Osteoonychodysplasie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Osteoonychodysplasie

Die Osteoonychodysplasie ist ein mutationsbedingtes Fehlbildungssyndrom mit vorwiegender Beteiligung der Gliedmaßen. Neben skelettalen Anomalien liegt häufig eine Beteiligung der Nieren und Augen vor. Die symptomatische Behandlung hat vor allem die Verzögerung terminalen Nierenversagens zum Ziel.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Osteoonychodysplasie?

Patienten der Osteoonychodysplasie leiden leitsymptomatisch an deformierten Skelettstrukturen. Die Missbildungen ihrer Knochen und Gelenke imponieren in der Röntgenaufnahme vor allem als unterentwickelte Patella.
© inegvin – stock.adobe.com

Fehlbildungssyndrome sind durch die Dysplasie verschiedener Strukturen der Anatomie gekennzeichnet. Unter einer Dysplasie versteht die Medizin die Fehlbildung von Geweben oder Organen. Dysplastische Erscheinungen liegen zum Beispiel mit Unterentwicklungen oder Überentwicklungen vor. Die Osteoonychodysplasie ist ein angeborenes Fehlbildungssyndrom mit vorwiegender Beteiligung der Extremitäten. Sie ist mit verschiedenen Fehlbildungen und funktionalen Störungen unterschiedlicher Organe assoziiert.

Eine bekannte Erkrankung aus dieser Gruppe ist beispielsweise das Nagel-Patella-Syndrom, das mit Deformitäten der Fingernägel und der Knochen assoziiert ist. Als Untergruppe der Osteoonchyodysplasien tritt das Nagel-Patella-Syndrom auf der ganzen Welt an rund einem Fall unter 50 000 Neugeborenen ein. Mädchen sind genauso oft betroffen wie Jungen. Als Manifestationsalter gilt als Kleinkindalter.

Die Osteoonychodysplasie wird auch als Turner-Kieser-Syndrom bezeichnet und ist mit Erblichkeit assoziiert. In den 20er- bis 30er-Jahren wurde die Erbkrankheit erstmals dokumentiert. Als Erstbeschreiber gelten vor allem der US-Amerikaner Turner, der Deutsche Kieser und die Österreicher Trauner und Rieger.

Ursachen

Die Osteoonychodysplasie ist eine Erberkrankung. Eine Vererbung des Symptomkomplexes erfolgt im autosomal-dominanten Erbgang. Die Abkommen eines erkrankten Elternteils erkranken daher mit einem Risiko von 50 Prozent an dem Fehlbildungssyndrom. In den meisten Fällen wurde daher familiäre Häufung beobachtet. Auch sporadisch aufgetretene Fälle sind allerdings beobachtet worden.

Die primäre Ursache für beide Varianten liegt in einer genetischen Mutation, die bei sporadischem Auftreten einer Neumutation entspricht. Die Mutation betrifft offenbar das LMX1B-Gen auf dem längeren Arm von Chromosom 9. Der Gen-Locus lautet 9q34. Die bisherigen Studien zur Osteoonychodysplasie legen mehr als 80 verschiedene Mutationen desselben Gens als Ursache der Erkrankung nahe. Das LMX1B-Gen ist ein Transkriptionsfaktor für die Extremitäten, der aus der Gruppe der LIM-Homöodomänen-Proteine stammt.

Diese Proteine sind an der in der Entwicklung der Extremitäten sowie an der Nieren- und Augenentwicklung beteiligt. Abhängig von der Beteiligung der Nieren ist das Nagel-Patella-Syndrom ursächlich mit verschiedenen Allelen assoziiert. Eine Mutation des LMX1B-Gens führt zu einem Funktionsverlust des Transkriptionsfaktors, sodass die Entwicklung beeinträchtigt ist. Die Erkrankung ist mit dem AB0-System der Blutgruppen assoziiert.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Patienten der Osteoonychodysplasie leiden leitsymptomatisch an deformierten Skelettstrukturen. Die Missbildungen ihrer Knochen und Gelenke imponieren in der Röntgenaufnahme vor allem als unterentwickelte Patella. Am rechten Beckenkamm oder dem hinteren Horn des Beckens liegt oft eine knöcherne Exostose vor. Die Beteiligung der Patella betrifft mehr als 90 Prozent der Patienten.

