechte Stimmung auf und machen einen verbitterten Eindruck. Außerdem fühlen sie sich vom Leben ungerecht behandelt, sind enttäuscht von ihren Mitmenschen, machen anderen Menschen ebenso Vorwürfe wie sich selbst und verhalten sich aggressiv.

Freunde haben sie nur selten, da sie sich immer mehr aus dem sozialen Leben zurückziehen. Weitere mögliche Symptome der PTED sind Antriebslosigkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen und physische Beschwerden. In extremen Fällen entwickeln die Betroffenen aggressive Gedanken, die auch den eigenen Tod oder einen erweiterten Selbstmord umfassen. Des Weiteren meidet der Patient bestimmte Personen oder Orte, die mit dem traumatischen Erlebnis verbunden sind.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Um eine posttraumatische Verbitterungsstörung diagnostizieren zu können, müssen mehrere Kriterien zutreffen. So ist dem Patienten seine psychische Belastung durchaus bekannt, die er als Grund für sie sieht. Das auslösende Erlebnis betrachtet er als beleidigend, zutiefst ungerecht und demütigend.

Dadurch fühlt er sich hilflos, wütend und verbittert. Erinnert sich der Patient an das auslösende Ereignis, reagiert er emotional erregt. Die sich aufdrängenden Erinnerungen rufen eine dauerhafte Beeinträchtigung seiner mentalen Gesundheit hervor. Vor dem auslösenden Erlebnis lagen keine psychischen Erkrankungen vor, die sein Verhalten erklären könnten.

Außerdem bestehen die Beschwerden länger als sechs Monate und schränken den Betroffenen in seinem Alltagsleben ein. Wichtig ist zudem eine Differentialdiagnose zu anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Darüber hinaus sind die meisten Anpassungsstörungen zeitlich begrenzt. Da es sich bei der posttraumatischen Verbitterungsstörung um eine relativ neue psychische Störung handelt, ist ihr genauer Verlauf noch unklar. Darüber hinaus gibt es große individuelle Unterschiede.

Komplikationen

Als schwere Komplikationen können bei der posttraumatischen Verbitterungsstörung Selbstmord- und Mordgedanken auftreten. Wenn der Betroffene sowohl andere als auch sich selbst tötet, ist auch vom erweiterten Suizid die Rede. Die Selbstmordgedanken können sich jedoch auch nur auf die betroffene Person beschränken. In beiden Fällen ist eine rasche Behandlung erforderlich.

Je nachdem, wie akut die Suizidalität ist, kommt eine ambulante oder stationäre Therapie in Betracht. Bei Eigen- oder Fremdgefährdung ist auch eine Unterbringung möglich, um die Sicherheit des Betroffenen und anderer Menschen zu gewährleisten. Die posttraumatische Verbitterungsstörung führt häufig zu einem depressionsähnlichen Denkmuster.

Die Verbitterung, die aufgrund eines tragischen Ereignisses entsteht, kann sich negativ auf die Arbeitssuche auswirken. Nach dem Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung sabotiert sich der Betroffene möglicherweise selbst. Als weitere Komplikation ist selbstschädigendes Verhalten möglich, beispielsweise in Form von Drogen-, Alkohol- und Tabakkonsum.

Eine negative Grundeinstellung kann auch in vielen anderen Lebensbereichen zu Schwierigkeiten führen. Als Komplikation der posttraumatischen Verbitterungsstörung treten häufig familiäre und soziale Konflikte auf. Auch aggressives Verhalten kann in Erscheinung treten.

Ohne angemessene Behandlung sind Komplikationen wahrscheinlicher als mit Behandlung. Die Verbitterung kann weitere psychische Erkrankungen begünstigen, zum Beispiel Depressionen, Angststörungen und psychosomatischen Beschwerden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn eine Verbitterung über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt und sich zunehmend negativ auf das Wohlbefinden des Betroffenen oder die umstehenden Personen auswirkt, empfiehlt sich ein Gespräch mit einem Therapeuten. Menschen, die nach einem traumatischen Ereignis oder infolge langwieriger psychischer Beschwerden an einer Persönlichkeitsstörung leiden, sollten dies behandeln lassen. Je früher die Erkrankung diagnostiziert und behandelt wird, desto besser sind die Heilungsaussichten.

Deshalb sollten bereits erste Anzeichen von Verbitterung von einem Therapeuten oder Arzt untersucht werden. Liegt eine lange Krankengeschichte zugrunde, muss der zuständige Arzt informiert werden, wenn die Symptome stärker werden oder mit weiteren, möglicherweise selbstverletzenden Symptomen verbunden sind. Neben dem Psychologen kann ein Facharzt für neurologische Erkrankungen hinzugezogen werden, wenn der Verdacht besteht, dass das Leiden auf eine körperliche Erkrankung zurückzuführen ist. Jugendliche, die Anzeichen von Verbitterung zeigen, sollten einem Jugendpsychologen vorgestellt werden. Andernfalls prägt sich die Störung weiter aus und ruft im Verlauf dessen weitere seelische und körperliche Erkrankungen hervor.

