Silver-Russell-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Silver-Russell-Syndrom (RSR) stellt ein sehr seltenes Syndrom dar, welches sich bereits durch vorgeburtliche Wachstumsstörungen mit Ausbildung von Kleinwuchs auszeichnet. Bisher wurden nur circa 400 Fälle der Erkrankung dokumentiert. Das Erscheinungsbild ist sehr variabel und deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine einheitliche Erkrankung handelt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Silver-Russell-Syndrom?

Nach neueren Untersuchungen können für die Entstehung des Silver-Russell-Syndroms unterschiedliche Ursachen angenommen werden. Gemeinsam ist jedoch allen Formen die genetische Grundlage der Erkrankung.
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Das Silver-Russell-Syndrom zeichnet sich durch einen intrauterinen Kleinwuchs aus. Intrauterin bedeutet, dass sich der Kleinwuchs bereits im Mutterleib herausbildet. Aus noch nicht genau bekannten Ursachen wird das Wachstum des Kindes gehemmt. Die Erkrankung wurde in den Jahren 1953 und 1954 von dem Engländer Henry Russel und dem Amerikaner Alexander Silver näher untersucht.

Im englischsprachigen Raum wird das Syndrom auch als Russel-Silver-Syndrom (RSS) bezeichnet. Henry Russel und Alexander Silver interessierten sich bei der Untersuchung hauptsächlich für die Ursachen dieser Erkrankung. Dabei konnten sie feststellen, dass es sich um keine einheitliche Erkrankung handelt, sondern um einen Symptomenkomplex, der zwar genetisch bedingt ist, dem aber unterschiedliche genetische Defekte zugrunde liegen.

Das Hauptmerkmal dieser Erkrankung ist der intrauterine Kleinwuchs mit Mangelernährung. Die beiden Mediziner konnten anhand der dokumentierten Fälle sporadisch auftretende und familiär gehäufte Formen der Erkrankung nachweisen. Daraus schlossen sie bereits damals auf eine genetisch bedingte Erkrankung.

Ursachen

Nach neueren Untersuchungen können für die Entstehung des Silver-Russell-Syndroms unterschiedliche Ursachen angenommen werden. Gemeinsam ist jedoch allen Formen die genetische Grundlage der Erkrankung. So wurde bei 15 Prozent aller Betroffenen eine sogenannte maternale uniparentale Disomie 7 (UPD(7)mat) entdeckt. Hier wurden den Patienten jeweils zwei Kopien des mütterlichen Chromosoms Nr. 7 vererbt.

Das entsprechende väterliche Chromosom fehlt oder ist beschädigt. Diese Situation spricht für ein sogenanntes Imprinting. Hierbei ist nur ein mütterliches Chromosom 7 aktiv. Welche Mechanismen nun jedoch zu dem Kleinwuchs führen, ist noch nicht bekannt. Neben diesem doppelten mütterlichen Chromosom 7 wird zu 40 Prozent eine andere Form des Silver-Russell-Syndroms auf eine zu geringe Methylierung von Chromosom 11 zurückgeführt.

Dabei ist das väterliche Allel H19-DMR in 11p15 betroffen. Das zu gering methylierte Allel codiert eine funktionsunfähige RNA. Normalerweise ist das väterliche H19-Gen gut methyliert und das entsprechende mütterliche Allel nicht. Wenn die Region DMR1 des väterlichen Allels methyliert ist, wird der Wachstumsfaktor IGF2 gebildet. Bei einem wenig methylierten väterlichen Allel wird dieser Faktor jedoch nicht mehr ausreichend erzeugt.

Neben den beiden dargestellten Hauptursachen für das Silver-Russell-Syndrom wurden noch andere strukturelle chromosomale Veränderungen gefunden. So wurden Verlängerung im kurzen Arm von Chromosom 7 oder Verkürzungen im langen Arm von Chromosom 17 gefunden.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Ein Silver-Russell-Syndrom zeichnet sich durch eine Vielzahl von Symptomen aus. Als Leitsymptom gilt der intrauterine Kleinwuchs mit Mangelernährung. Das Kind wiegt bei der Geburt meist weniger als zwei Kilogramm. Der Kopf ist im Verhältnis zum Körper relativ groß. Die Stirn ist oft hoch und vorgewölbt. Das Gesicht ist dreieckig und besitzt tief sitzende weit hinten ansetzende Ohren.

