Klinefelter-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Klinefelter-Syndrom ist die Bezeichnung für eine Fehlverteilung der Geschlechtschromosomen. Es betrifft ausschließlich Männer und ist gekennzeichnet durch ein überzähliges X-Chromosom. Die Ausprägung der Symptome ist sehr variabel. Nicht in allen Fällen ist daher eine Behandlung notwendig beim Auftreten des Klinefelter-Syndroms.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Klinefelter-Syndrom?

Besteht während des Heranwachsens der Verdacht auf das Klinefelter-Syndrom, wird der Arzt eine lichtmikroskopische Chromosomenzählung veranlassen. Dabei wird sich auch offenbaren, ob einer der seltenen „Mosaikfälle“ vorliegt, deren Entstehungsursachen unbekannt sind.
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Das Klinefelter-Syndrom ist eine erblich bedingte Konstitution, die auf einer Chromosomenfehlverteilung beruht, wobei die Patienten ausschließlich Männer sind. Die Zellkerne der Betroffenen weisen ein überflüssiges X-Chromosom auf, besitzen also 2, statt nur einem einzelnen X-Chromosom. Beschrieben werden in der Literatur auch Fälle mit 3 oder 4 X-Chromosomen mit unbekannter Entstehungsursache.

Das X-Chromosom ist in der Geschlechtsbestimmung das weibliche Element. Das Klinefelter-Syndrom zählt zum Phänomen der Chromosomenaberration oder Aneuploidie, wie Abweichungen von der durchschnittlichen Konstellation auch genannt werden.

Der Begriff dieser genetische Variation, teils auch als Erbkrankheit bezeichnet, geht zurück auf den US-amerikanischen Arzt Harry Fitch Klinefelter (1912 – 1990), der in Baltimore als außerordentlicher Professor für Medizin wirkte. Er beschrieb 1942 als Erster das anschließend nach ihm bezeichnete Klinefelter-Syndrom.

Ursachen

Das Klinefelter-Syndrom entsteht ursächlich während der Entwicklung der Keimzellen. Der Zeitpunkt des auftretenden Fehlers ist die Reifeteilung (Meiose), in deren Verlauf der doppelte Chromosomensatz halbiert wird.

Dabei kann es dazu kommen, dass ein X-Chromosom nicht in physiogenetisch „korrekter“ Weise in seine Zielzelle gelangt, sondern zurückbleibt. Es resultiert eine Keimzelle mit einem überschüssigem X-Chromosom. Betroffen sein können sowohl die Eizellen wie auch die Spermien, die in der Geschlechtsbestimmung zum Mann das Y-Chromosom beitragen.

Normogenetische Eizellen haben 1 X-Chromosom, normogenetische Spermien entweder 1 X- oder 1 Y-Chromosom. Die „Klinefelter-Eizellen“ haben die Konstellation XX, selten auch XXX oder XXXX. Die „Klinefelter-Spermien“ haben folgenden Satz an Geschlechtschromosomen: XY, XXY oder XXXY. Nach der Verschmelzung von Eizelle und Spermium resultiert die Zusammensetzung XXY (selten auch XXXY oder XXXXY) und führen zum Klinefelter-Syndrom.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome des Klinefelter-Syndroms können oft erst ab der Pubertät wahrgenommen werden. Zuvor sind sie in der Regel nur sehr schwach ausgeprägt. Die Hauptsymptome der Erkrankung sind unterentwickelte Hoden und ein auffallend niedriger Testosteronspiegel. Das Sexualhormon Testosteron löst bei gesunden Jungen die Pubertät aus und sorgt dafür, dass sich die sekundären Geschlechtsmerkmale entwickeln.

Liegt ein Mangel vor, bleiben diese Entwicklungen aus oder verlaufen deutlich langsamer als bei gleichaltrigen Jugendlichen. Ein markantes Symptom ist auch Zeugungsunfähigkeit. Je nach Ausprägung kann der Pubertätsbeginn stark verzögert erfolgen. Die Betroffenen haben in der Regel nur eine spärliche oder gar keine männliche Körperbehaarung. Der Bartwuchs bleibt aus.

