Spätdyskinesie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Spätdyskinesie

Spätdyskinesien sind Dystonien, die durch die jahre- oder jahrzehntelange Gabe von Neuroleptika eintreten können und sich in Form einer Bewegungsstörung äußern. Häufig grimassieren die Patienten oder leiden an gestörter Atmung oder Darmbewegung. Nach der Manifestation der Spätdyskinesie ist die Erkrankung nur noch schwer zu behandeln.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Spätdyskinesie?

Die Nebenwirkungen der Neuoleptika können deshalb auftreten, weil die neuroleptischen Botenstoffe auch in anderen Nervensystembereichen vorkommen.
© hkama – stock.adobe.com

Eine Dystonie ist eine neurogene Bewegungsstörung, die ihren Ursprung in motorischen Gehirnzentren hat und den extrapyramidalen Hyperkinesien zugerechnet wird. Meist manifestieren sich Dystonien in Verkrampfungen oder Fehlhaltungen. In der Medizin werden verschiedene Formen der Dystonie unterschieden. Eine davon ist die Spätdyskinesie, das heißt, die verspätet motorische Störung, die auch als tardive Dyskinesie oder Dyskinesia tarda bekannt ist.

Solcherlei Bewegungsstörungen betreffen häufig den Gesichtsbereich und äußern sich in diesem Fall in Zuckungen, Schmatzbewegungen oder Kaubewegungen, Grimassieren oder anderen unwillkürlich ablaufenden Bewegungskombinationen. Neben dem Gesicht können auch die Extremitäten betroffen sein, wobei dann von Hyperkinesen die Rede ist. Von der tardiven Dyskinesie kennt die Medizin zwei verschiedene Arten.

Diese Form kann mit schweren Lähmungserscheinungen einhergehen und betrifft vor allem junge Leute. Das Krankheitsbild wird auch als arzneimittelinduzierte Dystonie bezeichnet, da es oft mit Neuroleptika in Verbindung steht.

Ursachen

Die Spätdyskinesie tritt vor allem bei der Anwendung älterer Neuroleptika des Typ Butyrophenon oder Phenothiazin auf. Nur Clozapin scheint nicht mit Spätdyskinesien in Zusammenhang zu stehen. Olanzapin kann jedoch bei wenigen Patienten extrapyramidale Bewegungsstörungen verursachen. Bei herkömmlich hochpotenten Neuroleptika gilt eine Häufigkeit von 15 Prozent.

Zusätzliche Risikofaktoren für die Bewegungsstörung sind Rauchen, Hirnschädigungen und höheres Alter. Die Nebenwirkungen der Neuoleptika können deshalb auftreten, weil die neuroleptischen Botenstoffe auch in anderen Nervensystembereichen vorkommen. Die dopaminerge Erregungsübertragung ist durch die Neuroleptika-induzierte Rezeptorblockade im Basalganglienbereich gestört.

Dieser Wirkmechanismus gilt als Ursache der Spätdyskinesie. Spätdyskinesien sind extrapyramidale Hyperkinesien und stellen sich grundsätzlich nur nach langfristiger Therapie mit den genannten Psychopharmaka ein. Wann genau des zur Manifestation kommt, variiert von Fall zu Fall.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Tardive orobuccolinguale Dyskinesie geht mit Tics einher. Die Patienten dieser Art von Spätdyskinesie grimassieren rhythmisch im fazialen Bereich, so zum Beispiel mit dem gesamtem Gesicht, der Zunge oder dem Mund. Störungen der Atmung und der Darmbewegung sind in ganz wenigen Einzelfällen aufgetreten.

Dasselbe gilt für rhythmische Bewegungen wie Beckendyskinesie und kontinuierliche Bewegungen der Hände. Vorwiegend jüngere Menschen leiden häufig an Spätdyskinesien mit erheblicher Beeinträchtigungen oder dem gänzlichen Verlust von Körperfunktionen. Auch Lähmungserscheinungen sind in diesem Zusammenhang denkbar.

Besonders charakteristisch für Spätdyskinesien sind wiederholt unwillkürliche oder zwecklose Bewegungen wie das Kräuseln oder Schürzen der Lippen oder auffällig schnelle Blinzelbewegungen. Seltener zeigen sich unwillkürliche Bewegungen an den Extremitäten. Auch Blepharospasmus ist ein eher seltenes Symptom.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose auf eine Spätdyskinesie wird vom Neurologen gestellt. Neben der Blickdiagnostik und der Anamnese spielen Bildgebungen des Schädels im Rahmen der Diagnostik eine Rolle. Die Prognose der Patienten ist relativ ungünstig. Die meisten Spätkinesien sind irreversibel und sprechen wenig auf Medikamente an.

