Hay-Wells-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Hay-Wells-Syndrom ist eine Erbkrankheit, die durch eine Genmutation des TP63-Gen ausgelöst wird. Neben Veränderungen des Hautbilds kommt es bei dieser Erkrankung vor allem zu Fehlentwicklungen der Hautanhangsgebilde und Zähne. Eine Behandlung der Krankheit an sich ist nicht möglich, eine Therapie der entsprechenden Symptome dagegen schon.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Hay-Wells-Syndrom?

Vom Hay-Wells-Syndrom befallen ist vor allem das Gewebe, das an der äußeren Zellschicht anschließt. Insbesondere umfasst es Haare, Haut und Nägel. Die offensichtlichsten Anzeichen sind die verklebte Lidspalte, die Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte und die Ektodermalen Effekte.
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Beim Hay-Wells-Syndrom handelt es sich um eine angeborene Erkrankung. Sie tritt äußerst selten und bei weniger als einem unter einer Millionen Patienten auf. Benannt ist die Krankheit nach den ersten beiden Medizinerin, die die Krankheit und ihre Symptomatik verschriftlicht haben. Das Syndrom wird durch eine Kombination dreier Symptome charakterisiert.

So treten eine verklebte Lidspalte kurz nach der Geburt (Ankyloblepharon), Ektodermale Effekte und eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Cheilognathopalatoschisis) (Cleft) gemeinsam auf. Aus diesen kombinierten Symptomen leitet sich die synonyme Abkürzung AEC-Syndrom ab. Auf der ICD-Skala wird das Syndrom unter Q82.4 geführt. Es wird als ein Typ von ektodermaler Dysplasie klassifiziert.

Ursachen

Die Ursache für das Hay-Wells-Syndrom ist eine Genmutation. Betroffen ist das TP63-Gen, das am Genort 3q28 lokalisiert ist. Die Vererbung dieser Erbkrankheit verläuft autosomal dominant. Sowohl Frauen als auch Männer können vom Syndrom betroffen sein.

Voraussetzung ist ein Elternteil, das diese Genmutation vererbt. Es wurde erst ein Fall verzeichnet, der für eine Mosaikform des Syndroms spricht, also in dem davon ausgegangen werden kann, dass kein Elternteil diese Genmutation aufweist.

TP-63 steht für das Tumor-Protein 63, das zum langen Arm von Chromosom 3 gehört. Durch diese Genmutation entwickeln sich Keratinozyten, die nicht mit Melanozyten interagieren können. Demnach ist der Proteinaustausch des Patienten erheblich gestört. Die Folge sind Auffälligkeiten im Harr- und Nagelwuchs und eine mangelhafte Entwicklung der Zähne.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Vom Hay-Wells-Syndrom befallen ist vor allem das Gewebe, das an der äußeren Zellschicht anschließt. Insbesondere umfasst es Haare, Haut und Nägel. Die offensichtlichsten Anzeichen sind die verklebte Lidspalte, die Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte und die Ektodermalen Effekte.

Die Lidspalte ist dabei das Symptom, das die Krankheit von anderen das Hautbild betreffenden Symptomen abgrenzt. Die Lider sind zwar nicht geschlossen, aber strangartig miteinander verwachsen. Der unregelmäßige Haarwuchs ist auf Entzündungen der Kopfhaut zurückzuführen. Die Entzündungen auf der Hautoberfläche können einen Juckreiz oder Schmerzen mit sich ziehen.

Auch die Nägel sind durch ihre Missbildung schneller anfällig für Nagelkrankheiten, die wiederum zu Schmerzen führen können. Der Zahnapparat der betroffenen Patienten weist ein erhöhtes Risiko für Karies auf. Den größten Einfluss nimmt das Hay-Wells-Syndrom aber auf die Psyche der Patienten, da durch die Ansammlung der Symptome das Erscheinungsbild von vielen verschiedenen Schönheitsnormen abweicht. Dies führt zu einem verminderten Selbstwertgefühl.