Eine komplette Nichtanlage der Struktur kommt in fast einem Viertel aller Fälle vor. Die unterentwickelte und teilweise luxierte Patella macht die Knie der Patienten teilweise instabil, sodass die motorische Entwicklung verzögert ist und Stürze begünstigt sind. Die Ellenbogen können die Patienten nur begrenzt zur Pronation oder Supination bringen. Der Speichenkopf ist häufig subluxiert. Im Großteil aller Fälle ist die Erkrankung mit einer Arthrodysplasie der Ellbogen assoziiert.

Die Gelenke der Gliedmaßen sind meist zur Überstreckung fähig. Andere Fallberichte haben für das Syndrom Knochenveränderungen wie Skoliose, die Anlage von Halsrippen und eine Unterentwicklung der Nägel dokumentiert. Im Einzelfall können diese Symptome mit Nieren-Problemen vergesellschaftet sein, die eine Proteinurie oder eine Nephritis auslösen können.

Weitere Begleitsymptome können Hypothyreose, das Reizdarm-Syndrom, eine Aufmerksamkeits-Defizit-Störung oder dünner Zahnschmelz sein. Augensymptome und sensorisch-neurale Schwerhörigkeit runden das symptomatische Bild oft ab.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die erste Verdachtsdiagnose auf eine Osteoonychodysplasie stellt sich dem Arzt über die Röntgenbildgebung, die die charakteristischen Veränderungen des Skeletts zeigt. Elektronenoptisch lassen sich außerdem häufig charakteristische Veränderungen in der glomerulären Basalmembran nachweisen.

Eine molekulargenetische Analyse ist in den meisten Fällen nicht erforderlich, da allein das klinisch typische Bild die erste Verdachtsdiagnose erhärtet. Die Prognose der Patienten hängt von der Ausprägung im Einzelfall ab. Bei starker Organbeteiligung kann das Syndrom letal verlaufen.

Komplikationen

Da die Osteoonychodysplasie ein Symptomenkomplex verschiedener erblich bedingter Erkrankungen darstellt, ist das Risiko für Komplikationen für die betroffenen Patienten unterschiedlich. So ist die Lebenserwartung beim sogenannten Nagel-Patella-Syndrom, welches sich an Deformationen der Fingernägel und Knochen auszeichnet, nicht herabgesetzt. Bei den anderen Formen der Osteoonychodysplasie sind jedoch häufig noch innere Organe beteiligt.

So leiden über 50 Prozent der Patienten an Niereninsuffizienz. Besonders der Verlauf der Nierenerkrankung bestimmt die Prognose der Erkrankung. Oft schreitet die Niereninsuffizienz voran und führt dazu, dass der Patient dialysepflichtig wird. Eine kurative Therapie ist in diesen Fällen nur noch durch eine Nierentransplantation möglich. Das gilt besonders, wenn die Gefahr eines totalen Versagens beider Nieren bestehen sollte.

Als weitere Komplikationen bei einer Osteoonychodysplasie werden Skoliosen, Klumpfüße, Exotosen (Überbeine) oder missgebildete Ellenbogengelenke beobachtet. In diesen Fällen sind orthopädische Behandlungen notwendig. Manchmal treten als Komplikationen auch Herzrhythmusstörungen oder Glaukome auf. Die Prognose der Herzrhythmusstörungen ist bei den einzelnen Betroffenen unterschiedlich.

Um langfristige Herzerkrankungen zu vermeiden, ist die Behandlung eines Kardiologen wichtig. Bei einem Glaukom kann es zu einer späteren Erblindung kommen, wenn der Augeninnendruck nicht herabgesetzt wird. Die Deformation der Knochen und Fingernägel selber können psychische Auswirkungen auf den Patienten haben, wenn er aufgrund seines Aussehens das Gefühl gewinnt, gesellschaftlich ausgegrenzt zu sein.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Werden unmittelbar nach der Geburt optische Unregelmäßigkeiten oder Fehlbildungen des Skelettsystems bemerkt, sollte unverzüglich eine Kontrolle der Gesundheit stattfinden. Findet die Geburt im Kreis eines Geburtshelferteams statt, müssen die Eltern im Normalfall keine weiteren Maßnahmen ergreifen. Selbständig erfassen Hebammen und Ärzte den Gesundheitszustand des Säuglings und dokumentieren Auffälligkeiten. In bildgebenden Verfahren sowie weiteren Untersuchungen werden alle Abweichungen festgestellt und es erfolgt eine Diagnosestellung.

