Otolithen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Otolithen sind kleine Körnchen aus festem Material, die bei allen Organismen für die Wahrnehmung von Beschleunigung und Schwerkraft verantwortlich sind. Sie bestehen meist aus Kalziumkarbonat oder Stärke. Bei Säugetieren einschließlich des Menschen befinden sich die Kalzitkörnchen im Innenohr und regulieren das Gleichgewicht.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Otolithen?

Otolithen haben die Funktion, den Organismus im Gleichgewicht zu halten. Dabei unterliegen die in der Gelmatrix eingebetteten Kalzitkörnchen mechanischen Kräften wie Schwerkraft, Scher- und Zugkräften sowie Druckkräften.
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Otolithen sind bei Säugetieren für den Gleichgewichtssinn verantwortlich. Sie befinden sich im Innenohr im Vestibularorgan (Gleichgewichtsorgan) und ermöglichen die Wahrnehmung von Beschleunigung und Schwerkraft. Otolithen gehören zu den Statolithen, die bei allen Lebewesen vorkommen und die Lage des Organismus steuern.

Bei Säugetieren dienen sie dem Gleichgewichtssinn und bei Fischen auch dem Hörsinn. Im engeren Sinne werden sie bei Säugetieren auch als Otokonien bezeichnet. Otokonien sind anorganische Biomaterialien aus Kalziumkarbonat, welches hier in Form von Kalzit vorliegt. Diese Kalzitkörnchen sind an den Härchen von Sinneszellen befestigt, wo sie die Richtung zum Erdmittelpunkt anzeigen.

Sie ermöglichen dabei die Wahrnehmung von Zug-, Druck- und Scherkräften. Die dadurch von den Gleichgewichtsorganen ausgelösten Reflexe führen dazu, dass der Organismus seine Normallage im Raum aufrechterhalten kann. Bei Wirbellosen sind die Statolithen frei beweglich, nehmen den tiefsten Punkt im Raum ein und reizen dabei die an dieser Stelle befindlichen Sinnesorgane.

Anatomie & Aufbau

Bei Säugetieren einschließlich des Menschen enthalten Utriculus und Sacculus Otolithen aus Kalzit-Kristallen, die sich in einer gelartigen Matrix befinden. Utriculus und Sacculus sind als Teile des Vestibularorgans (Gleichgewichtsorgan) zwei Aussackungen des häutigen Labyrinths im Innenohr. Die Fortsätze der Haarzellen (Stereozilien) kleben an diesen Gelklumpen.

Dabei übertragen sich die Relativbewegungen der Otolithen auf die Härchen und verursachen Sinnesreize. Die essenziellen nichtzellulären Bestandteile oberhalb der Sinneszellen im Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) werden als Otokonien bezeichnet. Sie sind in eine gelartige Masse aus organischem Material eingebettet. Das Gel stellt eine Proteinmatrix dar. Dabei bestehen die Otolithen zu 95 Prozent aus einer chemischen Modifikation von Kalziumkarbonat (Kalzit) und zu 5 Prozent aus Glykoproteinen sowie Kalzium bindenden Proteinen.

Im Nanobereich ist bei den humanen Otolithen (Otokonien) eine Mosaikstruktur erkennbar. Daher werden sie auch als mosaikkontrollierte Nanokomposits gekennzeichnet. Die innere Struktur der Otokonien ist volumendicht und nanostrukturell in Form einer Hantel geordnet, während die äußere Struktur weniger geordnet erscheint.

Funktion & Aufgaben

Otolithen haben die Funktion, den Organismus im Gleichgewicht zu halten. Dabei unterliegen die in der Gelmatrix eingebetteten Kalzitkörnchen mechanischen Kräften wie Schwerkraft, Scher- und Zugkräften sowie Druckkräften. Unter dem Einfluss dieser Kräfte wird die Flüssigkeit in den Bogengängen (Abschnitte des Vestibularorgans) bewegt. Von dort gelangen die Bewegungsreize über die Kalzitkörnchen zu den Sinneshärchen.

