Kaudales Regressionssyndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das kaudale Regressionssyndrom kennzeichnet ein Fehlbildungssyndrom an den unteren (kaudalen) Wirbelsäulenabschnitten mit teilweise sehr schwerwiegendem aber variablen Erscheinungsbild. Vielfach fehlen Abschnitte der kaudalen Wirbelsäule wie Steißbein und Bereiche der Lendenwirbelsäule. Die Erkrankung ist multifaktoriell bedingt und entwickelt sich in der Regel innerhalb der ersten vier Wochen der Schwangerschaft.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das kaudale Regressionssyndrom?

Das kaudale Regressionssyndrom ist durch eine komplexe Symptomatik gekennzeichnet. Es können partielle Agenesien an den unteren Abschnitten der Wirbelsäule auftreten.
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Das kaudale Regressionssyndrom ist eine sehr seltene Erkrankung, welche die unteren Wirbelsäulenabschnitte betrifft. Teilweise treten sehr erhebliche Fehlbildungen in verschiedenen Abschnitten der Wirbelsäule und anderen Bereichen des Körpers auf. In manchen Fällen fehlen ganze Wirbelsäulenabschnitte im Bereich des Kreuzbeins und des Steißbeins.

Wörtlich übersetzt bedeutet der lateinische Begriff „Kaudales Regressionssyndrom“ so viel wie „Rückbildung in den unteren Bereichen“. Die Erkrankung ist zwar angeboren, aber wahrscheinlich in der Regel nicht genetisch bedingt. Es werden multifaktorielle Auslöser dieses Syndroms angenommen. Genetische Beteiligungen sind jedoch in einigen Fällen nicht ganz ausgeschlossen. Synonym wird auch die Bezeichnung Sakralagenesie angewendet.

Dieser Begriff leitet sich vom lateinischen Ausdruck „Sakrum“ für „Kreuzbein“ und „Agenesie“ für das Wort „Fehlen“ ab. Also kann die Erkrankung auch als fehlendes Kreuzbein bezeichnet werden. Es kommt vor, dass teilweise auch in kranialer Richtung ein Stück der Lendenwirbelsäule fehlt. Das kaudale Regressionssyndrom ist möglicherweise auch ein Sammelbegriff für schwere Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen, welche die untere Wirbelsäule betreffen.

Die Erkrankung ist mit einer Prävalenz von 1 zu 25.000 bis 1 zu 60.000 aller Neugeborenen angegeben. In anderen Veröffentlichungen werden auch Prävalenzen von 1 zu 50.000 bis 1 zu 100.000 der Neugeborenen diskutiert. Familiäre Häufungen treten nicht auf. Deshalb wird von multifaktoriellen Ursachen ausgegangen.

Ursachen

Die Ursachen für das kaudale Regressionssyndrom sind nicht bekannt. Es wird ein multifaktorielles Geschehen vermutet. So wurde festgestellt, dass die Erkrankung häufig bei Kindern von Diabetikerinnen auftritt. Der Schädigungszeitpunkt soll zwischen der dritten und siebten Schwangerschaftswoche liegen. Damit soll eine Entwicklungsstörung des Mesoderms vorliegen.

Auch ein Einfluss einer verringerten Durchblutung innerer Gefäße als Entstehungsursache dieser Erkrankung wird diskutiert. Eine genetische Prädisposition für diese Erkrankung kann es jedoch auch geben. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Mutationen im VANGL1-Gen und dem Auftreten dieser Erkrankung vorliegen könnte. Meist tritt die Erkrankung jedoch sporadisch auf und zeigt eine starke Assoziation zu einem mütterlichen Diabetes.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das kaudale Regressionssyndrom ist durch eine komplexe Symptomatik gekennzeichnet. Die Erkrankung zeigt sich sehr variabel. Es können partielle Agenesien an den unteren Abschnitten der Wirbelsäule auftreten. Eine Agenesie bezeichnet das Fehlen bestimmter Abschnitte oder Organe. So fehlt in manchen Fällen das Steißbein ganz oder ist sehr stark verkümmert. In schwereren Fällen kann auch das Kreuzbein fehlen.

