Dejerine-Spiller-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Dejerine-Spiller-Syndrom ist ein Hirnstammsyndrom, das zu den Medulla-oblongata-Syndromen zählt und durch alternierende Lähmungssymptomatik charakterisiert ist. Aufgrund eines arteriellen Verschlusses leiden die Patienten an einer Zungenlähmung, die mit einer Halbseitenlähmung und Sensibilitätsstörungen der anderen Körperseite vergesellschaftet ist.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Dejerine-Spiller-Syndrom?

Wie alle Hirnstammsyndrome entsteht das Dejerine-Spiller-Syndrom durch Läsionen im Bereich des Hirnstammes. Die genaue Lokalisation des Medulla-oblongata-Syndroms ist das verlängerte Mark.
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Die Medulla oblongata entspricht dem verlängerten Mark und damit dem kaudalsten Teil des Gehirns. Die Struktur zählt zu den Hirnstammstrukturen und ist ein wichtiger Teil des zentralen Nervensystems. Der Komplettausfall der Medulla oblongata zieht in der Regel den Tod nach sich.

Die Struktur enthält wichtige Reflexzentren und vegetative Funktionen wie die Atemfunktion oder die Blutkreislauffunktionen. Reflexe wie der Nies-, Brech- und Schluckreflex sind ebenfalls in der Medulla oblongata angesiedelt. Der Hirnstamm umfasst neben Medulla oblongata das Mittelhirn und die Brücke. Anteilige Ausfälle der Hirnstammstrukturen sind als Hirnstammsyndrome bekannt.

Die Hirnstammsyndrome zeichnen sich durch eine alternierende Symptomatik aus und werden abhängig von der Schädigungslokalisation im Einzelfall in alternierende Pons-, alternierende Mittelhirn- und alternierende Medulla-oblongata-Syndrome unterschieden.

Neben dem Jackson-Syndrom und Vernet-Syndrom entspricht das Dejerine-Spiller-Syndrom einem alternierenden Medulla-oblongata-Syndrom. Von den zehn klassischen Medulla-oblongata-Syndromen handelt es sich beim Dejerine-Spiller-Syndrom um eines der eher schwerwiegenderen Symptombilder, dessen alternierende Lähmungssymptomatik Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals von den Neurologen Spiller und Dejerine beschrieben wurde.

Ursachen

Wie alle Hirnstammsyndrome entsteht das Dejerine-Spiller-Syndrom durch Läsionen im Bereich des Hirnstammes. Die genaue Lokalisation des Medulla-oblongata-Syndroms ist das verlängerte Mark. Unterschiedliche Zustände und Krankheitsereignisse können Verletzungen von Hirnanteilen nach sich ziehen.

Im Falle des Dejerine-Spiller-Syndroms liegt die primäre Ursache der einzelnen Symptome meist in einem Arterienverschluss. Arterien führen sauerstoffreiches Blut. Das Blut entspricht im menschlichen Körper einem Transportmedium, das die Gewebe neben lebenswichtigem Sauerstoff vor allem mit Nähr- und Botenstoffen versorgt. Die zerebralen Arterien versorgen das Gehirn mit Sauerstoff und Nährstoffen.

Verschlüsse dieser Arterien haben Ischämien und Nährstoffunterversorgungen innerhalb des Gehirns zur Folge. Bei einer Unterbrechung der Nähr- und Sauerstoffversorgung sterben Zellen automatisch ab. Dieser Zelltod hat speziell im Bereich des Gehirns schwerwiegende Folgen und kann starke Funktionsbeeinträchtigungen hervorrufen.

Die arteriellen Verschlusserscheinungen des Dejerine-Spiller-Syndroms liegen meist in der Arteria spinalis anterior oder vertebralis. Pathophysiologisch betrachtet liegen neben einer medialen Medulla-oblongata-Läsion ein Ausfall des Nucleus nervi hypoglossi und eine Läsion des Lemniscus medialis vor. Außerdem kann eine Läsion der basalen Pyramidenbahn eintreten.

