Proximaler Femurdefekt

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 16. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Proximalen Femurdefekt handelt es sich um eine Missbildung im oberen Abschnitt des Femurendes, die nur sehr selten auftritt. Der Proximale Femurdefekt zeigt sich in den meisten Fällen lediglich auf einer Seite des Körpers. Möglich sind verschieden schwere Ausprägungen des Proximalen Femurdefekts, von einer geringen Verkürzung bis zu einem vollkommenen Verlust des Femurs.

Inhaltsverzeichnis

Was ist ein Proximaler Femurdefekt?

Der Proximale Femurdefekt ist angeboren, sodass bestimmte Fehlbildungen meist schon bei der Geburt des betroffenen Babys ersichtlich sind.
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Ein gängiges Synonym für den Proximalen Femurdefekt lautet Coxa vara. Im englischen Sprachgebrauch ist die Erkrankung unter der Bezeichnung Proximal femoral focal deficiency bekannt, wovon sich die allgemein gültige Abkürzung PFFD ableitet. Prinzipiell variiert der Proximale Femurdefekt in seiner Ausprägung stark im individuellen Einzelfall.

Während die genaue Prävalenz des Proximalen Femurdefekts bisher noch nicht bekannt ist, belaufen sich aktuelle Schätzungen auf eine Häufigkeit der Erkrankung von etwa 2:1.000.000. In zahlreichen Fällen tritt der Proximale Femurdefekt gemeinsam mit anderen pathologischen Missbildungen bei den Patienten auf.

Besonders häufig leiden die am Proximalen Femurdefekt erkrankten Personen gleichzeitig auch an einer Patella-Aplasie, einer Fibularen Hemimelie sowie einer Instabilität der Knie. Möglich ist auch eine Assoziation des Proximalen Femurdefekts mit Missbildungen der Füße sowie einer Hypoplasie der Fibula und der Tibia.

Ursachen

Aktuell sind bezüglich der Ursachen und Entstehungshintergründe des Proximalen Femurdefekts noch keine gesicherten Aussagen möglich. Jedoch ist sich der Großteil der Forscher darüber einig, dass es sich bei dem Proximalen Femurdefekt nicht um eine erblich bedingte Krankheit handelt. Stattdessen existieren vermutlich bestimmte externe Faktoren, die zur Ausbildung des Proximalen Femurdefekts bei den betroffenen Kindern führen.

Beispielsweise liegen Studien in Bezug auf die Substanz Thalidomid vor. Sie zeigen, dass ein Kontakt der werdenden Mutter mit diesem Stoff während der fünften oder sechsten Woche der Schwangerschaft unter Umständen einen Proximalen Femurdefekt hervorruft.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Beschwerden des Proximalen Femurdefekts hängen stark von der individuellen Ausprägung der Krankheit und damit dem Einzelfall ab. Möglich ist eine weite Spannbreite von milden Symptomen bis hin zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der am Proximalen Femurdefekt erkrankten Personen. Die traditionelle Unterteilung des Proximalen Femurdefekts stützt sich auf radiologische Aspekte und gliedert die Krankheit in vier Formen.

Dabei besteht entweder eine knöcherne Verbindung zwischen dem Kopf des Femurs und dem Schaft oder es liegt keine solche Verbindung vor. Zudem ist es möglich, dass der Femurkopf entweder teilweise oder aber kaum vorhanden ist. Die Beschwerden nehmen mit zunehmender Missbildung des Femurkopfes zu. Anhand einer moderneren Unterteilung des Proximalen Femurdefekts zeigen sich die Symptome im kompletten Fehlen des Femurs und Schädigungen des Beckens.

Auch eine mangelhafte oder nicht vorhandene Verbindung zwischen dem Femurkopf und dem Schaft sowie Missbildungen in der Mitte des Schaftes mit Hypoplasie zeigen sich als Begleiterscheinungen. Bei einigen Patienten äußert sich der Proximale Femurdefekt in einer Coxa cara oder einer Coxa valga sowie einem hypoplastischen Femur.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Der Proximale Femurdefekt ist angeboren, sodass bestimmte Fehlbildungen meist schon bei der Geburt des betroffenen Babys ersichtlich sind. In der Folge ordnen die Ärzte weitere Untersuchungen bei den Neugeborenen an, um schnellstmöglich zu einer Diagnose zu gelangen. Orthopäden spielen bei der Diagnosestellung des Proximalen Femurdefekts eine wichtige Rolle, die meist in Anwesenheit der Sorgeberechtigten diverse klinische Untersuchungsmethoden anwenden.

Am wichtigsten sind zunächst die äußerlich sichtbaren Anzeichen der Fehlbildung. Dabei ist eine Verkürzung des Beins auf einer Seite des Körpers das wichtigste Symptom. Schwerwiegende Fälle sind bereits unmittelbar nach der Geburt feststellbar. Leichte Verkürzungen treten unter Umständen erst bei kleinen Kindern in Erscheinung.