Die Sinneshärchen leiten den Reiz weiter an die Sinneszellen des Gleichgewichtsorgans. Das Vestibularorgan löst Reflexe aus, die den Körper wieder in Normallage bringen. Die Bewegung der Kalzitkörnchen wird durch die Masseträgheit bei Beschleunigung oder Abbremsung der Geschwindigkeit erzeugt. Diese beschleunigte oder abbremsende Bewegung würde ohne Gleichgewichtsorgan und Otolithen zum Verlust der Orientierung und damit des Gleichgewichtes führen. Die Otolithen im Innenohr sorgen somit für die Koordination komplizierter Bewegungen und für die Standfestigkeit des Körpers.


Krankheiten

Eine typische Erkrankung im Zusammenhang mit Otolithen ist der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS). Das ist zwar eine sehr unangenehme, aber trotzdem harmlose Form des Schwindels. Das Wort "benigne" bedeutet gutartig. Die Bezeichnung "paroxysmal" weist auf ein anfallsartiges Leiden hin. Der Schwindel tritt also plötzlich auf. Er wird durch die Ablösung von Kalzitsteinchen und ihre Verlagerung in die Bogengänge verursacht. In den Bogengängen bewegen sich die Otolithen bei entsprechenden Kopfbewegungen hin und her.

Der durch diese Bewegung ausgelöste Sog reizt die Bogengangsrezeptoren. Diese senden daraufhin Bewegungssignale an das Gehirn. Da jedoch von anderen Sinnesorganen keine Bewegungsmeldungen erfolgen, kommt es zu einer widersprüchlichen Signallage. Das Gehirn verarbeitet diese Signallage als Schwindel. Die Bewegungen sind nicht mehr koordiniert. Der Schwindelanfall tritt bei bestimmten Bewegungen auf wie beim Drehen des Kopfes, beim Hoch- und Runterschauen oder beim Hinlegen. Die Drehschwindelattacken dauern in der Regel nur ca. 30 Sekunden. Manche Patienten leiden gleichzeitig unter Übelkeit und Erbrechen. Wird die Ursache nicht erkannt und der Lagerungsschwindel nicht behandelt, entwickeln einige Betroffene ein Vermeidungsverhalten bestimmter Bewegungen.

In vielen Fällen endet die Anfallserie spontan. Das ist dann der Fall, wenn sich die Kalzitkörnchen aus den Bogengängen entfernt haben. Die Ursachen für das Ablösen der Otolithen sind meist nicht bekannt. Da der Lagerungsschwindel besonders bei älteren Menschen auftritt, werden degenerative Prozesse vermutet. Aber auch bei Unfällen und Traumata kann es zur Ablösung von Kalzitkörnchen kommen. Warum Frauen häufiger als Männer an einem Lagerungsschwindel erkranken, ist auch nicht bekannt. Zur Diagnose des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels wendet der Arzt die sogenannte Dix-Hallpike-Lagerungsprobe am Patienten an. Dabei werden gezielt Bewegungen am Patienten durchgeführt, die einen Schwindelanfall provozieren.

Neben dem Schwindelanfall kommt es gleichzeitig auch zu einem Nystagmus (Augenzittern). Tritt der Nystagmus nicht auf, hat der Schwindel andere Ursachen. Ein Lagerungsschwindel kann nicht medikamentös behandelt werden. Die Behandlung erfolgt ausschließlich durch Lagerungsübungen. Dabei wird ein Anfall provoziert. Die Übungen werden so lange durchgeführt, bis sich die Kalzitkörnchen aus den Bogengängen entfernt haben. Der Lagerungsschwindel ist eine äußerst unangenehme, aber auch ungefährliche Erkrankung, die oft allein wieder verschwindet. Durch erneute Ablösung von Otolithen kann sie jedoch immer wieder auftreten.

Quellen

  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
  • Reia, M.: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2009
  • Zilles, K. et al.: Anatomie. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2010

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