Teilweise bestehen auch schwerwiegende Beckendeformationen. Typischerweise können die beiden Beckenschaufeln fusioniert sein, wobei eine Analatresie (anale Fehlbildung) vorliegt. Der anale Ausgang ist oft nicht vorhanden und muss durch einen künstlichen Darmausgang geschaffen werden. Des Weiteren liegt auch oft eine Deformation der unteren Gliedmaßen vor. Häufig kommt es zur Flexion der Knie.

Weiterhin ist das Krankheitsbild von unterschiedlich ausgeprägten neurologischen und motorischen Ausfällen gekennzeichnet. Die Sehnenreflexe der unteren Gliedmaßen sind verringert und die motorischen Aktivitäten erfolgen spontan. Auch das Urogenitalsystem, das Verdauungssystem und die Atemwege können beteiligt sein. Häufig kommt es hier zu Anomalien. Beim Urogenitalsystem können beidseitige Nierenagenesien, verlagerte Nieren oder zusammengewachsene Harnleiter vorliegen.

Bei einer Nierenagenesie fehlen die Nieren. Das ist mit dem Leben nicht vereinbar. Die anderen Missbildungen können zu einer Verstopfung der Harnwege und einen eventuellen Rückfluss des Harns von den Harnwegen in die Blase führen. Die gastrointestinalen Fehlbildungen führen zur Unfähigkeit des Patienten, die Darmbewegungen zu kontrollieren. Die Folge ist eine Inkontinenz.

Allerdings kann der Darmausgang, wie bereits erwähnt, über den Anus auch ganz verschlossen sein. Zusätzlich treten häufig auch Herzfehler auf. Es besteht die Vermutung, dass die Fehlbildungen noch vor der vierten Schwangerschaftswoche entstehen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnostik des kaudalen Regressionssyndroms erfolgt noch während der Schwangerschaft durch Ultraschalluntersuchungen. Die schwersten Deformationen werden in der Regel bereits im ersten Drittel der Schwangerschaft festgestellt. Nach der Geburt wird durch MRI-Untersuchungen das Ausmaß der Deformationen ermittelt.

Differenzialdiagnostisch müssen die Sirenomelie und das Currarino-Syndrom ausgeschlossen werden. Bei der Sirenomelie sind die unteren Extremitäten zusammengewachsen und bei dem Currarino-Syndrom bestehen zusätzliche Raumforderungen vor dem Sakrum. Außerdem wird das Currarino-Syndrom nach einem autosomal dominanten Erbgang weitervererbt.

Komplikationen

Bei diesem Syndrom kommt es in der Regel zu schwerwiegenden Fehlbildungen und Komplikationen. Den Betroffenen fehlen dabei nicht selten verschiedene Organe, wodurch es weiterhin zum Tode oder zu einem sehr eingeschränkten Leben kommen kann. In den meisten Fällen ist auch ein künstlicher Darmausgang notwendig, damit der Patient weiterhin überleben kann.

Ebenso tritt nicht selten eine Deformation der verschiedenen Gliedmaßen auf, sodass es im Alltag des Betroffenen zu verschiedenen Einschränkungen kommen kann. Ebenfalls können auch die Nieren von diesem Syndrom betroffen sein, sodass der Betroffene an einer Inkontinenz leidet oder sogar auf eine Transplantation angewiesen ist. Weiterhin leiden viele Betroffene an Herzfehlern, wodurch es zu einer starken Einschränkung der Lebenserwartung kommen kann.

Nicht selten kommt es bei den Eltern oder bei den Angehörigen zu starken psychischen Beschwerden, sodass diese in der Regel auf eine psychologische Behandlung angewiesen sind. Bei der Behandlung dieses Syndroms können ausschließlich die Symptome eingeschränkt werden.

