Progressive pseudorheumatoide Arthropathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die progressive pseudorheumatoide Arthropathie ist eine sehr seltene rheumaähnliche Erkrankung, welche bereits im Kindesalter beginnt. Rheumatische Entzündungsfaktoren werden jedoch nicht gefunden. Die Erkrankung beruht auf einem gestörten Wachstum der Knorpelkörper.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine progressive pseudorheumatoide Arthropathie?

Da diese Krankheit in den meisten Fällen schon im Kindesalter auftritt, wird die Entwicklung und das Wachstum des Kindes davon erheblich eingeschränkt. Damit kommt es auch im Erwachsenenalter in vielen Fällen zu Einschränkungen und zu Beschwerden.
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Für die progressive pseudorheumatoide Arthropathie gibt es noch mehrere alternative Bezeichnungen. Die progressive pseudorheumatoide Arthropathie beginnt im Kindesalter. Erste Symptome können im Alter zwischen zwei und elf Jahren auftreten. Charakteristisch für die Erkrankung ist eine Kombination von progressiver Arthropathie mit spondyloepiphysäre Dysplasie (Kleinwuchs).

Es handelt sich um eine angeborene genetisch bedingte Störung des Knorpelwachstums. Außerhalb der Gelenke gibt es keine organischen Veränderungen. Die Erkrankung ist sehr selten und tritt hauptsächlich im Mittleren Osten und im Maghreb auf. In der medizinischen Literatur wird eine Häufigkeit von eins bis neun auf eine Million angegeben.

Die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv. Allerdings darf die progressive pseudorheumatoide Arthropathie nicht mit der juvenilen rheumatoiden Arthritis verwechselt werden. Synonym werden die Begriffe Spondyloepiphysäre Dysplasie (SED) mit progressiver Arthropathie, Dysplasia spondyloepiphysaria tarda mit progressiver Arthropathie oder Progressive pseudorheumatoide Chondrodysplasie verwendet. Besonders letztere Bezeichnung deutet bereits auf eine Knorpelveränderung hin.

Ursachen

Als Ursache der progressiven pseudorheumatoiden Arthropathie wird ein Gendefekt angegeben. Dabei handelt es sich um eine Mutation im WISP3-Gen. Dieses Gen befindet sich auf Chromosom sechs und codiert einen Wachstumsregulator. Die von diesem Gen codierten Proteine sind reich an Cystein. Sie spielen eine große Rolle in der Zelldifferenzierung und dem Zellwachstum.

Das Gen inhibiert Signaltransduktionswege, wobei Signalkaskaden gehemmt werden. Durch den Wegfall der Signalkaskadenhemmung kommt es zum gestörten Wachstum der Knorpel. Besonders davon betroffen sind Wirbelkörper. Diese erscheinen abgeflacht und werden daher auch als Plattwirbel bezeichnet. Das Wachstum der Wirbelkörper ist dadurch unregelmäßig.

Während sich im ruhenden Wirbel Nester von Chondrozyten (Knorpelzellen) ansammeln, findet in Richtung der Wachstumszone kaum eine Zellbildung statt. So bilden sich flache Wirbelkörper, die für einen Kleinwuchs (spondyloepiphysäre Dysplasie) der betroffenen Person sorgen. Durch die fehlgebildeten Wirbelkörper entwickelt sich zusätzlich eine zunehmende Arthropathie (progressive Arthropathie). Die Gelenke unterliegen einer ständigen Abnutzung.

In der Folge kommt es zu einer Osteoporose, die nicht auf biochemischen Abbauprozessen beruht, und einer Knorpel bildenden Metaplasie. Bei der Knorpel bildenden Metaplasie wird das Knorpelgewebe in eine unregelmäßige Knorpelmasse umgewandelt. Zur Ausbildung der Erkrankung müssen jedoch die WISP3-Gene beider Elternteile von dieser Mutation betroffen sein. Es handelt sich um einen autosomal rezessiven Erbgang.

Wenn beide Elternteile gesund sind und jeweils ein mutiertes WISP3-Gen besitzen, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, dass ihre Kinder an dieser Erbkrankheit leiden. Ist bereits ein Elternteil von dieser Erkrankung betroffen und der andere Elternteil besitzt ein mutiertes Gen, dann besteht schon eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, die progressive pseudorheumatoide Arthropathie auf die Nachkommen zu übertragen==

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die ersten Symptome bei der progressiven pseudorheumatoiden Arthropathie beginnen im Alter von zwei bis elf Jahren. Zunächst treten Gelenkschwellungen in Bereich der Fingergelenke auf. Die Knochenenden (Epiphysen) sind erweitert. Weiterhin kommt es zur Gelenkspaltverschmälerung, zur Abflachung der Wirbelkörper und zu einer zunehmenden Gelenkzerstörung.

Verbunden damit sind die Schwächung der Muskeln und zunehmende Bewegungseinschränkungen. Des Weiteren bilden sich Wirbelsäulenverkrümmungen und Kniefehlstellungen heraus. In der Folge entstehen Schwellungen, Versteifungen und Schmerzen in mehreren Gelenken. Besonders betroffen sind Knie-, Hüft-, Finger-, Hand- und Ellbogengelenke.