Kommt es im weiteren Entwicklungs- und Wachstumsprozess zu gesundheitlichen Abweichungen, Verzögerungen oder einer Unterentwicklung, sind die Beobachtungen mit einem Arzt zu besprechen. Bei Schwerhörigkeit, der Möglichkeit der Überstreckung der Gelenke oder einem optischen Makel der Nagelform wird ein Arzt benötigt.

Oftmals findet eine abnorme Bewegungsabfolge im Alltag statt, die als Hinweis einer Erkrankung gedeutet werden kann. Ein dünner Zahnschmelz, Störungen der Aufmerksamkeit oder eine geringe körperliche sowie geistige Belastbarkeit sind einem Arzt vorzustellen. Unregelmäßigkeiten beim Wasserlassen oder der Nierentätigkeit müssen ebenfalls ärztlich untersucht und behandelt werden.

Zeigen sich Mangelerscheinungen trotz einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung, kann dies ein Warnsignal des Organismus sein. Ein Kontrollbesuch bei einem Arzt ist notwendig, damit die Ursache der Beschwerden gefunden werden kann. Auffällig sind bei einer Osteoonychodysplasie Störungen der Ellenbogentätigkeit sowie eine optische Veränderung des Gelenks.

Behandlung & Therapie

Eine kausale Behandlung steht für Patienten der Osteoonychodysplasie derzeit nicht zur Verfügung. Die Erkrankung ist solange nicht heilbar, wie gentherapeutische Ansätze die klinische Phase nicht erreichen. Die Gentherapie wird den Komplex aus Symptomen in Zukunft vielleicht zu einer heilbaren Erkrankung machen, aber zum aktuellen Zeitpunkt werden die Patienten ausschließlich symptomatisch behandelt.

Bei Beteiligung der Nieren steht die Behandlung der Proteinurie im Fokus der Therapie. Dieses Symptom kann in Nierenversagen münden. Daher muss zur Therapie der Nephropathie eine Verminderung der Proteinurie angestrebt werden. Bei den meisten Patienten tritt etwa im Alter von 30 Jahren trotzdem Nierenversagen ein. Eine Transplantation der Niere ist in diesem Stadium der Behandlungsweg der Wahl.

Die Skelettdysplasien der Osteoonychodysplasie können außerdem mit rekonstruktiven Operationen korrigiert werden. Das gilt zum Beispiel für eine Nichtanlage der Patella. Um das Skelett zu stabilisieren, kann Physiotherapie erforderlich sein. Der gezielte Aufbau von Muskeln gibt den meist hypoplastischen Knochen und Gelenken Halt.

Außerdem fördert Physiotherapie eine motorisch normale Entwicklung. Symptome wie die Nagelhypoplasie sind eher ein kosmetisches Problem und müssen nicht zwingend sofort korrigiert werden. Falls trotzdem eine Behandlung der Nagelhypoplasie erwünscht ist, findet in der Regel eine Nagelbett-Transplantation statt.


Aussicht & Prognose

In der Regel wird empfohlen bereits bei Auftauchen der ersten Symptome von Osteoonychodysplasie einen Arzt aufzusuchen, da dies den weiteren Verlauf der Krankheit begünstigen kann. Da sich diese genetisch bedingte Erkrankung nicht heilen lässt, sind Betroffene auf eine rein symptomatische Behandlung angewiesen, welche auf eine Verringerung der Proteinurie und somit auf eine Verzögerung terminalen Nierenversagens abzielt.

Dabei ist es besonders wichtig, die Anweisungen des behandelnden Arztes strikt einzuhalten. Hierzu gehört in der Regel die Einnahme von Diuretika und Kortikoiden, das Meiden von Alkoholkonsum, die regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion, eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise. Auch der Besuch einer Physiotherapie mit begleitenden Übungen für zu Hause ist ratsam, da das Skelett und die Motorik von stärkeren Muskeln profitieren können und somit der Verlauf der Krankheit positiv beeinflusst werden kann.