Darüber hinaus kennzeichnet ein spitzes Kinn, Lidfalten an den Augen sowie einen keinen Mund mit herabhängenden Mundwinkeln die am Silver-Russel-Syndrom-Erkrankte. Auffällig sind die Zahnfehlstellungen. Die Haut ist dünn und enthält weiße bis bräunliche Flecken. Es gibt Fehlstellungen von Fingern und Zehen. Die Knochenreifung ist deutlich verzögert, was das reduzierte Längenwachstum erklärt. Das Wachstum ist ungleichmäßig.

Die Erwachsenengröße ist bei zwei Dritteln der Erkrankten unterdurchschnittlich. Ein Drittel weist jedoch eine normale Größe auf. Das Gewicht bleibt unterdurchschnittlich. Weitere Symptome wie Gaumenspalte, sehr hohe Stimme, Schwerhörigkeit, Hypoglykämie oder Keratokonus können auftreten. Insgesamt ist zu beachten, dass nicht alle Betroffenen alle Symptome ausbilden. Die geistige Leistungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnosestellung ist durch die Ausbildung der verschiedenen Symptome erschwert. Wenn bestimmte Leitsymptome vorhanden sind, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um das Silver-Russell-Syndrom handelt. Dabei ist jedoch noch nicht bekannt, welche Form der Erkrankung vorliegt.

Dazu wird zunächst der Methylierungsgrad von Allel H19-DMR des 11. Chromosoms bestimmt. Ist dieser zu niedrig, gehört der Patient zu den 40 Prozent der Betroffenen mit diesem Defekt. Sollte es sich nicht bestätigen, muss eine grundlegende Untersuchung des Erbmaterials durchgeführt werden.

Komplikationen

Das Silver-Russell-Syndrom kann zu vielen verschiedenen Beschwerden und Komplikationen führen, die alle die Lebensqualität des Betroffenen deutlich verringern und einschränken. In der Regel kommt es dabei zu einem Kleinwuchs und zu verschiedenen Fehlbildungen. Der Kopf der Betroffenen ist übermäßig groß.

Diese Beschwerde kann vor allem bei Kindern oder Jugendlichen zu Mobbing oder zu Hänseleien und damit auch zu Depressionen und zu anderen psychischen Beschwerden führen. Auch das Gesicht ist dabei von den Fehlbildungen betroffen, sodass es zu einer deutlich verringerten Ästhetik kommt. Weiterhin führt das Silver-Russell-Syndrom zu Fehlstellungen der Zähne und zu Beschwerden an den Knochen.

Diese können leichter brechen, sodass die Patienten häufiger an Verletzungen oder an Knochenbrüchen leiden. Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es meistens zur Ausbildung von Hörbeschwerden und Sehbeschwerden. Auch eine geistige Retardierung kann dabei auftreten und den Alltag des Betroffenen erschweren. Diese sind dabei häufig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.

Eine direkte und kausale Behandlung des Silver-Russell-Syndroms ist nicht möglich. Die einzelnen Fehlbildungen können allerdings behandelt werden. Meistens ist die Lebenserwartung der Betroffenen durch das Syndrom nicht eingeschränkt oder verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Silver-Russell-Syndrom bedarf in der Regel immer einer medizinischen Behandlung. Es kann bei dieser Erkrankung nicht zu einer Selbstheilung kommen, sodass der Patient im jeden Fall auf eine Behandlung durch einen Arzt angewiesen ist. Da es sich beim Silver-Russell-Syndrom um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, sollte bei einem Kinderwunsch auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, um weitere Komplikationen und das Vererben des Syndroms zu verhindern.

Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an verschiedenen Fehlbildungen am Körper leidet. Dabei kommt es zu einem übergroßen Kopf und meistens auch zu einem deutlichen Untergewicht direkt nach der Geburt. Das Silver-Russell-Syndrom kann auch durch starke Fehlstellungen der Zähne erkannt werden, wobei die meisten Betroffenen auch an einer Schwerhörigkeit oder an einer Gaumenspalte leiden.

In einigen Fällen deutet auch ein Kleinwuchs auf das Silver-Russell-Syndrom hin und muss von einem Arzt untersucht werden. Die erste Diagnose des Syndroms wird meistens im Krankenhaus direkt nach der Geburt durchgeführt. Die Betroffenen sind beim Silver-Russell-Syndrom auf eine lebenslange Therapie angewiesen, um die Lebenserwartung nicht zu verringern. Da das Syndrom auch zu psychischen Beschwerden führen kann, sollte auch eine psychologische Behandlung durchgeführt werden.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Behandlung der Erkrankung ist aufgrund der genetischen Grundlage des Silver-Russell-Syndroms nicht möglich. Es wird hauptsächlich versucht, durch Gabe von Wachstumshormonen das Wachstum anzuregen. Das gelingt in einigen Fällen sehr gut. So konnte das Längenwachstum teilweise deutlich verstärkt werden. Bei anderen Betroffenen zeigt diese Therapie teilweise nur wenig oder gar keine Erfolge.