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Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Patienten mit Dejerine-Spiller-Syndrom leiden an einem Komplex aus mehreren Symptomen. Charakteristischerweise ist das Syndrom von einer alternierenden Lähmungssymptomatik geprägt. Die linke Gehirnhälfte steuert bekanntermaßen die rechte Körperhälfte und umgekehrt.

Allerdings gilt das nicht für den Bereich der Hirnnerven. Bei Schädigungen der Hirnnerven macht sich der Ausfall also nicht auf der entgegengesetzten, sondern auf der gleichen Seite der eigentlichen Läsion bemerkbar. Beim Dejerine-Spiller-Syndrom tritt auf derselben Seite der Schädigung eine Lähmung der Zunge auf.

Die entgegengesetzte Körperseite zeigt eine Halbseitenlähmung. In den meisten Fällen treten auf der Seite der Halbseitenlähmung zusätzlich mehr oder weniger starke Sensibilitätsstörungen auf. Die motorischen Ausfälle der Zunge führen meist zu einer Einschränkung der Ausdrucksfähigkeit oder Sprechfähigkeit.

Darüber hinaus kann die Zungenlähmung mit Schluckstörungen oder anderen Problemen bei der Nahrungsaufnahme vergesellschaftet sein. Wie schwer die Ausfallerscheinungen der Patienten ausgeprägt sind, hängt von der Dauer des ursächlich arteriellen Verschlusses und damit der Zeitspanne der Sauerstoffunterversorgung ab.

Diagnose

Die Diagnose eines Dejerine-Spiller-Syndroms stellt der Neurologe mittels klinischer Symptomatik und zusätzlicher Bildgebungen des Gehirns. In den Schichtaufnahmen zeigen sich Läsionen im Bereich des verlängerten Marks, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Differentialdiagnostisch ist das Syndrom von verwandten Medulla-oblongata-Syndromen abzugrenzen.

Außerdem müssen für die Ausfallerscheinungen Ursachen wie Tumore und autoimmunologische sowie bakterielle Entzündungen ausgeschlossen werden. Die Prognose ist für Patienten mit Dejerine-Spiller-Syndrom relativ ungünstig. Eine vollständige Regeneration tritt in vielen Fällen nicht ein.

Komplikationen

Aufgrund des Dejerine-Spiller-Syndroms treten verschiedene Lähmungen beim Patienten auf. In vielen Fällen ist in erster Linie die Zunge von einer Lähmung betroffen. Dabei kommt es zu Sprachstörungen und Verständnisproblemen. Eine gezielte Kommunikation ist für den Patienten dabei oft nicht möglich.

Auch andere Extremitäten oder Stellen am Körper können gelähmt sein, sodass es zu starken Sensibilitätsstörungen und Wahrnehmungsstörungen kommen kann. Für den Patienten ist es dabei nicht möglich, einen gewöhnlichen Alltag zu führen. Oft ist dieser auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen und leidet dabei an Depressionen und anderen psychischen Beschwerden.

Nicht selten kommt es dadurch zu einem Ausschluss aus der Gesellschaft. Durch die Lähmung der Zunge können ebenso Schluckbeschwerden auftreten, die weiterhin zu einem Untergewicht führen können. Auch ist eine gewöhnliche Nahrungsaufnahme und eine Flüssigkeitsaufnahme nicht mehr möglich. Das Dejerine-Spiller-Syndrom ist nicht vollends therapierbar.

Aus diesem Grund werden die Symptome eingeschränkt, damit sich der Patient wieder gewöhnlich ernähren und ausdrücken kann. Diese Behandlung findet meistens in Form einer Therapie statt und führt zu keinen weiteren Beschwerden oder Komplikationen. Allerdings ist es in vielen Fällen nicht möglich, das Dejerine-Spiller-Syndrom komplett einzuschränken, sodass der Patient sein gesamtes Leben mit den Einschränkungen leben muss.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da es beim Dejerine-Spiller-Syndrom nicht zu einer Selbstheilung kommt, muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. In der Regel wird das Syndrom auch nicht direkt nach der Geburt diagnostiziert, sodass eine Diagnose durch einen Arzt auf jeden Fall durchgeführt werden muss. Der Arzt sollte dann aufgesucht werden, wenn der Patient von Zeit zu Zeit an Lähmungen im Gesicht leidet. Diese Lähmungen treten nicht dauerhaft auf und können zum Beispiel die Zunge oder andere Muskeln im Gesicht betreffen. Oft ist auch nur eine Gesichtsseite gelähmt.

