Angiogenese

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Unter dem Begriff Angiogenese werden alle Stoffwechselprozesse zusammengefasst, die das Wachstum oder die Neubildung von Blutgefäßen beinhalten. Die Angiogenese stellt einen komplexen Prozess dar, bei dem endotheliale Vorläuferzellen, glatte Muskelzellen und Perizyten eine Rolle spielen. Eine Förderung oder Hemmung der Angiogenese wird zunehmend zu therapeutischen Zwecken – vor allem in der Tumortherapie – eingesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Angiogenese?

Unter dem Begriff Angiogenese werden alle Stoffwechselprozesse zusammengefasst, die das Wachstum oder die Neubildung von Blutgefäßen beinhalten.

Mit Angiogenese im engeren Sinn wird nur die Bildung neuer Blutgefäße als Erweiterung des bestehenden Gefäßsystems betrachtet, während die Bildung von Blutgefäßen aus Vorläuferzellen, wie beispielsweise während der Embryonalentwicklung auch als Vaskulogenese bezeichnet wird. Vielfach werden jedoch alle Prozesse, die zur Ausbildung neuer Blut- und Lymphgefäße führen, unter dem Begriff Angiogenese zusammengefasst.

Während der embryonalen Entwicklung bilden sich bereits im frühen Stadium aus dem Mesoderm omnipotente Angioblasten, die sich weiter zu Gefäßendothelzellen für die Angiogenese entwickeln können. Ein Teil der Angioblasten verbleibt lebenslang als undifferenzierte Hämangioblasten mit Stammzellenpotenzial im Blut.

Nach der Embryonal- und Wachstumsphase dient die Angiogenese im Bedarfsfall der Erweiterung des Blut- und Lymphgefäßsystems und vor allem der Versorgung neuen Gewebes bei der Wundheilung. Der Körper ist sogar in der Lage, für verschlossene oder unterbrochene Venen durch Angiogenese Ersatzgefäße zu bilden.

Die Gefäßneubildung wird hauptsächlich durch wachstumsfördernde Signalhormone wie das VEGF (vascular endothelial growth factor) und bFGF (basic fibroblast growth factor) gesteuert. Die bei der Angiogenese notwendige Endothelproliferation und –migration benötigt für die Auslösung und Steuerung des Prozesses die Anregungen des Signalhormons bFGF.

Funktion & Aufgabe

Fast sämtliches Gewebe ist an das Ver- und Entsorgungssystem des Körpers angeschlossen. Der Stoffaustausch geschieht bis auf wenige Ausnahmen in den Kapillaren des Blutkreislaufs. In den Kapillaren, die im Lungenkreislauf (auch kleiner Kreislauf genannt) die Lungenbläschen (Alveolen) umgeben, nimmt das Blut über Diffusionsvorgänge molekularen Sauerstoff auf und gibt Kohlendioxid ab.

In den Kapillaren des Körperkreislaufs findet der entgegengesetzte Stoffaustausch statt. Das Blut gibt Sauerstoff und weitere benötigte Stoffe an das Gewebe ab und nimmt Kohlendioxid und andere Stoffwechselprodukte auf. Der Blutkreislauf ermöglicht es so, dass bestimmte Stoffwechselvorgänge im Körper in dafür spezialisierten Organen zentral ablaufen und die Stoffwechselprodukte im Blut beliebig weit transportiert werden können.

Während der embryonalen Entwicklung und während der Wachstumsphase des Menschen schafft die Angiogenese über die Bildung eines Netzwerks von Arterien, Arteriolen, Kapillaren, Venolen, Venen sowie Lymphgefäßen die Voraussetzungen für den Stoffaustausch in den Kapillaren und den Transport der Substanzen innerhalb des Körpers. Die Hauptaufgabe der Angiogenese besteht daher darin, für Aufbau und Wachstum des benötigten Netzwerks vieler verschiedener Arten von Blut- und Lymphgefäßen zu sorgen.