Da viele Erkrankte auch oft an Hypoglykämie leiden, sollte alles getan werden, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Ansonsten sind Menschen mit SRS in ihrer Lebensqualität in der Regel nicht eingeschränkt. Bei der Vielzahl der möglichen Symptome kann es jedoch passieren, dass es zu gewissen Einschränkungen kommt. Neben der Hypoglykämie könnte ein möglicher Keratokonus zu Sehbehinderungen führen.

Hier verkrümmt sich die Hornhaut des Auges kegelförmig und macht zuweilen eine ständige Anpassung der Brille oder der Kontaktlinsen erforderlich. Bei Ausbildung einer Gaumenspalte muss eine korrigierende Operation erfolgen.


Vorbeugung

Eine Prophylaxe für das Silver-Russell-Syndrom ist sehr schwierig, weil die Erkrankung oft sporadisch auftritt. In familiär gehäuften Fällen sollte eine humangenetische Untersuchung durchgeführt werden, um den Genstatus zu bestimmen. Im Rahmen einer humangenetischen Beratung sollte dann das Risiko für die Nachkommen erörtert werden.

Nachsorge

In den meisten Fällen stehen dem Betroffenen beim Silver-Russell-Syndrom keine besonderen Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung. Aus diesem Grund sollte der Betroffene idealerweise schon frühzeitig einen Arzt kontaktieren und damit auch eine Behandlung einleiten, damit es im weiteren Verlauf nicht zu Komplikationen oder zu anderen Beschwerden kommt.

Da es sich beim Silver-Russell-Syndrom um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, kann diese in der Regel nicht wieder vollständig geheilt werden. Daher sollte bei einem Kinderwunsch auf jeden Fall eine genetische Beratung und Untersuchung durchgeführt werden, damit es nicht zu einem erneuten Auftreten dieser Erkrankung kommen kann. Die meisten Betroffenen sind in ihrem Alltag auf die Hilfe und die Unterstützung der eigenen Familie angewiesen.

Dadurch kann der Alltag des Betroffenen deutlich erleichtert werden, was auch Depressionen und andere psychische Verstimmungen verhindern kann. In vielen Fällen sind auch operative Eingriffe notwendig, um die Beschwerden zu lindern. Nach einem solchen Eingriff sollte sich der Betroffene ausruhen und seinen Körper schonen. Von Anstrengungen oder von stressigen und körperlichen Tätigkeiten ist dabei abzusehen. In einigen Fällen verringert das Silver-Russell-Syndrom die Lebenserwartung des Betroffenen, wobei eine allgemeine Voraussage nicht möglich ist.

Das können Sie selbst tun

Eine schwangere Frau ist gut beraten, wenn sie an allen angebotenen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft teilnimmt. In verschiedenen Tests und bildgebenden Verfahren wird der Gesundheitszustand des Nachwuchses kontrolliert und dokumentiert. Bei Unregelmäßigkeiten kann bereits in dieser Phase in Erfahrung gebracht werden, welche Störungen vorliegen können. Dies gibt den werdenden Eltern die Möglichkeit, bereits frühzeitig auf die Situation reagieren zu können und entsprechende Entscheidungen sowie Vorkehrungen zu treffen.

Im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung ist ein stabiles Selbstbewusstsein notwendig. Das soziale Umfeld sollte über die Störung und die entsprechenden Beschwerden informiert werden. Dies hilft, um Missverständnissen oder Konflikten vorzubeugen. Da die geistige Leistungsfähigkeit des Patienten eingeschränkt ist, sollten frühzeitig Maßnahmen der Förderung eingeleitet werden. Hilfreich ist es, wenn zudem eigenständig auch außerhalb der Therapien Trainings und Übungen zur Verbesserung der Situation durchgeführt werden. Wenngleich dadurch keine Heilung erreicht wird, ist eine Linderung der Beschwerden bei den Betroffenen wahrzunehmen. Die Bewältigung des Alltags wird erleichtert und das Wohlbefinden gesteigert.

Da bei den Erkrankten ein erhöhtes Risiko für Verletzungen oder Knochenbrüchen besteht, ist bei der Fortbewegung und der Durchführung von sportlichen Übungen darauf Rücksicht zu nehmen. Ebenfalls sind Freizeitaktivitäten auf die Vorgaben des Organismus abzustimmen.

Quellen

  • Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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