Genu recurvatum

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Genu recurvatum ist eine Fehlstellung im Kniegelenk. Sie kann deutliche Konsequenzen für die Mobilität haben.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Genu recurvatum?

Ein Genu recurvatum kann verschiedene Ursachen haben, die aber alle im Endeffekt dazu führen, dass Bindegewebe überdehnt wird und seine limitierende Funktion verliert.
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Genu ist die lateinische Bezeichnung für das Knie und recurvatum bedeutet zurück oder nach hinten gebogen. Dementsprechend wird mit dem Begriff genu recurvatum eine Fehlstellung im Kniegelenk bezeichnet, die durch eine Überstreckung gekennzeichnet ist. Sie wird besonders beim Gehen sichtbar, wenn das betroffene Bein in der Standbeinphase belastet wird. Normalerweise ist eine echte Streckung im Kniegelenk bei den meisten Erwachsenen nicht möglich.

Sie erreichen gerade mal die Nullstellung. Bei einem Genu recurvatum werden Überstreckungen von zehn bis fünfzehn Grad oder mehr erreicht. Die Extension im Kniegelenk wird physiologisch durch bindegewebige Strukturen limitiert. Die Seitenbänder und das hintere Kreuzband tragen einen Teil dazu bei. Es ist aber vor allem die im hinteren Bereich verstärkte Gelenkkapsel, die die Weiterbewegung stoppt.

Bei gleichzeitiger Beugung im Hüftgelenk verhindern die hinteren Oberschenkelmuskeln das Erreichen der Nullstellung, wenn ihre Dehnfähigkeit reduziert ist. Die muskuläre Kontrolle im Stand und beim Gehen übernehmen die gelenkstabilisierenden Muskeln. Das ist neben den Kniebeugern vor allem der M. quadrizeps femoris (vierköpfiger Oberschenkelmuskel). Alle Muskeln arbeiten in dieser Funktion synergistisch zusammen.

Ursachen

Ein Genu recurvatum kann verschiedene Ursachen haben, die aber alle im Endeffekt dazu führen, dass Bindegewebe überdehnt wird und seine limitierende Funktion verliert. Eine leichtgradige Überstreckung kann durch eine genetisch disponierte Bindegewebsschwäche entstehen. Sie wird in dem Fall in Grenzen gehalten, weil das kontrollierende muskuläre System funktioniert.

Hochgradige Hypermobilitäten im Knie ergeben sich als Folge von inkompletten oder kompletten Lähmungen der Muskulatur, die die Stabilität des Knies gewährleistet, insbesondere des M. quadrizeps femoris. Der Stand und die gewichtsbelasteten Phasen beim Gehen können nicht mehr oder nur noch teilweise muskulär gehalten werden. Das Gelenk wird deshalb in die überstreckte Position gebracht, weil die Knochen und die bindegewebigen Strukturen ihm dort Halt verleihen.

Schlaffe Lähmungen der Beinmuskulatur können als Folge einer Rückenmarksverletzung mit einer Querschnittsproblematik oder im Rahmen einer Poliomyelitis auftreten. Bei diesen Erkrankungen sind in der Regel nicht nur die Kniemuskeln betroffen. Eine isolierte Lähmung des M. quadrizeps femoris kann durch Verletzungen im Beckenbereich, OP- Fehler oder durch Bandscheibenvorfälle in Höhe der Segmente L2 – L4 hervorgerufen werden. Eine in Fehlstellung verheilte Schienbeinkopffraktur kann ebenfalls zu einem Genu recurvatum führen.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das erste Anzeichen, das auf ein Genu recurvatum hindeutet ist der optische Eindruck, der insbesondere bei Betrachtung der unbekleideten Beine im Stand oder beim Gehen entsteht. Bei einer einseitigen Fehlstellung fällt dieses Merkmal noch mehr ins Auge, weil das Gangbild unsymmetrisch wird. Schmerzen können dort entstehen, wo Gewebe durch Druck oder Zug überbelastet wird. Das betrifft zunächst die überdehnten Strukturen im Bereich der Kniekehle.