Komplikationen

Im Rahmen einer Spätdyskinesie leiden die Betroffenen unter verschiedenen Komplikationen. Typisch sind Tics, die sich in Form von Gesichtszuckungen, schnellem Blinzeln, Störungen der Atmung und ungewöhnlichen Darmbewegungen äußern. Auch im Bereich von Rücken und Händen können zwanghafte Bewegungen auftreten, die schließlich zu einem gänzlichen Verlust der Körperfunktionen führen.

Selten kommt es zu Lidkrämpfen, die mit Muskelschmerzen, Kopfweh und Verspannungen einhergehen. Die Betroffenen leiden unter diesen Zwangsstörungen körperlich, da regelmäßige Tics mit einer Reihe von Beschwerden einhergehen. Die größten Komplikationen sind jedoch psychischer Natur. So hat das charakteristische Erscheinungsbild der Spätdyskinesie fast immer Minderwertigkeitskomplexe oder Depressionen zur Folge.

Häufig ziehen sich die Betroffenen aus dem sozialen Leben zurück oder werden ausgrenzt. Dies erhöht den Leidensdruck zusätzlich und schränkt die Lebensqualität erheblich ein. Eine Behandlung ist zwar möglich, birgt aber ebenfalls Risiken.

So wird das typischerweise verordnete Medikament Botulinumtoxin vom Arzt in den Muskel, der von Dyskinesien befallen ist, gespritzt um eine Entspannung zu erreichen. Zum Beispiel bei Störungen des Auges, Einschränkungen der Mimik, Mundtrockenheit und Lidkrämpfen. Weitere Arzneimittel sollten deshalb stets unter Aufsicht eines Arztes eingenommen werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Der Betroffene ist bei einer Spätdyskinesie in jedem Falle auf eine Behandlung und eine Untersuchung durch einen Arzt angewiesen. In der Regel kann es nur dadurch zu einer vollständigen Heilung kommen, da die Erkrankung in der Regel nicht durch Maßnahmen der Selbsthilfe behandelt werden kann und eine Selbstheilung auch nicht eintreten kann. Ein Arzt ist bei der Spätdyskinesie immer dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an starken Beschwerden leidet. In den meisten Fällen fühlen sich die Patienten dauerhaft müde und abgeschlagen und können an ihrem Alltag nicht mehr aktiv teilnehmen.

Auch schwierige und anstrengende Tätigkeiten können nicht mehr problemlos durchgeführt werden, sodass auch der Alltag des Betroffenen durch die Spätdyskinesie stark eingeschränkt ist. Sollten diese Beschwerden eintreten und nicht wieder von alleine verschwinden, ist auf jeden Fall ein Arzt aufzusuchen. Auch unwillkürliche Bewegungen oder Lähmungen an verschiedenen Stellen des Körpers können auf eine Spätdyskinesie hindeuten. Die Spätdyskinesie kann durch einen Allgemeinarzt oder durch einen Neurologen erkannt und behandelt werden. Ob es dabei zu einer Heilung kommt, kann nicht universell vorhergesagt werden.

Behandlung & Therapie

Die einzig ursächliche Therapie für Patienten mit Spätdyskinesien besteht im rechtzeitigen Absetzen der Medikamente. In vielen Fällen ist dieses Vorgehen allerdings nicht praktikabel, da die Probleme zu spät erkannt werden. Sobald Spätdyskinesien manifest werden, sprechen die Patienten in der Regel nur noch unzureichend auf Behandlungsversuche an, da der Einfluss selbst beim Einsetzen der Symptome bereits nicht mehr zu revidieren ist.

Medikamentös konservative Therapieoptionen existieren zum Beispiel mit Dopamin-agonistischen Wirkstoffen, wie sie bei der Parkinson-Kranken zum Einsatz kommen. Neben Lisurid und Pergolid kommen bewegungsnormalisierende Substanzen wie Tiaprid oder Tizanidin zum Einsatz.

Physiotherapie kann für die Linderung der subjektiv belastenden Beschwerden eine Rolle spielen. Allerdings entziehen sich die unwillkürlichen Bewegungen in der Regel der willentlichen Kontrolle, sodass sich die Physiotherapie als äußerst schwierig und langatmig gestaltet. Da die Spätdyskinesie das soziale Leben mehr oder weniger stark beeinträchtigt, können psychische Beschwerden eintreten.