Diagnose und Verlauf

Das Hay-Wells-Syndrom wird in erster Linie durch eine Anamnese diagnostiziert. Dabei sind die folgenden Merkmale ausschlaggebende Anhaltspunkte: Der Patient hat drahtiges Haar, wenig Kopfbehaarung und auf der Kopfhaut erkennbare Infektionen; der Patient weist eine Nageldystrophie auf; der Patient schwitzt wenig oder gar nicht.

Es ist möglich, dass das Augenlid nach der Geburt verklebt ist; der Patient hat weniger Zähne als üblich; eine Hypoplasie im Oberkiefer und eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Wichtig ist das Zusammenspiel verschiedener Symptome. Die durch das Hay-Wells-Syndrom verursachten Ekzeme können auch durch andere Syndrome verursacht werden. Aufgrund der Seltenheit dieser Erberkrankung ist eine Diagnose aber schwierig.

Während die Symptome bei fast allen Patienten gemeinsam auftreten, unterscheidet sich der Verlauf der Krankheit in Bezug auf die Ausgeprägtheit der Merkmale von Patient zu Patient. Bereits im Säuglingsalter tritt die kennzeichnende Trias auf, sprich die drei Hauptsymptome. Mit zunehmendem Alter kommt es zu der gestörten Bildung der Hautanhangsgebilde.

Einen Höhepunkt der Krankheit sowie einen automatischen Rückgang der Schwere der Erkrankung gibt es nicht. Die Symptome müssen behandelt werden, damit sich der Allgemeinzustand verbessert. Das Hay-Wells-Syndrom nimmt hauptsächlich Einfluss auf äußere, ästhetische Merkmale. Die Lebensqualität wird also in Eigenständigkeit und durch Schmerzen nicht sonderlich eingeschränkt. Die Beschneidung der Lebensqualität erfolgt primär auf der psychischen Ebene, da das Selbstwertgefühl stark und der Erberkrankung leiden kann.

Komplikationen

Durch das Hay-Wells-Syndrom leidet der Patient an verschiedenen Fehlbildungen und Missbildungen am Körper. Vor allem die Haut ist durch das Syndrom betroffen und es kommt weiterhin zu Beschwerden an den Zähnen. Es tritt eine sogenannte Gaumenspalte auf, welche zu einer stark verringerten Ästhetik des Patienten führt.

Allerdings können auch die Haare und die Nägel vom Hay-Wells-Syndrom betroffen sein und Fehlbildungen aufweisen. Auf der Kopfhaut kommt es nicht selten zu Entzündungen und damit zu Schmerzen. Auch ein Juckreiz kann sich dabei auf der Kopfhaut ausbreiten und die Lebensqualität des Patienten einschränken. Die Fehlbildungen an den Zähnen führen ebenso zu Schmerzen im Mundraum.

Diese können vor allem beim Essen und Trinken auftreten und damit zu einer Unterernährung führen. Ebenso ist das Risiko von Karieserkrankungen beim Patienten erhöht. In den meisten Fällen kommt es durch die Fehlbildungen auch zu Minderwertigkeitskomplexen und zu einem verringerten Selbstwertgefühl des Patienten.

Das Hay-Wells-Syndrom kann nicht ursächlich behandelt werden. Die meisten Fehlbildungen können allerdings operativ entfernt werden.

Mögliche psychische Beschwerden werden ebenfalls ohne Komplikationen behandelt. Nicht selten ist das Immunsystem der Patienten geschwächt, sodass es öfter zu Entzündungen und Infektionen kommt, die allerdings ebenfalls gut behandelt werden können. Die Lebenserwartung wird durch das Syndrom nicht verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da es beim Hay-Wells-Syndrom nicht zu einer Selbstheilung und in den meisten Fällen zur Verschlechterung der Beschwerden kommt, ist in jedem Fall eine Untersuchung und Behandlung durch einen Arzt notwendig. Weitere Komplikationen können dadurch vermieden werden. Ein Arzt sollte dann aufgesucht werden, wenn der Betroffene ohne einen besonderen Grund an starken Hautbeschwerden leidet. Auch die Haare oder die Nägel können von den Symptomen betroffen sein.