Die dorsale Kapselschale und die Weichteile in diesem Bereich werden bei jedem Schritt und im Stand unter eine enorme Zugspannung gebracht und reagieren sehr schmerzhaft. Mit der Zeit tritt ein Gewöhnungseffekt ein, der die Schmerzintensität in einen erträglichen Bereich verschiebt.

Die beiden Gelenkpartner des Kniegelenkes müssen beim Genu recurvatum mehr Druck aushalten als normal. Das liegt daran, dass die beiden Knochen in einer ungünstigen Position zueinander stehen, in der der Druck auf eine kleine Fläche verteilt wird. Wenn der Gelenkknorpel nicht mehr genügend Schutz bietet, führt dies zu Schmerzen am Knochen.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose des Genu recurvatum erfolgt primär anhand der klinischen Untersuchung. Die Inspektion im Stand und im Gehen, Gelenkmessungen und Tests der Gelenkstabilität geben dem Arzt in der Regel schon genügend Hinweise für eine Diagnosestellung. Röntgenaufnahmen können als diagnostisches Mittel hinzugezogen werden, wenn der Verdacht auf eine Knochenbeteiligung besteht.

Ein Genu recurvatum entwickelt sich allmählich, weil das begrenzende Bindegewebe nur langsam nachgibt. Die Ausprägung ist von den verursachenden Faktoren abhängig, besonders davon, ob noch stabilisierende Muskulatur funktioniert oder nicht. Als Folge der Fehlstellung kann sich eine Arthrose im Kniegelenk (Gonarthrose) entwickeln.

Komplikationen

Durch das Genu recurvatum kommt es zu starken Einschränkungen in der Bewegung des Patienten. Dabei lässt sich die Erkrankung auch optisch relativ schnell und einfach erkennen, sodass die Behandlung frühzeitig beginnen kann. Ebenso kann sich der Patient nicht mehr symmetrisch bewegen und ist gegebenenfalls auf eine Gehhilfe angewiesen, um den Alltag zu meistern.

Neben den Einschränkungen treten auch starke Schmerzen auf, die sich in Form von Druckschmerzen oder Ruheschmerzen zeigen können. Der Betroffene ist nicht mehr in der Lage, seine Beine und Gelenke gewöhnlich zu belasten, wodurch auch die Lebensqualität stark abnimmt. Im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es ebenfalls zu Schmerzen an den Knochen.

Die Behandlung des Genu recurvatum kann nur dann erfolgen, wenn keine Lähmung vorliegt. Falls der Patient gelähmt ist, ist eine Behandlung nicht möglich. Dabei erfolgt diese symptomatisch und zielt auf die Reduktion der Bewegungseinschränkungen und Schmerzen ab. In den meisten Fällen kommt es nicht zu weiteren Komplikationen. Allerdings können auch nicht alle Einschränkungen ohne Weiteres behandelt werden. Nicht selten kommt es aufgrund der Einschränkungen in der Bewegung auch zu psychischen Beschwerden und zu Depressionen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei einer optischen Veränderung des Kniegelenks sollte ein Arzt aufgesucht werden. Zeigt sich beim Gehen oder im Stehen eine Form des Knies, die im Verhältnis zu den Mitmenschen stark abgewandelt ist, sollte ein Arztbesuch stattfinden. Kommt es zu Schmerzen oder Beeinträchtigungen bei der Fortbewegung, ist es ratsam, einen Arzt aufzusuchen. Breiten sich die Schmerzen aus oder nehmen sie an Intensität zu, ist eine ärztliche Abklärung erforderlich.

Vor der Einnahme eines Schmerzmedikamentes ist zur Vermeidung von Komplikationen oder weiteren Beeinträchtigungen die Rücksprache mit einem Mediziner notwendig. Kann das Kniegelenk ungewöhnlich stark überdehnt werden, empfiehlt es sich, die Überdehnung von einem Arzt untersuchen zu lassen. Kommt es aufgrund der optischen Veränderungen zu emotionalen oder seelischen Problemen, ist ein Arzt zu konsultieren. Bei unerwünschten Veränderungen der Persönlichkeit, Auffälligkeiten des Verhaltens oder einer inneren Unruhe sollte ein Arzt aufgesucht werden.

