Leistenbruch bei Kindern

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei Kindern treten Eingeweidebrüche bzw. ein Leistenbruch, sogenannte Hernien, meist am Nabelring und in der Leistengegend auf, wobei die Leistenbrüche am häufigsten zu beobachten sind. Die folgenden entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge im menschlichen Embryo sollen verständlich machen, weshalb gerade Leistenbrüche relativ oft vorkommen.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen für Leistenbruch bei Kindern & Babys

Zur Behandlung des Leistenbruchs kommen prinzipiell zwei Wege in Betracht: der konservative und der operative.

Das Neuralrohr, die Anlage für das Zentralnervensystem, bildet sich durch Einstülpung aus der Neuralrinne. Danach entstehen an beiden Seiten des Neuralrohrs Ursegmente, die sich in die primäre Bauchhöhle vorwölben. Aus diesen Ursegmenten entwickeln sich die Urniere und die Nierenanlagen, wobei die Urniere zur Keimdrüsenanlage wird. Die weitere Entwicklung und Lageveränderung der Keimdrüsenanlage ist vom Geschlecht des Keimlings abhängig. Während sich bei weiblichen Keimlingen der Eierstock der vorderen Bauchwand nur nähert, sind die Lageveränderungen bei männlichen Embryonen wesentlich größer.

Die männlichen Keimdrüsen wandern unter Mitnahme von Bauchfellblättern in den Hodensack, also in einen außerhalb der Bauchhöhle gelegenen Teil. Dieser Vorgang lässt sich aus den Wärmebedingungen erklären, die zur Bildung der Samenzellen notwendig sind und etwa bei 36 Grad Celsius liegen. Da die Temperatur im Innern der Bauchhöhle, die sogenannte Kerntemperatur, jedoch um 37,5 Grad Celsius beträgt, sind die niedrigeren Wärmeverhältnisse im Hodensack, bedingt durch die Außentemperatur, für die Entwicklung der Samzellen günstiger.

Während ihrer Verlagerung in den Hodensack nehmen die Keimdrüsen einen Fortsatz des Bauchfells mit, der sie zusammen mit Blutgefäßen und dem Samenstrang umhüllt. Normalerweise verkleben die Wandabschnitte des Bauchfellfortsatzes zur Zeit der Embryoreife wieder, das heisst, der Bauchfellfortsatz (jetzt als Hodenscheide bezeichnet) trennt sich vollständig, von der Bauchhöhle ab. Offen bleibt nur der Leistenkanal, denn die Blutgefäße, die die Keimdrüsen ernähren, und der Samenstrang, müssen ja weiterhin eine Durchtrittspforte haben, die aber in der Regel von starken Muskelbündeln überdeckt wird.

Schließt sich nun aber dieser Bauchfellfortsatz nicht, dann besteht eine offene Verbindung zwischen Bauchhöhle und Hodenscheide, die durch Einschlüpfen von Darmschlingen und anderen Teilen des Bauchhöhleninhalts zum Bruchsack werden kann. Diese anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Verhältnisse erklären auch, weshalb man den Leistenbruch in ungefähr 90 Prozent aller Fälle bei Jungen findet.

Eingeweideteile können in den Bruchsack hineinschlüpfen, wenn das Kind aus unterschiedlichen Gründen, zum Beispiel beim Versuch, regelmäßig harten Stuhl aus dem Darm zu entleeren, die Bauchdecken stark presst. Dann ist äußerlich eine Vorwölbung in der Leistenbeuge zu erkennen. Meist handelt es sich bei dem Inhalt des Bruchsacks um Darmschlingen, seltener sind es Netzteile, die normalerweise die Darmschlingen überdecken.

Häufigkeit & Kennzeichen

Ein rechtsseitiger Leistenbruch (60%) tritt häufiger als ein linksseitiger (25%) oder ein doppelseitiger (15%) auf, da die vollständige Verlagerung der rechten Keimdrüse in den Hodensack zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt als auf der linken Seite, wodurch der rechte Bauchfellfortsatz länger offenbleibt. Außer diesen angeborenen Leistenbrüchen kennt man auch die sogenannten erworbenen Leistenbrüche. Sie treten direkt durch eine Stelle der Bauchwand, an der die Bauchdecke von den Muskelbündeln, die in verschiedene Richtungen gehen, nicht vollständig überlagert wird. Sie brauchen also dabei nicht dem Leistenkanal zu folgen. Bei Kindern finden sich solche Leistenbrüche jedoch selten.

