Akute disseminierte Enzephalomyelitis

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS). Sie wird auch als perivenöse Enzephalomyelitis oder als Hurst-Enzephalitis bezeichnet und betrifft überwiegend Kinder.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine akute disseminierte Enzephalomyelitis?

Die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS).

Die ADEM gehört zur Gruppe der erworbenen demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS. Eine bekanntere Erkrankung aus dieser Gruppe ist die multiple Sklerose (MS). Bei der akuten disseminierten Enzephalomyelitis handelt es sich um eine eher seltene Erkrankung. Sie äußert sich durch eine akute Entzündung im Bereich des zentralen Nervensystems und tritt häufig ein bis vier Wochen nach einer Infektion auf. In vielen Fällen bilden sich die Symptome komplett zurück. Es können jedoch auch Schäden zurückbleiben. Nur in seltenen Fällen endet die Erkrankung tödlich.

Ursachen

Bei der akuten disseminierten Enzephalomyelitis handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. In vielen Fällen tritt die Erkrankung nach einem Infekt auf. Zu den auslösenden Infektionen gehören harmlose Infektionen der oberen Atemwege, Röteln, Windpocken, das Epstein-Barr-Virus (pfeiffersches Drüsenfieber) oder Hepatitisviren. Auch Impfungen können eine ADEM zur Folge haben.

Zudem wird berichtet, dass ADEM auch durch die Behandlung mit bestimmten Medikamenten ausgelöst werden oder auf ein Trauma folgen kann. Auch Fälle ohne jede auslösende Ursache (idiopathische ADEM) sind bekannt. Ein genetischer Hintergrund der Erkrankung wird diskutiert. Typisch für die Erkrankung ist ein Auftreten im Winter und zu Beginn des Frühjahrs. Man nimmt an, dass die Entzündung im zentralen Nervensystem durch eine Kreuzreaktion zwischen Hirnproteinen und Erregerbestandteilen verursacht wird.

Das bedeutet, dass der Körper bei der Infektion die der ADEM vorangeht Antikörper gegen die Erreger dieses Infektes bildet. Diese Antikörper haften sich an die Erreger und sorgen mit anderen Bestandteilen des Immunsystems dafür, dass der Erreger unschädlich wird. Bei einer Kreuzreaktion reagieren dann die Antikörper, die eigentlich gegen den Erreger gerichtet sind mit körpereigenen Zellen. Bei der ADEM heften sich die Antikörper an die Nervenzellen und an die Myelinschicht, die die Nervenzellen umgibt.

Die Myelinschicht spielt im Nervensystem eine wichtige Rolle bei der Erregungsleitung. Durch die Bindung der Antikörper an diese Zellen wird eine Entzündungsreaktion verursacht. Es kommt zu so genannten fokalen, also herdförmigen, Demyelinisierungsherden. Das sind Stellen an den Nervensträngen, wo die Myelinschicht beschädigt ist. Diese Beschädigungen können im Gehirn und im Rückenmark auftreten. Häufig werden sie von Schwellungen begleitet.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die akute disseminierte Enzephalomyelitis ist durch eine Vielzahl von Symptomen gekennzeichnet, die nicht immer alle auftreten müssen. Dabei richtet sich die Symptomatik nach der jeweiligen Lokalisation der Schädigung. Insgesamt sind die Beschwerden mit denen einer multiplen Sklerose vergleichbar. Während jedoch die multiple Sklerose einen schubartigen Verlauf zeigt, ist der Verlauf der akuten disseminierten Enzephalomyelitis nur auf eine einmalige Phase beschränkt. In den meisten Fällen kommt es nach dem Ablauf der Erkrankung zu einer vollständigen Heilung.

In wenigen Fällen findet jedoch lediglich eine Defektheilung statt, bei welcher nach Beendigung der Krankheit einzelne Symptome bestehen bleiben. Im Rahmen der akuten disseminierten Enzephalomyelitis können unter anderem solche Symptome wie Verlangsamung der Bewegungen, Bewusstseinsstörungen oder gar Depressionen auftreten.

Des Weiteren kann es zu halbseitigen Lähmungen, Gangstörungen, Sprachstörungen, Verwirrtheit oder Lethargie kommen. Charakteristisch für die akute disseminierte Enzephalomyelitis ist auch die beidseitige Entzündung des Sehnervs, die zu Sehstörungen führt.

Der Beginn ist oft unspezifisch mit Fieber, allgemeinem Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Die Erkrankung schreitet rasch fort. So können sich schwere neurologische Ausfallsymptome innerhalb von Stunden nach Beginn des uncharakteristischen Starts entwickeln.

Es kann zu Teil- oder Komplettlähmungen kommen. Ist die Atemmuskulatur von den Lähmungen betroffen, ist eine künstliche Beatmung erforderlich. Die Patienten zeigen häufig einen Meningismus. Als Meningismus bezeichnet man die schmerzhafte Nackensteifigkeit verursacht durch eine Reizung der Hirnhäute. Neben Lähmungen können auch Gang- oder Sehstörungen auftreten.