Die Stimmlage von Jugendlichen mit dem Klinefelter-Syndrom ist hoch und verändert sich kaum. In der Spätpubertät kann es zu einer übermäßigen Brustentwicklung kommen. Der Penis ist auffällig klein. Manchmal liegt ein Hodenhochstand vor. Im Allgemeinen neigen Betroffene zu einer geringen Libido. Oftmals treten Symptome wie Hochwuchs, Osteoporose, verringerte Knochendichte, Skoliose, niedriger Muskeltonus, Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder Blutarmut (Anämie) auf.

In der Kindheit haben manche Betroffene kognitive Beeinträchtigungen, eine verzögerte Sprachentwicklung oder Motorikstörungen. Daraus resultierend kann es später zu Lernschwierigkeiten kommen. Zudem treten bei den Betroffenen häufig Zahnprobleme wie etwa Fehlstellungen oder Karies auf.

Diagnose & Verlauf

Beim Klinefelter-Syndrom entwickeln sich die Hoden nicht in dem sonst üblichen Maße. Dieser, sogenannte „Hypogonadismus“, hat auch eine unzureichende Ausschüttung der männlichkeitsbestimmenden Hormone zu Folge.

Dadurch kommt es tendenziell zur Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale, die gewöhnlich der Frau zugeschrieben werden. Ein verstärktes Wachstum der Brüste sowie ein breiteres Becken und geringe Körperbehaarung sind Kennzeichen der betroffenen Männer. Meistens sind sie auch nicht zeugungsfähig , obwohl keine Störungen im Sexualleben vorliegen. Die Symptome sind teils mehr, teils weniger ausgeprägt, manchmal auch so diskret, dass es nie zur Diagnose oder Behandlung kommt.

Besteht während des Heranwachsens der Verdacht auf das Klinefelter-Syndrom, wird der Arzt eine lichtmikroskopische Chromosomenzählung veranlassen. Dabei wird sich auch offenbaren, ob einer der seltenen „Mosaikfälle“ vorliegt, deren Entstehungsursachen unbekannt sind. „Mosaik-Typen“ heißen diese Varianten, weil nur Körperpartien von der Chromosomenanomalie betroffen sind. Es resultiert ein unvollständig ausgeprägtes Klinefelter-Syndrom.

Komplikationen

Durch das Klinefelter-Syndrom kann es zu verschiedenen Beschwerden und Komplikationen beim Patienten kommen. In den meisten Fällen kommt es allerdings zu einem starken Hochwuchs, von welchem vor allem die Beine und die Arme betroffen sind. Ebenso sind die Muskeln des Betroffenen geschwächt, sodass es zu einer geringeren Belastbarkeit des Patienten kommt. Davon kann auch die Entwicklung des Kindes negativ betroffen sein.

Die motorische Entwicklung ist ebenso verzögert, sodass der Betroffene im Alltag möglicherweise auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist. Nicht selten sind die Patienten auch gereizt und leiden dabei an starken Stimmungsschwankungen. Diese können sich negativ auf die soziale Umwelt auswirken und dabei zu starken Beschwerden führen. Ebenso tritt eine Unfruchtbarkeit auf und der Mann ist nicht zeugungsfähig.

Die Männer leiden ebenso an einem nur sehr leicht ausgeprägten Bartwuchs, was zu Minderwertigkeitskomplexen oder zu einem verringerten Selbstwertgefühl führen kann. Das Klinefelter-Syndrom ist oft mit psychischen Beschwerden verbunden. Die Behandlung des Klinefelter-Syndroms findet mit Hilfe verschiedener Therapien statt, wobei allerdings nicht alle Beschwerden eingeschränkt werden können. Ob es zu einer Verringerung der Lebenserwartung kommt, kann meistens nicht vorausgesagt werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Besteht der Verdacht, dass das Kind am Klinefelter-Syndrom leidet, sollte ein Arzt konsultiert werden. Symptome wie Hochwuchs, Muskelschwäche und kleine Hoden deuten auf eine ernste Erkrankung hin, die diagnostiziert werden muss. Der Mediziner kann feststellen, ob den Anzeichen das Klinefelter-Syndrom zugrunde liegt und gegebenenfalls direkt eine Behandlung einleiten. Eine frühzeitige Therapie ist essentiell, um einen schweren Verlauf mit bleibenden Schäden zu vermeiden.