Dabei werden die Behandlungen von verschiedenen Ärzten durchgeführt, wobei es in der Regel allerdings nicht zu besonderen Komplikationen kommt. Allerdings können nicht alle Beschwerden eingeschränkt werden. Die geistige Entwicklung des Kindes bleibt vom Syndrom meistens unberührt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Einer werdenden Mutter ist die Teilnahme an allen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft dringend anzuraten. Innerhalb der stattfindenden Routineuntersuchungen zur Abklärung des Gesundheitszustandes des Kindes, werden bildgebende Verfahren eingesetzt, die typische Symptome des Kaudales Regressionssyndroms erkennen lassen. Die starken Fehlbildungen und Auffälligkeiten des unteren Rückens fallen bereits innerhalb der ersten Wochen der Schwangerschaft im Mutterleib auf.

Die Deformierungen des Steißbeins oder der Lendenwirbelsäule führen zu weiteren Untersuchungen während der kommenden Wochen, sodass bereits in dieser vorgeburtlichen Phase eine Diagnosestellung möglich ist. Das genaue Ausmaß der körperlichen Veränderungen wird nach der Geburt in unterschiedlichen Untersuchungen festgestellt. Da die ersten Auffälligkeiten im Normalfall bereits im Mutterleib dokumentiert werden, wird eine geplante stationäre Geburt empfohlen.

Unmittelbar nach der Niederkunft übernehmen Geburtshelfer und ausgebildete Ärzte die notwendigen Untersuchungen und kümmern sich um die Erstversorgung des Neugeborenen. Sollte es zu einer plötzlichen Geburt kommen, ist ein Rettungsdienst zu alarmieren, damit Mutter und Kind schnellstmöglich eine ausreichende medizinische Versorgung erhalten. Stellen sich neben den Fehlbildungen auch Störungen des Verdauungstraktes ein, muss ein Arzt aufgesucht werden. Kommt es im weiteren Entwicklungsverlauf des Kindes zu psychischen, emotionalen oder seelischen Auffälligkeiten, ist es ratsam, unterstützend die Hilfe es eines Arztes oder Therapeuten in Anspruch zu nehmen.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung richtet sich nach den bestehenden Anomalien. Da eine komplexe Symptomatik vorliegt, ist für die Therapie die interdisziplinäre Zusammenarbeit von verschiedenen Fachbereichen erforderlich. Dazu zählen Urologen, Nephrologen, Neurochirurgen, Psychologen und Ergotherapeuten. Die urologischen Störungen müssen mit chirurgischen Eingriffen oder mit der Gabe anticholinerger Medikamente behoben werden.

Bei einem Anus imperforatus ist es notwendig, einen künstlichen Darmausgang zu legen. Auch orthopädische Eingriffe müssen je nach Schwere der Symptome durchgeführt werden. Insgesamt kann die Behandlung nur symptomatisch sein. Es bestehen bereits irreversible Veränderungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Die Prognose des kaudalen Regressionssyndroms ist oft ungünstig. In schweren Fällen versterben die Kinder kurz nach der Geburt. Allerdings zeigen überlebende Kinder eine normale geistige Leistungsfähigkeit.

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Aussicht & Prognose

Die Prognose des kaudalen Regressionssyndroms richtet sich nach der Schwere der Erkrankung. Eine Heilung ist aufgrund der Ursache jedoch nicht möglich. Während der ersten Schwangerschaftswochen kommt es im Entwicklungsprozess des Kindes zu Veränderungen des Skelettsystems. Diese können nach der Geburt nicht vollständig behoben werden.

Obgleich die Fehlbildungen der Wirbelsäule bei diesem Syndrom mannigfaltig sind, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen können. Durch operative Eingriffe, physiotherapeutische Maßnahmen sowie die Unterstützung von Psychologen kann eine deutliche Verbesserung der Gesundheit erreicht werden. Dennoch ist eine Operation grundsätzlich mit Risiken verbunden. Je eher eine Therapie in Anspruch genommen wird, desto besser sind in den meisten Fällen die Ergebnisse.

Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen und der Belastung der Erkrankung ist bei einer Vielzahl der Patienten ein herabgesetztes Wohlbefinden zu beobachten. Die Störung ist für den Betroffenen sowie deren Angehörige eine Herausforderung. Die Vulnerabilität für psychische Folgestörungen ist dadurch erhöht. Wird die Hilfe und Unterstützung eines Psychologen abgelehnt, ist mit einer Verschlechterung der Gesamtsituation zu rechnen. In den meisten Fällen muss die Mutter des Kindes ebenfalls einer Therapie unterzogen werden. Es konnte beobachtet werden, dass eine Verbesserung für alle Beteiligte stattfindet, wenn Mutter und Kind medizinisch betreut werden.

Vorbeugung

Eine Vorbeugung vor einem kaudalen Regressionssyndrom ist nicht möglich. Die Ursachen sind unbekannt und die Fälle treten in der Regel sporadisch auf.

Nachsorge

In der Regel sind die Maßnahmen einer direkten Nachsorge bei diesem Syndrom sehr stark eingeschränkt. Sie stehen dem Betroffenen in vielen Fällen auch gar nicht zur Verfügung, da es sich dabei um eine erblich bedingte Krankheit handelt, die auch nicht vollständig geheilt werden kann. Aus diesem Grund sollte im Falle eines Kinderwunsches immer eine genetische Untersuchung und Beratung erfolgen, damit das Syndrom nicht erneut bei den Nachfahren auftritt.

Je früher eine Diagnose gestellt wird, desto besser ist in der Regel der weitere Verlauf der Erkrankung. Die Behandlung dieser Erbkrankheit erfolgt dabei durch den Eingriff von verschiedenen Fachärzten, wobei die Betroffenen in ihrem Alltag auf die Hilfe und auf die Unterstützung der eigenen Familie angewiesen sind. Dabei sind vor allem intensive Gespräche mit dem Betroffenen notwendig, damit es nicht zu psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen beim Patienten kommt.

Kinder müssen aufgrund der Erkrankung besonders gefördert werden, damit sie später in der Schule eine gewöhnliche Entwicklung durchleben können. In einigen Fällen verringert dieses Syndrom die Lebenserwartung des Betroffenen, wobei der weitere Verlauf sehr stark vom Zeitpunkt der Diagnose der Erkrankung abhängig ist.

Das können Sie selbst tun

Bei einem Kaudalen Regressionssyndrom sind die Möglichkeiten zur Selbsthilfe für den neugeboren Patienten sehr eingeschränkt. Ein Team aus verschiedenen Ärzten übernimmt die Therapie und Versorgung des Betroffenen, der unter einer Vielzahl an Fehlbildungen leidet. Die Anomalien sind teilweise äußerlich sichtbar und betreffen außerdem meist auch innere Organe, wobei sich das Krankheitsbild des Syndroms bei jedem Patienten unterscheidet.

Eine ärztliche Behandlung ist essentiell für das Überleben des Patienten. Daher halten sich die Sorgeberechtigten an alle Pflegeanweisungen und nehmen sämtliche Termine rechtzeitig wahr. Ein Teil der Patienten verstirbt an den starken Missbildungen. Generell richtet sich die Lebenserwartung der Betroffenen nach den jeweiligen Anomalien und den Behandlungserfolgen. Falls Patienten das Jugend- oder Erwachsenenalter erreichen, so bieten sich spezielle Sonderschulen und Betreuungseinrichtungen für die Bildung und soziale Integration der Erkrankten an. Dadurch ist es möglich, dass die Patienten eine höhere Lebensqualität erreichen.

Lebenslang sind jedoch regelmäßig Kontrolluntersuchungen und Behandlungstermine bei diversen Fachärzten vonnöten. Üblicherweise unterziehen sich die Patienten mehreren Operationen und tragen unter Umständen Prothesen oder einen künstlichen Darmausgang. Zum besseren Umgang mit der Erkrankung empfiehlt sich eine psychotherapeutische Betreuung der Eltern des Patienten.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P.: Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2014
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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