Werden all diese ärztlichen Empfehlungen konsequent eingehalten, kann der Zeitpunkt des Nierenversagens bei einem Drittel der Patienten auf den Altersgipfel von 30 Jahren hinausgezögert werden. Da sich Patienten aufgrund ihrer klar sichtbaren Deformationen sehr oft ausgeschlossen fühlen, kann eine psychotherapeutische Behandlung oder der Besuch von Selbsthilfegruppen zur Besserung der Lebensqualität von großer Hilfe sein.

Häufig ist die Lebenserwartung des Patienten aufgrund Nierenversagen jedoch deutlich herabgesetzt. Dem kann nur durch eine Nierentransplantation als finale Behandlungsmöglichkeit entgegengewirkt werden, welche in der Regel kurz vor dem 30. Lebensjahr durchgeführt wird. Diese kann das erneute Aufflammen der Erkrankung im Transplantat gänzlich ausschließen und somit eine sehr gute Aussicht auf die weiteren Lebensbedingungen bieten. Sollte der Patient einen Kinderwunsch hegen, wären genetische Untersuchungen und Beratung zu empfehlen, welche das vererbte Auftreten der Erkrankung ausschließen können.

Vorbeugung

Der Osteoonychodysplasie lässt sich allenfalls in Form von genetischer Beratung in der Phase der Familienplanung vorbeugen.

Nachsorge

In den meisten Fällen stehen dem Betroffenen bei einer Osteoonychodysplasie keine besonderen oder direkten Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung, sodass der Betroffene bei dieser Erkrankung auf jeden Fall schon sehr früh einen Arzt aufsuchen sollte. Je früher dabei ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist in der Regel auch der weitere Verlauf der Erkrankung. Schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen sollte daher ein Arzt kontaktiert werden.

Da es sich dabei um eine genetische bedingte Krankheit handelt, sollte der Betroffene im Fall eines Kinderwunsches auf jeden Fall eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, um das erneute Auftreten der Krankheit zu verhindern. Die meisten Betroffenen sind dabei auf die dauerhafte Untersuchung der Niere angewiesen.

Dabei sollte auch das Trinken von Alkohol möglichst vermieden werden. Im Allgemeinen wirkt sich eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Weiterhin sind auch Maßnahmen einer Physiotherapie sehr wichtig, wobei der Betroffene viele der Übungen auch selbst im eigenen Zuhause durchführen kann. Nicht selten verringert die Osteoonychodysplasie jedoch die Lebenserwartung des Betroffenen, da es dadurch häufig zu einem Nierenversagen kommt.

Das können Sie selbst tun

Die Osteoonychodysplasie lässt sich nicht heilen, aber ihre negativen Einflüsse können mit bestimmten Methoden gemildert werden. Bei der symptomatischen Therapie ist es wichtig, sich genau an die ärztlichen Empfehlungen zu halten. Zur Behandlung gehört die regelmäßige Einnahme von Kortikoiden und Diuretika. Abhängig vom Härtegrad des Gendefekts gibt es oft schon im Kleinkindalter eine Dialyse-Therapie.

Gerade bei schweren Fällen mit Fehlbildungen an der Wirbelsäule oder an den Extremitäten ist viel Geduld erforderlich. Mit Hilfestellungen im Alltag lassen sich die Probleme bei der Fortbewegung und bei diversen Aktivitäten verringern. Bei einer Fußdeformation kommen spezielle Einlagen oder Schuhe zum Einsatz, die es den Betroffenen einfacher machen. Wenn der Beckenknochen ebenfalls geschädigt ist, sind eventuell weitere Hilfsmaßnahmen nötig.

Die psychischen Folgen für die Patienten spielen eine sehr wichtige Rolle. Häufig fühlen sie sich ausgegrenzt, vor allem bei deutlich sichtbaren Fehlbildungen. Für eine bessere Lebensqualität ist der Besuch von Selbsthilfegruppen empfehlenswert. Auch in der Familie ist es sinnvoll, über das Problem zu sprechen und nach praktischen Lösungen zu suchen.

Eine spezielle Diät kann im Zusammenhang mit der Nierenschwäche helfen. Zudem festigt sich das Skelett durch stärkere Muskeln. Bei der regelmäßigen Physiotherapie bekommt der Körper also mehr Kraft, zudem entwickelt sich die Motorik normal.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P.: Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2014
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

Das könnte Sie auch interessieren