Sollten diese Lähmungen öfter auftreten, muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. Auch Schluckbeschwerden können auf dieses Syndrom hindeuten. In schwerwiegenden Fällen kann das Syndrom auch zu einem Bewusstseinsverlust führen, wobei ein Notarzt gerufen werden sollte. Die erste Diagnose kann durch einen Allgemeinarzt erfolgen. Bei der Behandlung werden allerdings verschiedene Therapien eingesetzt, die die Beschwerden Lidern können. Auch eine logopädische Betreuung ist bei einer Lähmung der Zunge sehr sinnvoll und kann vor allem bei Kindern die Entwicklung wieder normalisieren.

Behandlung & Therapie

Eine kausale Therapie steht für Patienten mit Medulla-oblongata-Syndromen nicht zur Verfügung. Patienten mit Dejerine-Spiller-Syndrom erhalten eine rein symptomatisch supportive Behandlung, die die eigentliche Ursache unberührt lässt. Die wichtigsten Therapiemaßnahmen sind Physiotherapie und Ergotherapie.

Das Nervengewebe innerhalb des Gehirns ist hochspezialisiert. Aus diesem Grund besitzt das Gewebe des zentralen Nervensystems lediglich eingeschränkte Regenerationsfähigkeit. Obwohl die geschädigten Hirnbereiche demzufolge nicht mehr zur vollen Funktionsfähigkeit zurück gelangen, können Patienten mit hirnläsionsbedingten Ausfallerscheinungen durch konsequentes Training im Einzelfall ihre Defizite kompensieren.

Diese Kompensierung wird durch Funktionsübertragungen aus den geschädigten Hirnbereichen auf gesundes Hirngewebe erzielt. Die Halbseitenlähmung der Betroffenen kann so durch gezielte Physiotherapie zumindest gebessert werden, indem benachbarte Hirnbereiche zur Funktionsübernahme aus den geschädigten Hirnbereichen angeregt werden.

Falls die Regeneration nicht zufriedenstellend ist, erlernen die Patienten in der Ergotherapie den alltäglichen Umgang mit ihren motorischen Ausfallerscheinungen. In ergotherapeutischer Begleitung lernen sie beispielsweise Hilfsmittel wie Rollatoren kennen, die ihnen den Alltag erleichtern.

Da Patienten mit Dejerine-Spiller-Syndrom außerdem an einer Zungenlähmung leiden, erhalten sie zusätzlich zur ergo- und physiotherapeutischen Betreuung außerdem logopädische Sitzungen. Die logopädischen Maßnahmen sind besonders entscheidend, um die Ausdrucksfähigkeit der Patienten wiederherzustellen und ihr Gefühl der Hilflosigkeit zu reduzieren.

Aussicht & Prognose

Bei dem Dejerine-Spiller-Syndrom leiden die Betroffenen an erheblichen Einschränkungen in ihrem Leben, wodurch die Lebensqualität deutlich verringert ist. Sie sind daher immer auf eine Behandlung angewiesen, da es bei dieser Krankheit nicht zu einer Selbstheilung und in der Regel zu einer Verschlechterung der Beschwerden kommt.

Die Patienten leiden an verschiedenen motorischen und kognitiven Ausfällen und sind somit immer auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen. Es treten Störungen der Sensibilität und ebenso Störungen bei der Sprache auf. Weiterhin kann es durch Schluckbeschwerden zu Schwierigkeiten bei der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeiten kommen. Die Ausprägung der Beschwerden beim Dejerine-Spiller-Syndrom sind stark von der Unterbrechung der Sauerstoffversorgung abhängig, sodass hierbei keine allgemeine Voraussage erfolgen kann.