Bei bereits manifesten Beschwerden der Psyche ist eine Psychotherapie indiziert. Der Patient lernt darin einen besseren Umgang mit den Reaktionen auf seine Bewegungsstörung. Die medikamentöse Therapie hat in der jüngsten Vergangenheit teils Botulinumtoxin angewandt, das in einigen Fällen zumindest eine zeitweilige Besserung der Beschwerden herbeiführen konnte.

Alle medikamentösen Behandlungsschritte sind allerdings als rein symptomatische Therapie zu verstehen. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Medikamentengaben mit wieder anderen Nebenwirkungen assoziiert, sodass ein Teufelskreis eintritt. Da Spätdyskinesien nach der Manifestation also nur noch schwer zu behandeln sind, ist die Prophylaxe und Risikominimierung einer der wichtigsten Schritte.


Vorbeugung

Die neueren atypischen Neuroleptika weisen pharmakologisch betrachtet deutliche Unterschiede zu älteren Präparaten auf. Bei den neueren Varianten sind Spätdyskinesien offenbar seltener zu beobachten. Andererseits existieren zu den neueren Substanzen deutlich weniger Langzeitstudien, sodass das Dyskinesie-Risiko für viele der Neuentwicklungen letztlich nicht hinzureichend beurteilt werden kann.

Jede Gabe eines hochpotent typischen Neuroleptikums steigert das individuelle Spätdyskinesie-Risiko. In diesem Zusammenhang scheint durch die alternative Anwendung von neueren und atypischen Wirkstoffen zumindest wenig zu verlieren zu sein. Da auch der Konsum von Nikotin das Risiko zu steigern scheint, kann der Verzicht auf Nikotingenuss als eine weitere Vorbeugemaßnahme betrachtet werden.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen bei einer Spätdyskinesie in den meisten Fällen nur sehr wenige Möglichkeiten der direkten Nachsorge zur Verfügung. Aus diesem Grund sollte der Betroffene bei dieser Erkrankung möglichst früh einen Arzt aufsuchen und dabei auch eine Behandlung einleiten, damit es im weiteren Verlauf nicht zu Komplikationen oder zu anderen Beschwerden kommt. Eine Selbstheilung kann in der Regel nicht eintreten, sodass der Betroffene zuerst einen Arzt aufsuchen sollte.

Die Beschwerden selbst können in einigen Fällen mit Hilfe von verschiedenen Medikamenten gut gelindert werden. Hierbei sollte der Betroffene immer auf eine regelmäßige Einnahme und auch auf eine richtige Dosierung der Medikamente achten, damit die Beschwerden richtig und vor allem dauerhaft gelindert werden können. Bei Unklarheiten sollte ein Arzt kontaktiert werden, damit es im weiteren Verlauf nicht zu Komplikationen kommt.

Dabei wirkt sich auch die Hilfe und die Unterstützung durch die eigene Familie sehr positiv auf den weiteren Verlauf dieser Krankheit aus, wodurch auch Depressionen und andere psychische Verstimmungen verhindert werden können. In einigen Fällen verringert die Spätdyskinesie auch die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Selbsthilfemaßnahmen können meistens nicht einen Arztbesuch unnötig machen, denn bei bestimmten Erkrankungen birgt eine Eigenbehandlung ein unkalkulierbares Risiko. Bei der Spätdyskinesie verhält es sich anders: Sie entzieht sich jeder Behandlungsform. Patienten müssen mit den Zuckungen und unwillkürlichen Bewegungsabläufen im Alltag zurechtkommen. Selbst eine Physiotherapie vermag diese nicht abzustellen.

Eine Spätdyskinesie stellt für Betroffene eine psychische Belastung dar. Eine ungestörte Kommunikation ist auf Grund der unbeeinflussbaren Gesichtsbewegungen kaum möglich. Andere Personen nehmen die gesendeten Körpersignale falsch wahr. Nicht selten führt eine Erkrankung daher auch in die soziale Isolation. Hiergegen gibt es kein wirksames Mittel. Selbst geschulte Therapeuten können solche Beschwerden meist nicht erfolgreich behandeln. Erst Erklärungen gegenüber dem Gesprächspartner schaffen Klarheit und erlauben eine weniger beschwerliche Kommunikation.

Die Unmöglichkeit der Selbstbehandlung erstreckt sich bei einer Spätdyskinesie nicht nur auf die Mimik. Zuckungen an den Armen und Beinen sind genauso möglich. Sie erfolgen unkontrolliert, sind nicht steuerbar und damit auch nicht zugänglich für eine Eigenbehandlung. Manche Wissenschaftler empfehlen die Einstellung eines Nikotinkonsums. Inwiefern dieses aber zu einer Reduzierung der unwirklichen Bewegungsabläufe führt, ist nicht abschließend geklärt.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

Das könnte Sie auch interessieren