Kommt es zu einer Minderung des Wohlbefindens, einem Krankheitsgefühl oder Rückzugsverhalten, benötigt der Betroffene Hilfe und Unterstützung. Stellen sich Hautveränderungen ein, kommt es zu Rötungen oder Schwellungen, gilt dies als ungewöhnlich. Ein Arztbesuch ist nötig, um die Ursachen für die Auffälligkeiten herauszufinden. Sinkt das gewohnte Leistungsniveau und können sportliche Aktivitäten nicht mehr ausgeführt werden, empfiehlt sich ein Arztbesuch.

Behandlung & Therapie

Die konservative Behandlung des Genu recurvatum besteht aus einer Kombination von verschiedenen Maßnahmen. Dazu gehören physiotherapeutische Maßnahmen, eine Versorgung mit Hilfsmitteln, und die symptomatische Verabreichung von Medikamenten. Die Physiotherapie erarbeitet mit den Patienten spezifische Kräftigungsmöglichkeiten, für die Aktivierung der Kniebeuger, damit sie das Durchschlagen des Knies besser kontrollieren können.

Andererseits liegt das besondere Augenmerk auf dem Training des Quadrizeps, um wieder eine bessere Stabilitätskontrolle zu erlangen. Zur Unterstützung können auch Methoden aus der Elektrostimulation eingesetzt werden. Alle diese Maßnahmen setzen voraus, dass noch eine Funktion der Muskeln vorliegt. Bei einer kompletten Lähmung ist die Anwendung nicht effektiv.

Bestimmte Hilfsmittel können dazu dienen, die Überstreckbarkeit des Knies zu begrenzen, um die überdehnten Strukturen zu schonen. Geeignet dafür sind Schienen oder Orthesen. Zum Erhalt der Gehfähigkeit kann die Verordnung von Gehhilfen ein probates Mittel sein. Abhängig von der Stärke des Funktionsverlustes können Gehstützen, Gehstöcke oder Rollatoren zum Einsatz kommen, im Extremfall auch ein Gehwagen.

Die operative Therapie besteht bei schweren Veränderungen in einer Korrektur der Achsfehlstellung mittels einer Umstellungsosteotomie. Diese Operation ist sehr aufwendig und belastend und wird nur durchgeführt, wenn Aussichten auf eine funktionelle Verbesserung bestehen oder der Leidensdruck zu groß ist.

Aussicht & Prognose

Die Prognose der Genu recurvatum ist für Patienten, die bereits das Stadium einer Lähmung inne haben, ungünstig. In diesem Fall kann keine ausreichende Mobilität des Kniegelenks hergestellt werden. Die Bewegungseinschränkungen bleiben trotz aller Bemühungen erhalten.

Bei einer frühzeitigen Diagnose und einem schnellen Behandlungsbeginn kann mit verschiedenen therapeutischen sowie medizinischen Möglichkeiten eine Verbesserung der Beschwerden erreicht werden. Die Prognosestellung ist bei diesen Patienten deutlich optimistischer. In speziell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmten Übungseinheiten wird die Mobilität trainiert.

Dadurch werden das Muskelsystem sowie die Gehfähigkeit unterstützt. Ziel ist es, eine verbesserte Funktionsfähigkeit zu erreichen und damit die Lebensqualität des Betroffenen zu fördern. Eine vollständige Beschwerdefreiheit wird dennoch nicht immer erreicht. Vielmehr findet eine Langzeitbehandlung statt, damit eine optimale Begleitung bei der Bewältigung im Umgang mit der Erkrankung erfolgen kann.

Patienten, bei denen ein operativer Eingriff vonnöten ist, müssen sich oftmals großen Herausforderungen stellen. Eine Operation mit chirurgischen Maßnahmen wird meist als letzte Möglichkeit betrachtet und erst angewendet, wenn alle anderen Therapien ausgeschöpft wurden. Bei den Patienten werden Fehlstellungen korrigiert. Der Vorgang ist sehr komplex und mit großem Aufwand verbunden. Verläuft der Eingriff ohne Komplikationen, kann insgesamt eine Verbesserung der Beschwerden beobachtet werden. Der Heilungsweg ist jedoch langwierig.