Aus diesem Grund sollten sämtliche Auffälligkeiten rasch abgeklärt werden, insbesondere sichtbare Fehlbildungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Kinder, die sich aus dem sozialen Leben zurückziehen oder ungewöhnlich reizbar sind, bedürfen einer ärztlichen und therapeutischen Behandlung. Die einzelnen Symptome können in der Regel gut behandelt werden, insofern sie frühzeitig erkannt und therapiert werden. Sollten sich bereits psychische Beschwerden eingestellt haben, ist eine Behandlung durch einen Psychologen angezeigt. Therapeutische Unterstützung ist auch für die Eltern sinnvoll, da die Erkrankung langfristig eine enorme Belastung darstellen kann. Der richtige Ansprechpartner ist der Hausarzt oder eine Fachklinik für genetische Erkrankungen.

Behandlung & Therapie

Vom Klinefelter-Syndrom betroffene Männer leiden meist am stärksten unter den Folgen des Testosteronmangels. Das „männliche“ Hormon wird daher bei manchen Patienten medikamentös aufgestockt. Der Arzt muss auch berücksichtigen, dass das Klinefelter-Syndrom auch gehäuft zu Diabetes mellitus führt.

Gegebenenfalls wird er eine entsprechende Diät veranlassen oder auch medikamentös vorgehen. Osteoporose ist eine weitere Komplikation des Klinefelter-Syndroms. Den Folgen der „Knochenerweichung“ muss sich der Orthopäde widmen. Die verzögerte Sprachentwicklung, die bei manchen der Betroffenen diagnostiziert wird, kann ein frühzeitiger Förderunterricht kompensieren.

Auch psychologische Fragestellungen sind in Bezug auf das Klinefelter-Syndrom relevant. Denn einige Betroffene leiden unter einem gestörten Identitätsempfinden hinsichtlich ihrer Geschlechterrolle. Geeignete Hilfe bietet hier ein Psychotherapeut.

Gesellschaftliche Diskriminierung äußert sich beispielsweise in einigen Darstellungen sogar der Fachliteratur. Dort wird dem Klinefelter-Syndrom noch eine Intelligenzminderung zugeschrieben, was nach neueren Untersuchungen nicht der Fall ist. Hier ist Aufklärungsarbeit gefordert zum Abbau von Vorurteilen in Bezug auf das Klinefelter-Syndrom.


Aussicht & Prognose

Das Klinefelter-Syndrom tritt ausschließlich bei Personen des männlichen Geschlechts auf. Da es sich um eine Störung der Chromosomen handelt, ist eine Heilung der Erkrankung nicht möglich. Die Patienten sehen sich einer

Langzeittherapie ausgesetzt, um eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Festgestellt wird bei dem Betroffenen ein Mangel des Hormon Testosteron. Dieser muss über die gesamte Lebensspanne ausgeglichen werden, damit sich eine Linderung der Symptome zeigt. Sobald die angewendete Hormontherapie eigenverantwortlich abgesetzt wird, ist mit einem Rückfall der Beschwerden zu rechnen. Kann die Gabe des Hormon dauerhaft erfolgreich umgesetzt werden, berichten die Patienten häufig von einer Beschwerdefreiheit.