Die Therapie kann die Beschwerden des Dejerine-Spiller-Syndroms meist nur lindern, allerdings nicht vollständig heilen. Ein positiver Krankheitsverlauf stellt sich daher nicht ein. Durch verschiedene Übungen der Physiotherapie kann die Lebensqualität des Betroffenen wieder erhöht werden. Ob sich das Dejerine-Spiller-Syndrom negativ auf die Lebenserwartung des Patienten auswirkt, kann nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden.

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Vorbeugung

Dem Dejerine-Spiller-Syndrom lässt sich nur insoweit vorbeugen, wie Verschlüssen von zerebralen Arterien vorzubeugen ist. Damit gelten im Kontext des Syndroms weitestgehend dieselben Vorbeugemaßnahmen wie für Schlaganfälle, Durchblutungsstörungen und Herzkreislaufstörungen.

Nachsorge

Beim Dejerine-Spiller-Syndrom sind die Maßnahmen einer Nachsorge in der Regel stark eingeschränkt. Hierbei ist der Betroffene zuerst auf eine schnelle Diagnose mit der anschließenden Behandlung angewiesen, damit keine weiteren Komplikationen eintreten können. Dadurch wird auch eine weitere Verschlechterung der Beschwerden vermieden. Je früher das Dejerine-Spiller-Syndrom dabei erkannt und behandelt wird, desto besser ist in der Regel auch der weitere Verlauf dieser Erkrankung.

Die Krankheit wird dabei häufig mit Hilfe einer Physiotherapie behandelt. Dabei können viele der Übungen aus einer solchen Therapie auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Heilung eventuell beschleunigt wird. Dabei wirkt sich auch die Unterstützung und die liebevolle Pflege des Betroffenen durch die eigene Familie oder durch Freunde ebenfalls positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus.

Viele Patienten sind auch in ihrem Alltag auf diese Unterstützung angewiesen, wobei eine psychologische Unterstützung notwendig sein kann. Allerdings ist nicht selten auch eine professionelle psychologische Hilfestellung notwendig, um Depressionen oder weitere psychische Verstimmungen zu verhindern. In einigen Fällen verringert sich durch das Dejerine-Spiller-Syndrom auch die Lebenserwartung des Betroffenen, wobei kein allgemeiner Verlauf der Krankheit prognostiziert werden kann.

Das können Sie selbst tun

Das Dejerine-Spiller-Syndrom kann derzeit nicht kausal behandelt werden. Patienten können allenfalls Selbsthilfemaßnahmen ergreifen, die darauf gerichtet sind, die Symptome der Krankheit abzumildern oder den Alltag besser zu bewältigen.

Den Betroffenen wird fast immer eine Physiotherapie verordnet. Die Patienten sollten sich einen Physiotherapeuten suchen, der bereits Erfahrung mit dieser Krankheit oder einer Störung mit sehr ähnlichen Symptomen hat. Der Trainingsplan sollte auch ergotherapeutische Elemente enthalten.

Eine der wichtigsten Selbsthilfemaßnahmen der Patienten besteht darin, den Trainingsplan konsequent umzusetzen und regelmäßig zu üben. Die krankengymnastischen Maßnahmen zielen darauf, den Muskelabbau in den gelähmten Körperregionen zu verlangsamen und so die Motorik zu verbessern oder zumindest möglichst lange zu erhalten. Auch die Sensorik profitiert von einer adäquaten Physiotherapie.

Die Zungenlähmung geht meist mit Schwierigkeiten beim Sprechen und der Nahrungsaufnahme einher. In diesen Fällen sollten die Patienten auch einen Logopäden zuziehen. Durch gezielte Sprechübungen kann sich die Artikulationsfähigkeit deutlich verbessern.

Die Zungenlähmung beeinträchtigt außerdem die soziale Interaktion meist erheblich. Insbesondere Patienten, die kaum sprechen und in Gesellschaft keine Nahrung aufnehmen können, fühlen sich schnell isoliert. Diesem Prozess kann die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe entgegenwirken. Viele dieser Gruppen sind online aktiv. Bei schweren seelischen Leiden sollte eine Psychologe konsultiert werden.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Diener, H.-C., et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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