An den betroffenen Gelenken tritt jedoch keine Erwärmung oder Errötung auf, was entzündliche Prozesse ausschließt. Die Patienten leiden aufgrund der abgeflachten Wirbelköper an Kleinwuchs. Im Becken bilden sich zuweilen große asymmetrische Hohlräume aus. Im weiteren Verlauf der Erkrankung verringert sich die Knorpelmasse immer mehr. Durch mechanische Beanspruchung werden auch die Knochen in diesen Bereichen immer mehr abgebaut. Dabei nehmen die Bewegungseinschränkungen zu. Schließlich kann ein Gelenkersatz erforderlich werden.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die progressive pseudorheumatoide Arthropathie ähnelt einer juvenilen rheumatischen Arthritis sehr stark. Das Wort „pseudorheumatisch“ deutet darauf hin. Es bedeutet „scheinbar rheumatisch“. Zur Diagnose der progressiven pseudorheumatoiden Arthropathie muss daher zunächst eine rheumatische Erkrankung ausgeschlossen werden.

Wenn im Blutbild eine normale Blutsenkung, keine Leukozytose, normale CRP und keine negativen Rheumafaktoren festgestellt werden, kann eine juvenile rheumatische Arthritis differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Weiterhin werden Röntgenuntersuchungen durchgeführt. Bei einer progressiven pseudorheumatoiden Arthropathie werden im Röntgenbild abgeflachte Wirbelkörper, der Abbau der angrenzenden Knochen und eine verstärkte unregelmäßige Knorpelbildung um die betroffenen Gelenke entdeckt.

Bei histologischen Untersuchungen werden nestartige Ansammlungen von Chondrozyten (Knorpelzellen) im wachsenden und ruhenden Knorpel festgestellt. Gleichzeitig ist die normale säulenförmige Anordnung der Chondrozyten in der Wachstumszone verloren gegangen. Diese Tatsache lässt vermuten, dass diese Erkrankung hauptsächlich den Gelenkknorpel betrifft. Vor der eigentlichen Diagnose werden oft antirheumatisch wirkende Medikamente verabreicht.

Diese wirken jedoch nicht. Auch das ist bereits ein Indiz dafür, dass diese Erkrankung nicht zum rheumatischen Formenkreis gehört und andere Untersuchungen erforderlich macht.

Komplikationen

Da diese Krankheit in den meisten Fällen schon im Kindesalter auftritt, wird die Entwicklung und das Wachstum des Kindes davon erheblich eingeschränkt. Damit kommt es auch im Erwachsenenalter in vielen Fällen zu Einschränkungen und zu Beschwerden. Die Betroffenen selbst sind dabei in einigen Fällen auch auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen. In den meisten Fällen kommt es dabei zu einer Muskelschwäche und zu Schwellungen an den Gelenken.

Auch Bewegungseinschränkungen und Schmerzen können auftreten. Die Schmerzen selbst treten in den meisten Fällen allerdings unter Belastung auf. Damit kann das Kind nicht am Spielen oder an sportlichen Aktivitäten teilnehmen. Auch Versteifungen oder Fehlstellungen am Knie können durch die Erkrankung auftreten und die Lebensqualität des Betroffenen erheblich verringern.

Weiterhin leiden einige Betroffene auch an einem Kleinwuchs, der vor allem bei Kindern zu Hänseleien oder zu Mobbing führen kann. Es ist leider nicht möglich, diese Krankheit zu behandeln. Die Betroffenen sind damit auf verschiedene Therapien angewiesen, die die Beschwerden einschränken können. Allerdings sind oft auch operative Eingriffe notwendig, um die Beschwerden zu behandeln. Die Lebenserwartung des Patienten wird bei dieser Krankheit in der Regel nicht verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Unregelmäßigkeiten im Wachstums- und Entwicklungsprozess des Kindes gelten als besorgniserregend. Zeigen sich Schwellungen der Gelenke, kommt es zu Fehlstellungen, Einschränkungen der Fortbewegung oder Unstimmigkeiten in den natürlichen Bewegungsabläufen, wird ein Arzt benötigt. Bei Schmerzen, optischen Veränderungen des Skelettsystems sowie einem verschmälerten Gelenk sollte ein Arztbesuch erfolgen. Zeichnet sich eine Kleinwüchsigkeit ab oder stellen sich im unmittelbaren Vergleich zu gleichaltrigen Kindern Unregelmäßigkeiten des Körperbaus ein, ist ein Arzt zu konsultieren.