Nach Abschluss der Wachstumsphase ist die Angiogenese hauptsächlich als Reparaturmechanismus für verletztes Gewebe von Nutzen. Unterbrochene Adern müssen überbrückt werden oder aber ein neues Netzwerk muss den Blutkreislauf wieder herstellen.

Auch bei Umbau oder Neuaufbau von Geweben im Körper spielt die Angiogenese während der adulten Phase eine wichtige Rolle. Die Anregung zur lokalen Angiogenese erfolgt über verschiedene Botenstoffe wie VEGF und bFGF, die an speziellen Rezeptoren der Blutgefäße andocken können.

Darüber hinaus spielen Fibroblasten-Wachstumsfaktoren (FGF) eine Rolle. Insgesamt sind 23 verschiedene FGFs bekannt, die jeweils mit einer Ordnungszahl von 1 bis 23 systematisiert sind. Es handelt sich um einkettige Polypeptide, also um Kettenmoleküle, die aus aneinandergereihten Aminosäuren bestehen. Besonders das FGF-1, das aus einer Kette von 141 Aminosäuren besteht und deshalb auch als Protein bezeichnet werden kann, hat eine wichtige Funktion bei der Angiogenese. Es kann an allen FGF-Rezeptoren andocken und wirkt besonders aktivierend für die Proliferation und Migration der Endothelzellen.


Krankheiten & Beschwerden

Im Zusammenhang mit Krankheiten und Beschwerden stehen sowohl eine verminderte Angiogenese als auch eine nicht erwünschte Angiogenese. Sie ermöglicht etwa erst das Wachstum verschiedener Arten von Tumoren und deren Metastasierung.

Bei krankhaften Veränderungen des Blutgefäßsystems in lokalem Gewebe, wie bei koronaren Herzerkrankungen (KHK) und der peripheren Verschlusskrankheit (PAVK), zB einem Raucherbein, könnte eine verstärkte Angiogenese zu einem Ersatznetzwerk an Adern führen und die ursprüngliche Funktion zumindest teilweise wieder herstellen.

Seit Ende der 1990er Jahre wurde erstmals der als stark wirksam bekannte Fibroblasten-Wachstumsfaktor FGF-1 klinisch eingesetzt. FGFs haben außer in der Angiogenese auch bei der Regeneration von Nerven- und Knorpelgewebe eine besondere Bedeutung.

Das Wachstum bestimmter Tumor wird von der Leistungsfähigkeit der Angiogenese bestimmt. Tumor sind in der Regel sehr energiehungrig und benötigen ein gutes Netzwerk eigens angelegter Kapillare zur Ver- und Entsorgung ihrer Zellen. Bei Tumoren, die zur Metastasierung neigen, werden die metastasierenden Zellen über das Blut im Körper verteilt.

Da auch hier Botenstoffe wie FGFs, VEGF und bFGF eine entscheidende Rolle bei der Angiogenese spielen, zielt die Therapie auf eine Hemmung der Botenstoffe ab, um die Angiogenese im Zusammenhang mit dem Tumorgewebe zu stoppen. Das Tumorgewebe würde damit bestenfalls aushungern und absterben. Ein erstes Arzneimittel, das die Hemmung des Botenstoffs VEGF zum Ziel hat, bekam in Deutschland 2005 die Zulassung und wird hauptsächlich bei fortgeschrittenem Darmkrebs eingesetzt.

Auch bei der altersbedingten Makuladegeneration (AMD), bei der teilweise eine vermehrte Neubildung von Gefäßen mit unzureichender Stabilität zur allmählichen Zerstörung der Sehzellen führt, wird versucht, den nicht erwünschten Prozess der Angiogenese an der Netzhaut durch ein Anti-Angiogenesemedikament zu hemmen, um damit den Abbau der Sehzellen im Bereich der Makula zu stoppen.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Debus, S., Gross-Fengels, W.: Operative und interventionelle Gefäßmedizin. Springer Verlag, Berlin 2012
  • Marshall, M., Loew, D.: Venenerkrankungen. Springer, Berlin 2003

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