Der Arzt setzt üblicherweise bildgebende Verfahren zur Diagnose und Feststellung des Schweregrads des Proximalen Femurdefekts ein. So kommt bei der Untersuchung des Proximalen Femurdefekts standardmäßig die Röntgentechnik zum Einsatz. Hier erkennt der Facharzt die knöchernen Anlagen im Bereich des Femurs.

Bei kleinen Kindern wendet der Arzt meist sonographische Methoden der Untersuchung an. Typisch für den Proximalen Femurdefekt und hilfreich für die Diagnose ist zudem, dass die Muskeln in manchen Fällen hypolastisch sind. Wichtig ist eine Differentialdiagnose mit Abgrenzung des Proximalen Femurdefekts vom Femoral-faziales Syndrom und dem Fuhrmann-Syndrom.

Komplikationen

Zu welchen Komplikationen es bei einem proximalen Femurdefekt kommen kann, ist von der Ausprägung der Fehlbildung des oberen Femurendes abhängig. Diese bestimmt auch die Differenz der Beinlängen. In den meisten Fällen ist die Beinverkürzung kaum sichtbar. Dann kommt es in der Regel auch nicht zu weiteren Beschwerden oder Komplikationen. Allerdings führt ein stark verkürztes Bein zu Schwierigkeiten beim Stehen und Gehen. Der Patient hinkt.

In der Folge kann sich eine Verkrümmung der Wirbelsäule entwickeln. Es kommt zu weiteren Haltungsschäden an der Wirbelsäule, die zu dauerhaften Schmerzen führen können. So treten die Schmerzen entweder bei Ruhe oder bei Belastungen auf. Insgesamt sinkt dadurch auch die Belastbarkeit der betroffenen Kinder. Neben den Schmerzen können die Kinder auch Mobbing und Hänseleien ausgesetzt sein. Beides stellt eine erhebliche psychische Belastung dar.

Als Folge entwickeln sich nicht selten Depressionen oder andere psychische Erkrankungen. Die Depressionen können sogar bis zur Suizidgefährdung führen. In vielen Fällen findet aufgrund des Mobbings auch eine gesellschaftliche Ausgrenzung statt. Betroffene Kinder ziehen sich oft zurück und meiden soziale Kontakte. Auf dieser Grundlage können auch andere psychische Erkrankungen entstehen.

Eine richtige Behandlung kann jedoch viele Komplikationen verhindern. Operationen zur Beinverlängerung werden meist nicht ausgeführt. Diese sind oft sogar gefährlich oder bringen zumindest keine Besserung. Meist reichen Schuherhöhungen mit speziellen Schuhen und Einlagen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In vielen Fällen ist der proximale Femurdefekt bereits unmittelbar nach der Geburt erkennbar. Findet die Niederkunft in einem stationären Umfeld statt oder wird sie von einem Geburtshelfer begleitet, werden die Erstuntersuchungen automatisch von dem betreuenden Pflegeteam eingeleitet. Die Eltern des Kindes müssen daher keine Maßnahmen ergreifen. Ihnen wird angeraten, mit den betreuenden Ärzten in einem engen Austausch zu stehen, um schnellstmöglich notwendige Entscheidungen für die Behandlung und Verbesserung der Gesundheit des Kindes zu treffen.

Zeigen sich erst im weiteren Wachstums- und Entwicklungsprozess des Kindes optische Auffälligkeiten des Körperbaus, wird ein Arzt benötigt. Insbesondere Auffälligkeiten des Oberschenkels sind einem Arzt zur Untersuchung vorzustellen. Probleme bei der Fortbewegung, Gangunsicherheiten, Einschränkungen der allgemeinen Mobilität oder Besonderheiten der Bewegungsabläufe sind von einem Arzt abklären zu lassen.

Schmerzen, Fehlstellungen oder Fehlhaltungen, Probleme des Muskelapparates sowie eine Überempfindlichkeit bei Berührung sind untersuchen und behandeln zu lassen. Neben körperlichen Missbildungen kann es bei dieser Erkrankung zu emotionalen oder seelischen Auffälligkeiten kommen. Ein Arztbesuch ist daher ebenfalls erforderlich, wenn sich Verhaltensstörungen, depressive Phasen oder ein stark vermindertes Selbstbewusstsein zeigen. Ein Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, ein herabgesetztes Wohlbefinden sowie Auffälligkeiten des Sozialverhaltens sind mit einem Arzt oder Therapeuten zu besprechen.

Behandlung & Therapie

Die Maßnahmen der Therapie richten sich nach den individuellen Beschwerden beziehungsweise der Ausprägung des Proximalen Femurdefekts. Bei milden Formen des Proximalen Femurdefekts verschaffen Orthesen, Erhöhungen der Schuhe durch spezielle Sohlen und Einlagen sowie Prothesen meist Abhilfe. Hingegen stellen Korrekturen oder Verlängerungen der Knochen im überwiegenden Teil der Fälle keine sinnvollen Optionen dar, die zudem erhebliche Risiken bergen.