Eine schwache Muskelkraft, Teilnahmslosigkeit oder ein Rückzugsverhalten sind untersuchen und behandeln zu lassen. Können gewohnte und altersgerechte Freizeitaktivitäten nicht wahrgenommen werden oder kommt es zu Unstimmigkeiten bei der Teilnahme an sportlichen Aktivitäten, wird ein Arzt benötigt. Führen die Bewegungseinschränkungen zu emotionalen Problemen, ist ebenfalls ein Arztbesuch anzuraten. Weinerlichkeit, aggressives Verhalten oder eine starke Unzufriedenheit sollten einem Arzt vorgestellt werden. Leidet der Betroffene unter Schlafstörungen, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten sowie allgemeinen Funktionsstörungen, ist eine Abklärung der Beschwerden vonnöten.

Eine mangelnde Motivation, die Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder eine Abnahme des Wohlbefindens sollten mit einem Arzt besprochen werden. Bei der progressiven pseudorheumatoide Arthropathie kommt es typischerweise zu einer steten Zunahme der Beschwerden. Die Notwendigkeit für die Konsultation eines Arztes zeichnet sich daher über mehrere Wochen oder Monate langsam ab.

Behandlung & Therapie

Die progressive pseudorheumatoide Arthropathie ist eine sehr seltene erblich bedingte Erkrankung. Daher ist eine ursächliche Behandlung nicht möglich. Es erfolgt lediglich eine symptomatische Therapie. Die Zerstörung der Gelenke verursachen häufig starke Schmerzen, die mit Schmerzmitteln vermindert werden müssen. Häufig ist es notwendig, zerstörte Gelenke chirurgisch durch ein künstliches Gelenk zu ersetzen.

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Vorbeugung

Da die progressive pseudorheumatoide Arthropathie eine erblich bedingte Erkrankung ist, gibt es keine Möglichkeit zu ihrer Vorbeugung.

Nachsorge

Da noch keine Behandlung existiert, die eine vollständige Genesung ermöglicht, ist eine Nachsorgebehandlung ausgeschlossen. Trotzdem sind während oder nach einer symptomatischen Therapie zusätzliche Behandlungen sinnvoll. Ein spezielles Trainingsprogramm kann Leiden vermindern. Muskeln und Gelenke sollten nicht zu starken Belastungen ausgesetzt werden. Dennoch haben leichte sportliche Aktivitäten einen positiven Effekt.

Psychotherapeutische Behandlungen sind empfehlenswert, da progressive pseudorheumatoide Arthropathie zu starken Einschränkungen und daraus resultierenden Depressionen führen kann. Offene und aufgeklärte Gespräche helfen den Betroffenen in psychischen Krisensituationen. Regelmäßige Konsultationen des Arztes bei zunehmenden Beschwerden wären erforderlich.

Des Weiteren müssen Untersuchungen von künstlichen Gelenken durchgeführt werden. Der Aufenthalt in einer Rehaklinik folgt oft nach einer Operation, um weitestgehende Schmerz- und Bewegungsfreiheit herzustellen. In der Regel verläuft die erste Nachsorgeuntersuchung ein Jahr später. Alle weiteren Untersuchungen in einem Abstand von fünf Jahren. Es werden muskuläre und koordinative Schwächen untersucht.

Im Anschluss sollten Physiotherapie sowie Beschäftigungstherapie in Erwägung gezogen werden. Progressive pseudorheumatoide Arthropathie belastet betroffene Personen ein Leben lang. Selbst nach einer erfolgreichen Operation gilt der Patient nicht als geheilt. Die systematische Muskelschwächung und die Zerstörung von Gelenken kann im Laufe des Lebens überall auftreten.

Das können Sie selbst tun

Die progressive pseudorheumatoide Arthropathie bei Kindern wirkt sich auf die körperliche Entwicklung aus und führt auch bei einer Therapie oft zu Beschwerden und Einschränkungen. Darum sollten die Patienten mit Geduld und Vorsicht behandelt werden.

Häufig benötigen sie auch im Erwachsenenalter die Hilfe von anderen Menschen. Das hängt mit der Muskelschwäche und den typischen Schwellungen an den Gelenken zusammen. Die Muskeln und Gelenke sollten nicht zu stark belastet werden. Das heißt, dass die Kinder keinen Sport treiben können und auch beim Spielen vorsichtig sein sollten. Die Lebensqualität leidet erheblich darunter. Hinzu kommt in manchen Fällen ein Kleinwuchs, der im Kindergarten oder in der Schule die Ursache für Hänseleien ist. In diesem Fall empfiehlt sich eine Psychotherapie für das Kind.

Die Patienten gewöhnen sich häufig an ihre relative Unbeweglichkeit und die geringe Belastbarkeit. Dennoch fällt es ihnen oft schwer, sich helfen zu lassen. Im offenen Gespräch können Eltern zusammen mit dem Kind und dem Arzt über die Situation sprechen. So lassen sich Aggressionen und depressive Verstimmungen auf sanfte Art bekämpfen. Da es keine heilende Therapie gibt, ist es sehr wichtig, ehrlich zu sein und dem Kind nicht fälschlicherweise Hoffnung zu machen. So kann es sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu einem relativ selbständigen, individuellen Charakter entwickeln.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Kerbl, R. et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2011
  • Muntau, A.C.: Intensivkurs Pädiatrie. Urban & Fischer, München 2011

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