Charakteristisch sind Doppelbilder. Es kann zudem zu epileptischen Anfällen kommen. Einige Patienten verlieren das Bewusstsein. Auch komatöse Zustände sind denkbar. Die Prognose ist insgesamt eher günstig. Bei der Mehrzahl der Patienten bilden sich die Symptome komplett zurück, nur selten bleiben Defekte bestehen. In seltenen Fällen kann es zu einer besonders fulminanten Form der Erkrankung kommen, die auch als Hurst-Enzephalitis bezeichnet wird. Bei dieser Form der Enzephalitis finden Einblutungen in das Hirngewebe durch Absterben von Blutgefäßen statt. In der Folge stirbt das betroffene Hirngewebe häufig vollständig ab. Daher verläuft die Hurst-Enzephalitis oft tödlich.

Diagnose & Verlauf

Bei Verdacht auf eine akute disseminierte Enzephalomyelitis kommen verschiedene Diagnoseverfahren zum Einsatz. Da bei der Computertomographie (CT) nur größere Läsionen der Myelinschicht dargestellt werden können ist die zerebrale beziehungsweise spinale Magnetresonanztomographie (MRT) die Methode der Wahl. Dabei dient das MRT einerseits dem Nachweis der Demyelinisierung und andererseits dem Ausschluss anderer Erkrankungen, wie zum Beispiel der multiplen Sklerose. Auch die Verlaufskontrolle erfolgt mittels MRT.

Zur Sicherung der Diagnose wird auch der Liquor, die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit des Patienten, untersucht. Hier finden sich krankheitstypische Veränderung wie zum Beispiel ein erhöhter Eiweißgehalt oder eine Erhöhung der weißen Blutkörperchen, insbesondere der Lymphozyten.

Komplikationen

Beim Vorliegen einer akuten disseminierten Enzephalomyelitis zählen das Koma und die Synkope (Bewusstseinsverlust beziehungsweise Ohnmacht), Kopfschmerzen, periphere Neuropathien (Nervenschädigungen der peripheren Nervenbahnen, zum Beispiel Lähmungen in den Armen und Beinen) und die Ataxie (grobe Koordinationsstörung von Muskelbewegungen) zu den häufigsten Komplikationen.

Neben dem Koma zählen das Delirium (Verwirrtheit) und unwillkürliche Krämpfe am ganzen Körper (Kouristukset) zu den sichtbarsten neurologischen Zeichen der disseminierten Enzephalomyelitis. Daneben sind als weitere Probleme Sehnerventzündungen, eine Myelitis (Entzündung des Rückenmarks) sowie eine manifestierte Neuromyelitis optica zu nennen.

Eine Myelitis kann bei schlechtem Krankheitsverlauf zu Lähmungserscheinungen der Extremitäten, aber auch zu einer vollständigen Inkontinenz (sowohl Harninkontinenz wie auch Stuhlinkontinenz) führen. Eine aufgetretene Neuromyelitis optica kann indes zu einem Sehkraftverlust (bis hin zur vollständigen Blindheit), zu Kopfschmerzen und zu Bewusstseinsstörungen sowie zu Krampfanfällen beziehungsweise Spasmen (Konvulsionen) führen.

Eine Entzündung des Sehnervs kann wiederum zu einem deutlichen Sehkraftverlust führen. Das Koma mit vollständigem Bewusstseinsverlust ist neben dem letalen Ausgang der Krankheit die folgenschwerste Komplikation der akuten disseminierten Enzephalomyelitis. Zur Vermeidung der genannten Komplikationen beziehungsweise zur Abmilderung der Symptome ist eine frühzeitige und umfassende Diagnostik das Mittel der Wahl.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da sich die Beschwerden dieser Krankheit relativ schnell ausbreiten, ist auf jeden Fall eine schnelle und sofortige Diagnose und Behandlung notwendig, um weitere Komplikationen vorzubeugen. Ein Arzt sollte daher immer dann aufgesucht werden, wenn es zu Läsionen auf der Haut kommt. Diese Läsionen sind in den meisten Fällen auch mit Fieber und Übelkeit begleitet. Weiterhin leiden die Betroffenen nicht selten auch an Kopfschmerzen oder an Erbrechen. Ebenso kann diese Krankheit zu verschiedenen Störungen der Sensibilität und auch zu Lähmungen führen.

Sollten Störungen dieser Art auftreten oder die Betroffenen an Beschwerden der Motorik leiden, so muss direkt ein Arzt aufgesucht werden. Auch Sehstörungen oder Hörbeschwerden können Symptome dieser Krankheit sein. Im schlimmsten Falle erleiden die Betroffenen einen epileptischen Anfall oder verlieren auch das Bewusstsein.

Dabei kann auch direkt das Krankenhaus aufgesucht oder auch ein Notarzt gerufen werden, wenn es sich um einen akuten Notfall handelt. Auch allgemeine Störungen des Bewusstseins müssen von einem Arzt untersucht werden. Idealerweise sollte die Untersuchung in einem Krankenhaus stattfinden, um weitere epileptische Anfälle zu vermeiden, die eventuell zum Tode des Betroffenen führen können.