Im Fall der Hirtenstabdeformität erfolgt oft eine Implantation einer Endoprothese. Der chirurgische Eingriff findet bereits bei Erkrankten in der Wachstumsphase statt. Im Hinblick auf die Seltenheit des Proximalen Femurdefekts sind therapeutische Maßnahmen unbedingt in geeigneten Spezialzentren durchführen zu lassen.


Vorbeugung

Der Proximale Femurdefekt ist angeboren und daher schon bei der Geburt festgelegt. Auch die jeweilige Ausprägung und der Schweregrad des Defekts stehen bereits fest. Somit ist es nicht möglich, dem Proximalen Femurdefekt effektiv vorzubeugen. Daher sind angemessene therapeutische Verfahren besonders wichtig. Auch leichte Fehlbildungen erfordern eine geeignete Behandlung, da ein Ignorieren der Fehlbildung beispielsweise zu langfristigen Schäden an den Gelenken führt.

Nachsorge

Eine optimale Nachsorge richtet sich im wesentlichen nach der Art der vorausgegangenen Behandlungsmethode. Dabei bedarf es eines Therapie-übergreifenden Teams, welches in zeitnaher Abstimmung zusammenarbeitet. Ging ein operativer Eingriff voraus, sind regelmäßige Röntgenuntersuchungen unerlässlich. Nur so kann eine erfolgversprechende Korrektur des Defektes überwacht werden.

In die Nachsorge involviert sein sollten neben Fachärzten aus Pädiatrie und Orthopädie auch Spezialisten aus den Bereichen Orthesen/Prothesenbau und -anpassung. Unerlässlich ist der regelmäßige Einsatz eines erfahrenen Physiotherapeuten. Bestenfalls verfügt er über eine spezielle Ausbildung für dieses Krankheitsbildes. Der Fokus einer manuellen Therapie liegt beim Erhalt der Gelenkbeweglichkeit.

Einbezogen werden dabei Hüfte, Knie und Fuß. Ein Augenmerk wird der Erhaltung der Wirbelsäulensymmetrie durch entsprechenden Muskelaufbau zuteil. Nur so können die Spätfolgen einer Fehlbelastung vermieden werden. Eine physiotherapeutische Nachsorge muss in regelmäßigen Abständen erfolgen, um den Erhalt der vorausgegangenen Therapie zu gewährleisten.

Bestenfalls geschieht dies mehrmals die Woche. Bestimmte Übungen werden von den Eltern oder Familienangehörigen zuhause ergänzt und weitergeführt. Dies geschieht unter Anleitung des jeweiligen Therapeuten. Eine Behandlung mit der entsprechenden Nachsorge ist nicht nur zeitintensiv, sondern oft auch belastend für den Patienten wie auch für die Familie. Es empfiehlt sich deshalb die Unterstützung von einem Psychologen in Erwägung zu ziehen.

Das können Sie selbst tun

Bei Patientinnen und Patienten mit einem Proximalen Femurdefekt sollte von klein auf darauf geachtet werden, dass ihre Hüfte, Knie und Sprunggelenke beweglich werden und möglichst auch lebenslang beweglich bleiben. Dazu empfiehlt sich ständige Physiotherapie. Die kleinen Patienten mögen diese intensive Therapie möglicherweise vorübergehend ablehnen, sollten aber angehalten werden, die Termine einzuhalten.

Um Rückenschmerzen zu vermeiden, sollten die Kinder ihre Orthesen so viel wie möglich tragen, selbst wenn sie sie ablehnen. Eltern tun gut daran, ihre Kinder mit den Orthesen auch spielen zu lassen, damit sie ihre Furcht vor dem orthopädischen Hilfsmittel verlieren. Ausgleichende Gymnastik unter Anleitung der Therapeuten oder der Eltern kann einer Asymmetrie der Wirbelsäule vorbeugen oder ausgleichend wirken. Sie sollte allerdings konsequent mehrmals täglich durchgeführt werden. Insgesamt profitieren die Femurdefekt-Patienten ein Leben lang von Dehn-, Streck- und Muskelaufbauübungen. Damit es nicht zu einer Schieflage des ganzen Körpers kommen kann, sollten insbesondere Bauch und Rücken anhaltend trainiert werden.

Nach Operationen empfiehlt sich eine gute Wunderversorgung, da es gerade bei Gelenken schnell zu Infektionen kommen kann. Diese wiederum führen oft zu schmerzhaften, manchmal sogar irreversiblen Komplikationen. Um das zu verhindern, sollte die Operationswunde steril gehalten und ihr Heilungsverlauf regelmäßig kontrolliert werden.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P.: Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2014
  • Wülker, N., Kluba, T., Roetman, B., Rudert, M.: Taschenlehrbuch Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2015

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