Aufgrund des Syndroms wird meist eine Folgeerkrankung diagnostiziert. Dieser hat in der Regel eine chronische Verlaufsform. Bei der Prognosestellung sind die Folgestörungen zu berücksichtigen. Sie verschlechtern den Gesamtzustand und führen zu einer erhöhten Belastung für den Betroffenen. Neben den körperlichen Beeinträchtigungen ist mit einer emotionalen und seelischen Anspannung zu rechnen. Diese kann einen negativen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden haben und dadurch die Gesundheit des Patienten weiter verschlechtern.

In schweren Fällen treten psychische Störungen ein, die sich aufgrund des Klinefelter-Syndroms ausbilden. Wird eine Therapie in Anspruch genommen, ist in den meisten Fällen eine Verbesserung der Lebensqualität gegeben. Dennoch lehnen viele Patienten die Inanspruchnahme einer Psychotherapie ab.

Vorbeugung

Dem Klinefelter-Syndrom ist durch seine genetische Kausalität nicht effektiv vorzubeugen. Allenfalls sollten Paare mit Kinderwunsch im Blick haben, dass Aneuploidien mit steigendem Alter der Mutter zunehmen. Feststellbar ist dies auch beim Klinefelter-Syndrom.

Nachsorge

In der Regel stehen dem Patienten beim Klinefelter-Syndrom keine besonderen oder direkten Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung, sodass bei dieser Krankheit in erster Linie eine frühe Diagnose mit der anschließenden Behandlung stattfinden sollte. Es kann dabei nicht zu einer Selbstheilung kommen, wobei eine vollständige Heilung in der Regel auch nicht möglich ist.

Bei einem Kinderwunsch sollte daher immer zuerst eine genetische Untersuchung und Beratung durchgeführt werden, um das erneute Auftreten des Syndroms zu verhindern. Die Beschwerden selbst werden meist mit Hilfe von Medikamenten gelindert. Dabei ist auf eine richtige Dosierung und auch auf eine regelmäßige Einnahme zu achten. Bei Kindern sollten Eltern die richtige Einnahme der Arzneimittel überprüfen.

Ebenso kann von einem Arzt ein Ernährungsplan aufgestellt werden, um den Beschwerden des Klinefelter-Syndroms entgegenzuwirken. Dieser Plan sollte eingehalten werden, wobei sich eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung auswirkt.

Die meisten Betroffenen benötigen auch eine psychologische Unterstützung. Dabei wirken sich liebevolle und intensive Gespräche mit den Eltern und den Angehörigen ebenso positiv auf den psychischen Zustand des Betroffenen aus. In der Regel verringert das Klinefelter-Syndrom nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Beim Klinefelter-Syndrom sind die Möglichkeiten der Selbstheilung stark eingeschränkt. Die Betroffenen sind aus diesem Grund vor allem auf eine ärztliche Behandlung angewiesen, um weitere Komplikationen und Beschwerden zu vermeiden.

Da die Krankheit in vielen Fällen das Risiko von Diabetes deutlich erhöht, sollte auf eine gesunde Lebensweise mit gesunder Ernährung und viel Bewegung geachtet werden. Die jeweilige Diät kann dabei von einem Arzt oder von einem Ernährungsberater vorgegeben werden. Durch auftretende Osteoporose sollte Bewegung in Maßen und mit Vorsicht ausgeübt werden. Auch die verlangsamte Sprachentwicklung kann durch verschiedene Trainings gelindert werden. Hierbei müssen vor allem die Eltern Initiative zeigen und können dabei auch mit verschiedenen Übungen zu Hause diese Entwicklung fördern.

Die psychischen Beschwerden des Klinefelter-Syndroms müssen nicht immer sofort von einem Psychologen behandelt werden. Häufig helfen dabei Gespräche mit anderen Betroffenen oder mit den engsten Freunden oder mit der Familie. Auch Minderwertigkeitskomplexe können dadurch gelindert werden. Aufgrund der Intelligenzminderung sind die Betroffenen auf eine intensive und liebevolle Pflege angewiesen. Dabei wirkt sich vor allem die Pflege von nahestehenden Menschen sehr positiv auf den Verlauf der Krankheit aus.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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