Symptome & Anzeichen

Die angeborenen Hernien werden meist erst einige Wochen bis Monate nach der Geburt sichtbar. Schwache und frühgeborene Babys neigen weitaus öfter dazu als andere Kinder. Der oft starke Presshusten, der bei Keuchhusten oder anderen schweren Entzündungkrankheiten auftritt, belastet stets die Bauchdecken, steigert den Druck innerhalb der Bauchhöhle und begünstigt so das Auftreten eines Leistenbruchs besonders im Säuglings und Kleinkindalter. Es wird verständlich sein, dass ein Muskeltraining der Bauchdecken, das schon im frühen Säuglingsalter mit leichten gymnastischen Übungen und gelegentlichen Bauchlagerungen begonnen, dann während der ganzen Kindergartenzeit und Schulzeit fortgesetzt wird, zur Prophylaxe (Vorbeugung) solcher Brüche beiträgt.

Die Bruchgeschwulst kann als kleine, oft nur haselnußgroße Vorwölbung in der Leistenbeuge in Erscheinung treten. Wenn sie längere Zeit bestehenbleibt und sich häufiger vorwölbt, werden beträchtliche Größen erreicht. Sie senkt sich dann häufig in den Hodensack, der mitunter Faustgröße annehmen kann, wodurch die Kinder stark in ihre Wohlbefinden beeinträchtigt werden. Sie sind dann oft unruhig und schreien viel, haben geringen Appetit, erbrechen leicht und nehmen aus diesen Gründen wenig an Gewicht zu.

Liegt das Kind ruhig oder wird es in ein warmes Bad gebracht, zieht sich die Bruchgeschwulst oft von selbst in die Bauchhöhle zurück. Geschieht das nicht, so muss der Bruchsackinhalt vorsichtig mit der Hand zurückgedrückt werden. Problematisch (für Eltern und Kind, nicht für den Chirurgen) wird ein solcher Bruch erst, wenn sich der Bruchsackinhalt in der Bruchpforte einklemmt, was viele Ursachen haben kann, von denen aber zwei Bedingungen besonders in den Vordergrund treten.

Nehmen wir einmal an, im Bruchsack befindet sich eine Dünndarmschlinge. Der Darminhalt geht in solchem Fall durch den zuführenden Schenkel in den Darmteil, der im Bruchsack lagert, und dann weiter in den abführenden Schenkel. Zweimal also muss der Darminhalt (der immer Bakterien enthält und in dem chemische Prozesse ablaufen) den in der Bruchpforte eingeengten Darmabschnitt passieren. Ein krampfartiges Zusammenziehen der Bauchdeckenmuskulatur würde die Bruchpforte verengen. Eine Stauung des Darminhalts innerhalb des Bruchsacks und eine Schädigung der Darmwand durch chemische und bakterielle Prozesse wären die Folge.

Symptome & Anzeichen für Leistenbruch

Außer dieser ersten Bedingung gibt es, wie schon gesagt, noch eine zweite für die Einklemmung der Bruchsackinhalts: Passieren nämlich Bakterien und Gifte die Darmwand, rufen sie eine Entzündung des Bauchfells in diesem Abschnitt hervor, die Eiterung, Schmerzen der Darmmuskulatur und Verwachsungen bedingt. Die andere gefährliche Seite der Einklemmung besteht darin, dass die Darmschlingen innerhalb des Bruchsacks von Gefäßen (Arterien und Venen) begleitet sind.

Eine Verengung der Bruchpforte führt auch immer zur Beeinträchtigung der Kreislaufverhältnisse, insofern, als die dünnwandigen Venen zuerst eingeengt sind und dadurch der Blutabfluß behindert ist. Bleibt der arterielle Zufluß in die Darmschlinge des Bruchsacks bestehen, kommt es zur Blutstauung, zum Blutaustritt aus den Gefäßen in die Gewebsspalten, wodurch wiederum Entzündungsprozesse begünstigt werden.

