Systematische Desensibilisierung

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das menschliche Verhalten wird in erster Linie durch Lernen geformt. Erfahrungen und erlernte Regeln haben Einfluss auf Tun und Denken. Dadurch können allerdings auch psychische Störungen auftreten, die durch Lernerfahrungen geprägt wurden.

Im Bereich der Psychotherapie gibt es speziell die Behandlungsform der Verhaltenstherapie. Diese setzt voraus, dass mögliche Verhaltensstörungen auf erlernte Fehleinstellungen zurückzuführen sind, die durch gezielte Dekonditionierung, also ein bewusstes Wieder-Verlernen, aufgehoben werden können. Dabei sollen keine Wurzeln an Fehlentwicklungen aufgedeckt, sondern die Sichtweisen und das Verhalten des Menschen untersucht und gegebenenfalls korrigiert werden. Eine angewandte Methode der Verhaltenstherapie ist wiederum die systematische Desensibilisierung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Systematische Desensibilisierung?

Die systematische Desensibilisierung ist eine angewandte Methode der Verhaltenstherapie.

Die systematische Desensibilisierung wurde von dem amerikanischen Psychiater Joseph Wolpe begründet und dient vor allen Dingen zum Abbau von Ängsten und Phobien.

Dabei stützt sie sich auf die klassische Konditionierung, die von Iwan P. Pawlow entwickelt wurde, der die ersten Konditionierungsversuche an einem Hund durchführte. Dieser reagierte nicht nur beim Anblick von Nahrung mit Speichelbildung, sondern auch beim Klingeln einer Glocke. Daraus schloss Pawlow, dass eine Reaktion zwangsläufig auf einen Reiz erfolgt. Gerade beim Menschen sind viele Ängste und damit einhergehende psychosomatische Erkrankungen klassisch konditioniert.

Funktion, Wirkung & Ziele

Bei der systematischen Desensibilisierung wird vorausgesetzt, dass ein Angstzustand und körperliche Entspannung nicht gleichzeitig möglich sind. Daher muss zunächst der Angst auf den Grund gegangen werden. Die Abfolge der Therapie ist ein Mehr-Phasen-Prozess.

Der Patient erstellt zu Beginn der Therapie eine Hierarchie seiner Ängste. Als Beispiel kann die Angst vor Hunden spezifischer betrachtet werden, wenn sich die Angst bei großen Hunden gegenüber kleinen verstärkt. Danach erfolgt ein Entspannungstraining. Ist die Angst definiert, erlernt der Betroffene Entspannungstechniken, die er anwenden kann, um seine Ängste nach und nach zu überwinden. Das können z. B. autogenes Training, Meditationsübungen oder progressive Muskelentspannungen sein.

Das autogene Training ist eine Entspannungstechnik, die auf Autosuggestion beruht und 1920 von dem deutschen Psychiater Johannes H. Schultz entwickelt wurde. Es basiert auf der Kenntnis biologischer Vorgänge im Körper während dem Zustand der Hypnose. Beim autogenen Training versetzt sich der Patient unter Anleitung seines Therapeuten, später dann alleine, in ein Hypnoid, also in eine Vorstellung, die dem Bewusstsein selbst entzogen ist und eine von innen heraus erzeugte Entspannung bewirken soll. Dabei kann er liegen oder sitzen.

Aufeinander folgende Formeln ermöglichen bald einen Rückzug von der Umwelt und dem Alltagsstress als meditative Versunkenheit. Solche Formeln können das Erlebnis von Schwere, Wärme, die Regulierung von Herz und Atmung unterstützen, indem sich der Patient selbst suggeriert, er wäre ganz ruhig, er spüre seine Arme und Beine, das Herz, das eigene Atmen. Nach dem Versunkensein kehrt der Patient in die Umwelt zurück und streckt seinen Körper.

Meditation ist eine mehr spirituelle Praxis, die Achtsamkeit und Ruhe fördert. Sie soll helfen, die Gegenwart als vordergründigen Bewusstseinszustand neben dem Bewusstsein für den Alltag zu sehen und so in Konzentration zu innerer Ausgeglichenheit zu gelangen. Verschiedene Techniken, die durch die östliche Heilkunst geprägt sind, wurden dabei auch an die Bedürfnisse des Westens angepasst. Dabei gibt es aktive und passive Übungen. Zu den aktiven Techniken gehören ZEN, Konzentrations- und Ruhemeditationen, zu den aktiven z. B. Yoga, Kampfkunst oder Tantra. Für die systematische Desensibilisierung eignet sich die passive Meditation besser, da die Atmung vertieft, der Herzschlag verlangsamt wird und die Muskeln entspannt werden.

Die progressive Muskelentspannung ist durch den Physiologen Edmund Jacobson begründet. Sie ist eine Technik mit dem Ziel einer Entspannung von Geist und Körper, mit der auch die Selbstwahrnehmung verbessert werden soll. Dabei werden einzelne, genau definierte Muskelpartien in festgelegter Reihenfolge nacheinander angespannt und wieder entspannt. Der Patient muss dabei sowohl die Anspannung und Entspannung unterscheiden und bewusst betrachten, um sich darauf zu konzentrieren. Damit sollen Angstzustände reduziert werden.

Nach diesen Übungen wird die Angst wieder näher betrachtet, das Angstobjekt soll in der Entspannungsphase als Vorstellung bewusst wahrgenommen werden. Sobald Angst aufkommt, wird das Training unterbrochen. Diese Handlungsvorgänge finden so lange statt, bis der Patient das Objekt angstfrei betrachten kann.

Durch die zuvor festgelegte Angsthierarchie werden im entspannten Zustand der systematischen Desensibilisierung nach und nach all die Objekte durchgenommen, die auf den verschiedenen Stufen jeweils mehr Angst auslösen, bis schließlich das höchste Objekt erreicht ist. Sind alle Phasen überstanden, wird der Patient schließlich mit dem Objekt selbst konfrontiert, z. B. mit dem Hund, vor dem er sich zuvor gefürchtet hat, oder mit seiner Flugangst, wobei er dann einen Flug unternimmt.

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Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren

Angststörungen sind Fehl- oder Überreaktionen des Körpers. Obwohl kein eigentlicher Grund für eine solche Reaktion vorhanden ist, schaltet dieser im vegetativen Nervensystem auf Alarm.

Unter Angststörungen werden Phobien, Panikattacken, posttraumatische Belastungsstörungen und generalisierte Angstzustände gezählt. All diese Störungen bringen eine starke Beunruhigung und erlebte körperliche Erregung mit sich und ziehen den Wunsch nach sich, durch gezielte Gedanken oder Handlungen den jeweiligen Angstauslöser vermeiden zu wollen, wodurch die Angst jedoch verstärkt wird und nicht verschwinden kann.

Verschiedene Verfahren im Bereich der Verhaltenstherapie sind unter solchen Bedingungen hilfreich. Der Vorteil der systematischen Desensibilisierung ist u. a., dass sich der Betroffene die Angstsituation zunächst nur vorstellen muss, um durch Entspannung die Angst zu überwinden. Das Verfahren wird in erster Linie dann angewendet, wenn praktische Übungen aufgrund der Phobien und Ängste noch nicht möglich sind.

Quellen

  • Laux, G. Möller, H.: Memorix Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2011
  • Möller, H., Laux, G., Deister, A.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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