Vorbeugung

Eine aktive Vorbeugung, die die Entstehung oder die Verschlimmerung eines Genu recurvatum verhindern soll, ist nur dann möglich, wenn die Muskelfunktion zumindest teilweise erhalten ist. Gerade für Menschen mit einer Bindegewebsschwäche stellt das regelmäßige Training der beteiligten Muskulatur eine vielversprechende Möglichkeit dar, langfristig zu einer Verbesserung der Gelenkstellung zu kommen.

Wichtig ist aber, dass die Kräftigung mit einer Schulung der Körperwahrnehmung einhergeht. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Muskeln, die das Genu recurvatum verhindern können, auch wirklich in dieser Funktion trainiert werden.

Nachsorge

In den meisten Fällen ist bei Genu recurvatum keine besondere Nachsorge möglich oder notwendig. Der Betroffene ist in erster Linie auf die direkte Behandlung dieser Fehlstellung angewiesen. Eine Selbstheilung kann dabei nicht eintreten, sodass eine medizinische Behandlung immer notwendig ist. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch Genu recurvatum zwar nicht verringert, allerdings kann die Mobilität des Patienten durch diese Krankheit stark leiden.

In den meisten Fällen wird die Krankheit durch Maßnahmen der Physiotherapie und durch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten behandelt. Einige der Übungen aus dieser Therapie können dabei auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Heilung eventuell beschleunigt wird. Bei der Einnahme von Medikamenten ist auf eine richtige Einnahme zu achten, wobei auch Wechselwirkungen zu beachten sind.

In vielen Fällen sind die Betroffenen bei Genu recurvatum auf die Unterstützung der eigenen Familie und ihrer Freunde angewiesen, um den Alltag zu erleichtern. Hierbei wirkt sich vor allem eine sehr liebevolle und intensive Pflege des Betroffenen positiv auf den weiteren Verlauf der Krankheit aus. Auch die Benutzung von Gehhilfen kann unterstützend sein.

Das können Sie selbst tun

Das Genu recurvatum geht für die Patienten mit erheblichen Einschränkungen der gewohnten Mobilität einher und stellt abgesehen von den körperlichen Leiden auch eine enorme psychische Herausforderung dar. Trotz der Scham über die meist sichtbare Erkrankung ist es wichtig, dass sich die Betroffenen nicht zurückzuziehen und weiterhin soziale Kontakte pflegen.

Dadurch ist es möglich, Depressionen und weiteren psychischen Folgeerkrankungen durch das Genu recurvatum vorzubeugen. Möglich ist auch der Kontakt zu anderen Erkrankten, etwa in Form von Selbsthilfegruppen, um gemeinsam mit der Belastung umzugehen und dadurch weniger Lebensqualität einzubüßen.

Für den Umgang mit Schmerzen findet jeder Patient bestenfalls individuelle Möglichkeiten, die ihm Linderung der unangenehmen Empfindungen an den betroffenen Bereichen verschaffen. Möglich sind schmerzlindernde Salben und Bäder. Generell ist es wichtig, dass die Erkrankten auch zu Hause die mit dem Physiotherapeuten einstudierten Übungen ausführen. Durch regelmäßiges Training kommt es zu einer Kräftigung der Muskeln und Sehnen, sodass Schmerzen mitunter nachlassen und sich die Lebensqualität verbessert.

In bestimmten Fällen sind Gehhilfen notwendig, um sich trotz Genu recurvatum sicher zu bewegen. Auch zu Hause unterstützen Gehstützen oder Rollatoren die Beweglichkeit sowie die Ausführung diverser Handgriffe im Haushalt, sodass sie das alltägliche Leben erleichtern.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Grifka, J., Krämer, J.: Orthopädie, Unfallchirurgie. Springer, Heidelberg 2013
  • Wülker, N., Kluba, T., Roetman, B., Rudert, M.: Taschenlehrbuch Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2015

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