Die ersten Zeichen einer Einklemmung sind Unruhe und Schmerzäußerungen des Kindes. Es fängt plötzlich, anscheinend ohne Grund, zu schreien an und lässt sich nicht beruhigen. Oft erbrechen die Kinder. Da sich unterhalb des abgeschnürten Darmabschnitts noch Stuhl befindet, kann durch Abgang desselben normaler Stuhlgang vorgetäuscht sein.

Danach aber staut sich der Inhalt des Darms oberhalb der Einklemmung. Stuhl und Blähungen gehen nicht mehr ab. Die Kinder übergeben sich, wobei besonders das Erbrechen von Kot ein ernstes Krankheitszeichen ist.

Auch die Nahrungsaufnahme wird verweigert, der Bauch langsam aufgetrieben. Die Haut über der äußerlich sichtbaren Bruchgeschwulst rötet sich, die Geschwulst schmerzt, sobald Druck auf sie ausgeübt wird. Schon bei den ersten Anzeichen eines eingeklemmten Leistenbruchs empfiehlt es sich, einen Arzt aufzusuchen. Obwohl sich viele Einklemmungen im Kindesalter spontan lösen, was beispielsweise nicht selten während des Transports ins Krankenhaus geschieht, muss doch eine sofortige Beseitigung der Einklemmung angestrebt werden.


Behandlung & Operation

Zur Behandlung des Leistenbruchs kommen prinzipiell zwei Wege in Betracht: der konservative und der operative. Vom Alter und Allgemeinbefinden des Patienten hängt es in erster Linie ab, welche Behandlung der Arzt vornehmen wird. Die nicht eingeklemmte Leistenhernie im frühen Säuglingsalter wurde bis vor einiger Zeitfrüher mit einem Bruchband behandelt, das durch Druck auf den Leistenkanal das Austreten der Bruchgeschwulst verhindern sollte. Man nahm an, dass dadurch die Schließung des offengebliebenen Bauchfellfortsatzes gefördert würde.

Heute weiss man jedoch, dass ein Leistenbruch nach den ersten Lebensmonaten nicht mehr, weder mit noch ohne Bruchband, spontan ausheilt. Außerdem ist ein längeres Tragen des Bruchbandes immer ungünstig, weil sich die Haut in der Umgebung des Bandes und darunter beim Säugling leicht entzündet. Auch die darunter liegenden Muskeln werden allmählich geschwächt und rückgebildet, und die Gewähr, dass sich der Bauchfellfortsatz geschlossen hat, ist nie gegeben.

Deshalb soll mit der Operation, wenn sie dem Kind zugemutet werden kann, nicht zu lange gewartet werden. Der Operationsvorgang ist leicht verständlich. Der Chirurg reponiert den Bruchsackinhalt in die Bauchhöhle, vernäht zunächst das Bauchfell und danach die anderen Schichten der Bauchdecke über der ehemaligen Bruchpforte miteinander. Zuletzt schneidet er überflüssige, durch den Bruch stark überdehnte Hautteile weg und setzt eine Hautnaht.

Der Eingriff kann heute ohne wesentliches Risiko und relativ schnell durchgeführt werden. Säuglinge bzw. Kleinkinder und Babys kann man bereits im Alter von drei Monaten operieren. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel im Fall einer Einklemmung, muss ein noch früherer Zeitpunkt gewählt werden. Ein Aufschieben der Operation bis zum vollendeten ersten oder zweiten Lebensjahr bedeutet als solches keine Gefahr für das Kind, wenn auch damit verbunden ist, dass der Bruch jederzeit einklemmen und damit das Leben des Kindes gefährden kann.

Bei komplikationslosem Heilungsverlauf können die Kinder schon wenige Tage nach der Operation aus dem Krankenhaus entlassen werden. Zur Erleichterung der endgültigen Ausheilung ist es noch eine Zeitlang nötig, Blähungen und übermäßige Anstrengungen der Bauchpresse zu vermeiden. Aus diesem Grund befreit der Arzt schulpflichtige Kinder nach einer leistenbruchoperation ca. drei Monate vom Schulsport. Das Kind der ausgeheilten Operationsnarbe wegen zu verwöhnen und es von körperlichen Verrichtungen im Haushalt zu befreien, ist grundsätzlich falsch. Eine verlängerte Ruhigstellung schwächt nur, so dass bei denen, die sich schonen, leicht ein Bruchrückfall eintreten kann.

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