Weiterhin deuten auch verklebte Augenlider oder eine Gaumenspalte auf das Hay-Wells-Syndrom hin. In vielen Fällen führt das Syndrom auch zu einem sehr unregelmäßigen Haarwuchs und weiterhin zu Entzündungen auf der Haut. An den Nägeln kommt es zu verschiedenen Missbildungen, die sich negativ auf die Ästhetik des Betroffenen auswirken können.

Das Hay-Wells-Syndrom kann von einem Kinderarzt oder von einem Allgemeinarzt diagnostiziert werden. Für die Behandlung sind allerdings verschiedene Fachärzte notwendig. Da es sich um eine genetische Erkrankung handelt, ist nur eine symptomatische Behandlung möglich. Weiterhin sollte bei psychischen Beschwerden oder bei Depressionen immer ein Psychologe aufgesucht werden.

Behandlung & Therapie

Die Dermatitis an der Kopfhaut ist äußerst schwierig zu behandeln, die anderen Veränderungen des Hautbilds können aber je nach Ausprägung dermatologisch behandelt werden. Es ist möglich, dass die verklebten Augenlider sich in seltenen Fällen selbst korrigieren, andernfalls müssen sie operiert werden. Die Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte kann gemeinsam mit anderen durch das Syndrom entstandenen optischen Mängeln lediglich operativ korrigiert werden.

Darüber hinaus können die verschiedenen Fehlbildungen der Hautanhangsgebilde sowie Zähne von entsprechenden Fachärzten behandelt werden. In welchem Rahmen diese Behandlung stattfindet entscheidet der zuständige Facharzt. Da das Hay-Wells-Syndrom selbst durch eine Genmutation verursacht wird, ist es irreversibel. Genetische Störungen können nicht wie Infektionen oder Knochenbrüche einfach geheilt werden.

Eine Therapie der ursächlichen Krankheit ist dementsprechend nicht existent. Möglich ist nur die Behandlung der jeweiligen auftretenden Symptome. Die Erfolgschancen einer Therapie sind in Hinblick auf das Syndrom also gleich null. Aber da fast alle Symptome sich operativ oder medikamentös behandeln lassen, ist zumindest eine Behandlung dieser ratsam. Neben der Behandlung der Symptome wird auch eine psychische Begleitung von Betroffenen und deren Angehörigen empfohlen.

Aussicht & Prognose

Da das Hay-Wells-Syndrom eine sehr seltene Erkrankung ist, kann zwar etwas zu den Symptomen und äußeren Erscheinungsformen gesagt werden. Eine allgemeine langfristige Prognose ist jedoch noch nicht möglich. Bisher sind 50 Fälle dieser Erkrankung beschrieben worden. Es handelt sich wahrscheinlich um eine autosomal-dominante Genmutation, die meist sporadisch auftritt. Des Weiteren wird vermutet, dass die Prävalenz bei etwas 1:1.000.000 liegt. Die Lebenserwartung scheint nicht eingeschränkt zu sein.

Als typische Merkmale treten eine Verwachsung und Verklebung der Lidspalten, eine Lippen-Kiefern-Gaumenspalte und andere ektodermale Defekte in Erscheinung. Die anderen ektodermalen Defekte zeichnen sich unter anderem durch Nagelfehlbildungen, fehlenden Harnröhrenverschluss, enorm verminderte Schweißbildung, die Fehlbildung von Zähnen und eine chronische Entzündung der Kopfhaut aus. Der Haarwuchs ist spärlich und drahtig. In sehr seltenen Fällen können auch Lungenbläschen miteinander verwachsen sein. Diese variable Symptomatik macht es sehr schwer, eine allgemeine Prognose für den Verlauf der Erkrankung aufzustellen.