Behandlung & Therapie

Eine Behandlung der posttraumatischen Verbitterungsstörung ist nicht leicht. So resignieren oder wehren sich die Patienten oft gegen Behandlungsangebote. Als hilfreicher Therapieansatz gilt die sogenannte Weisheitstherapie. Dabei handelt es sich um eine Variante der kognitiven Verhaltenstherapie, die von Michael Linden entwickelt wurde.

Im Rahmen des psychotherapeutischen Verfahrens verarbeitet der Patient das Ereignis, das seine Verbitterung auslöste, um sich schließlich davon distanzieren zu können, wodurch er eine neue Lebensperspektive erhält. Zu diesem Zweck gelangen bewährte kognitive Strategien zum Einsatz, zu denen verhaltenstherapeutische Analysen, das Analysieren von automatischen Gedanken, der Aufbau von Aktivität, eine kognitive Neubenennung sowie ein Expositionsverfahren zählen.

Gleichzeitig baut der Patient wieder soziale Kontakte auf. Für einen gelassenen Umgang mit Lebensproblemen führen die Patienten Rollenspiele aus, die sie in die Situation von Menschen versetzen, die andere gekränkt haben. Bei einigen Patienten führt die Weisheitstherapie durchaus zum Erfolg. Andere gewinnen zumindest ihre Funktionsfähigkeit zurück. Nicht selten nimmt die Behandlung jedoch Monate oder sogar Jahre in Anspruch, bis sie Erfolg zeigt.


Vorbeugung

Um einer posttraumatischen Verbitterungsstörung vorzubeugen, ist es ratsam, negativen Gedanken und Gefühlen entgegenzuwirken. Dazu eignen sich unter anderem Entspannungsverfahren wie Meditation, Yoga, Qi Gong oder Hypnose.

Nachsorge

Als wirksame Nachsorge-Behandlung der Posttraumatischen Verbitterungsstörung wird die Psychotherapie über einen längeren Zeitrahmen empfohlen. Die Psychotherapie soll bewirken, dass der Patient auf lange Sicht ein freudvolles Leben führen kann, ohne von diversen Symptomen belastet zu werden. Die Nachsorge ist wichtig, um wirksame Strategien für das alltägliche Leben zu entwickeln.

Während eine ambulante Begleitung bei leichteren Fällen empfohlen wird, sollten Patienten mit schwerwiegender Verbitterungsstörung über eine Reha-Maßnahme nachdenken. Im Zuge der Reha kann der Patient das Erlebte aufarbeiten und so für den Wiedereinstieg in das alltägliche vorbereitet werden. Die Reha als Nachsorge-Maßnahme stärkt Körper und Geist des Patienten und hilft dabei, einen eigenverantwortlichen Umgang mit sich selbst und der Umwelt zurückzuerlangen.

Auch nach schweren Erlebnissen sollen die eigenen Grenzen erkannt und der Selbstwert des Patienten gestärkt werden. Die persönlichen Ressourcen können im Zuge nach Nachsorge mobilisiert werden, sodass der Patient wieder fit für den Alltag wird. Im weiteren Verlauf können auch Entspannungsverfahren, wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung, im Alltag zum Einsatz kommen und Unruhe-Zustände oder Ängste zu minimieren.

Auch Konzentrationsübungen, Yoga oder Qi Gong dienen hervorragend als Nachsorge-Maßnahmen und lassen sich gut in den Alltag integrieren. Auch kreative Ansätze, wie Kunst oder Musik, können eine positive Auswirkung auf die Seele des Patienten haben und die Lebensqualität erhöhen.

Das können Sie selbst tun

Neben einer psychotherapeutischen Behandlung können Betroffene sich untereinander vor allem in Selbsthilfeforen im Internet austauschen. In vielen Städten gibt es Selbsthilfegruppen für Menschen mit Traumaerlebnissen. Da das Krankheitsbild der Posttraumatischen Verbitterungsstörung noch relativ unbekannt ist, gibt es derzeit nur wenige Selbsthilfegruppen, die sich konkret an Betroffene dieser Erkrankung richten. Es ist daher empfehlenswert, eine Gruppe zu besuchen, die sich mit dem verwandten Krankheitsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung befasst.

Der Besuch einer Gruppe empfiehlt sich auch deshalb, weil es den Betroffenen hilft, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und Gespräche zu führen. Generell ist der Wiederaufbau von Sozialkontakten besonders wichtig. Die Betroffenen sollten Beziehungen zu Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten pflegen oder neue Freundschaften schließen. Bieten sich dazu im privaten Umfeld keine Möglichkeiten, ist es ratsam, Sportvereine oder Kulturverbände aufzusuchen. Ebenso wichtig ist es, regelmäßigen Tätigkeiten und Interessen nachzugehen und diese zu vertiefen.

Die Betroffenen sollten nach einem geregelten Tagesablauf leben. Stress gilt es zu vermieden oder deutlich zu reduzieren. Außerdem können Aktivitäten wie Yoga, Meditation, Reiki, Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Qi Gong, Hypnose oder Beten dabei helfen, mit negativen Gedanken im Alltag umzugehen und zudem zur Stressreduktion beitragen.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015

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