Das Hay-Wells-Syndrom kann nicht geheilt werden, weil es genetisch bedingt ist. Eine symptomatische Behandlung ist jedoch möglich. Die Lippen-Kiefern-Gaumen-Spalte ist chirurgisch korrigierbar. Mittels einer Kanthoplastik besteht auch die Möglichkeit, die Augenlider anzupassen. Durch diese kosmetischen Maßnahmen kann die Lebensqualität der betroffenen Patienten gesteigert werden. Gleichzeitig wird auch eine psychologische Beratung empfohlen, um einer möglicherweise drohenden sozialen Ausgrenzung entgegenzuwirken.


Vorbeugung

Da es sich beim Hay-Wells-Syndrom um eine vererbliche Genmutation handelt, sind Maßnahme zur Prävention nicht möglich. Einzig frühzeitige Tests der Eltern sowie pränatale Untersuchungen können Aufschluss darüber geben, ob das ungeborene Kind Gefahr läuft am Hay-Wells-Syndrom zu erkranken.

Nachsorge

Da es sich beim Hay-Wells-Syndrom um eine erblich bedingte Krankheit handelt, stehen dem Betroffenen nur wenige, mitunter keine Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Die Krankheit kann damit auch nicht vollständig geheilt werden, sodass der Patient vor allem auf eine frühzeitige Erkennung der Beschwerden angewiesen ist, damit es im weiteren Leben zu keinen Komplikationen kommt.

Bei einem Kinderwunsch kann sich eine genetische Beratung als sinnvoll erweisen, um das erneute Auftreten des Hay-Wells-Syndroms bei den Kindern zu verhindern. In der Regel wirkt sich das Syndrom nicht negativ auf die Lebenserwartung des Patienten aus. Die Beschwerden werden dabei meist durch einen operativen Eingriff korrigiert. Dabei kommt es zu keinen besonderen Komplikationen und die Beschwerden werden dadurch in der Regel vollständig gelindert.

Nach einem solchen Eingriff sollten sich Betroffene ausruhen und ihren Körper schonen. Da es durch das Hay-Wells-Syndrom auch zu psychischen Verstimmungen oder sogar zu Depressionen kommen kann, sind dabei häufig liebevolle Gespräche mit der eigenen Familie oder mit den Eltern sehr sinnvoll. Diese sollten vor allem bei Kindern durchgeführt werden. Der weitere Verlauf selbst hängt dabei sehr stark von der genauen Art und der Ausprägung der Beschwerden ab, sodass dabei keine allgemeine Voraussage erfolgen kann.

Das können Sie selbst tun

Beim Hay-Wells-Syndrom gibt es keine Möglichkeit der Prävention. Die Eltern können sich beim Auftreten des Syndroms allerdings einer genetischen Beratung umziehen und damit das Risiko über das Auftreten des Syndroms beim Kind abwägen. Auch die Möglichkeiten der Selbsthilfe sind dabei in der Regel stark eingeschränkt, sodass die Betroffenen vor allem auf eine medizinische Behandlung angewiesen sind.

Aufgrund der vielen Fehlbildungen sind die Patienten auf eine intensive und gefühlvolle Pflege angewiesen. Dabei wirkt sich die Pflege von Angehörigen oder Eltern sehr positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus. Die Pfleger benötigen dabei viel Ruhe und Geduld.

Einige Fehlbildungen können korrigiert werden. Die Korrektur ist vor allem dann zu empfehlen, wenn dadurch ästhetische Beschwerden gelindert werden können. Im Falle von psychischen Verstimmungen oder Depressionen können Gespräche mit anderen Betroffenen des Hay-Wells-Syndroms helfen. Auch Gespräche mit den Eltern oder mit dem Partner können mögliche Minderwertigkeitskomplexe lindern. Häufig eignet sich die psychologische Behandlung auch für die Eltern und die Angehörigen, da diese ebenso an psychischen Beschwerden leiden können.

Aufgrund des geschwächten Immunsystems des Patienten muss auf eine ausreichende Hygiene geachtet werden. Dadurch können Infekte und Entzündungen vorgebeugt werden.

Quellen

  • Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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