Behandlung & Therapie

Für die Therapie der akuten disseminierten Enzephalomyelitis existieren nur wenig Studien, so dass die Therapieempfehlungen auf Erfahrungswerten beruhen. Die Patienten werden in der Regel intensivmedizinisch betreut. In den meisten Fällen erfolgt eine hochdosierte Steroidtherapie, das heißt es kommen verschiedene Corticosteroide zum Einsatz. Zudem werden Immunglobuline verabreicht.

Ist die Therapie mit Steroiden nicht erfolgreich wird eine Plasmapherese durchgeführt. Bei der Plasmapherese erfolgt ein Austausch des Blutplasmas. Als Blutplasma bezeichnet man den flüssigen Anteil des Blutes. Dieser besteht zum überwiegenden Teil aus Wasser, aber auch andere Stoffe wie zum Beispiel die Antikörper, die für die akute disseminierte Enzephalomyelitis verantwortlich sind, sind im Blutplasma gelöst.

Mittels eines Plasmapheresegeräts wird das Blutplasma des Patienten abzentrifugiert und gefiltert. Dadurch sollen die im Blut zirkulierenden krankheitsverursachenden Antikörper aus dem Körper entfernt werden. In Einzelfällen werden auch verschiedene Immunsuppressiva und Zytostatika zur Therapie der akuten disseminierten Enzephalomyelitis eingesetzt.

Aussicht & Prognose

Durch die disseminierte Enzephalomyelitis sind vor allem Kinder betroffen. In den meisten Fällen kommt es allerdings erst zu einer späten Diagnose, da die anfänglichen Beschwerden nicht krankheitsspezifisch sind und damit auch nicht auf diese Krankheit hindeuten. Es kommt dabei zu einem starken Fieber und zu Kopfschmerzen. Weiterhin leiden die Kinder auch an Erbrechen und an einer starken Übelkeit.

Im weiteren verlauf der Krankheit treten Lähmungen an verschiedenen Bereichen des Körpers auf. Die Lebensqualität wird durch diese Lähmungen erheblich eingeschränkt und verringert. Neben den Lähmungen am Körper kann auch das Sehvermögen eingeschränkt werden und es kommt zu Bewegungseinschränkungen. Nicht selten leiden die Betroffenen an epileptischen Anfällen, die ebenso mit Schmerzen verbunden sind. In schwerwiegenden Fällen kann es zu Störungen des Bewusstseins und weiterhin zu einem Bewusstseinsverlust kommen. Die epileptischen Anfälle sollten umgehend behandelt werden.

Oft leiden auch die Eltern und Angehörigen der Patienten an psychischen Belastungen oder an Depressionen und benötigen dementsprechend eine Behandlung. Die Behandlung der Krankheit selbst erfolgt mit Hilfe von Medikamenten und Blutplasma. Damit können die Beschwerden stark eingeschränkt werden, wenn es zu einer frühzeitigen Behandlung kommt.


Vorbeugung

Da die genauen Ursachen der akuten disseminierten Enzephalomyelitis noch nicht komplett geklärt sind, ist eine Vorbeugung der Erkrankung nicht möglich. Durch eine schnelle Diagnose und eine rasche Therapie lässt sich allerdings der Verlauf günstig beeinflussen. Tritt bei einem Kind kurz nach einem Infekt erneut Fieber auf und klagt das betroffene Kind eventuell über Sehstörungen sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden. Gleiches gilt für das Auftreten von kurzen „Aussetzern“ oder Lähmungen nach einem Infekt oder einer Impfung.

Das können Sie selbst tun

Da die Erkrankung vornehmlich Kinder betrifft, sind die Selbsthilfemaßnahmen im Alltag in erster Linie von Erwachsenen und Erziehungsberechtigten umzusetzen. Eine medizinische Versorgung ist notwendig, damit sich eine Linderung der Beschwerden einstellen kann. Eine Selbstbehandlung des Kindes ist nicht zu empfehlen, da dadurch die Zunahme der Unregelmäßigkeiten zu erwarten ist.

Zur Stärkung der körperlichen wie auch mentalen Kräfte können verschiedene Vorgaben eingehalten werden. Wichtig ist die Stärkung des Immunsystems des Patienten. Die Räumlichkeiten sind mit ausreichendem Sauerstoff zu versorgen. Wenn möglich, sind Aufenthalte im Freien zu empfehlen. Die Ernährung sollte gesund und bewusst erfolgen. Vitamine und Nährstoffe sind notwendig, damit das körpereigene Abwehrsystem unterstützt wird.

Die Schlafbedingungen sind zu optimieren, damit sich der Patient während des Nachtschlafs oder der notwendigen Ruhephasen ausreichend erholen kann. Optimalerweise sollten Ruhe- und Wachphasen dem natürlichen Verlauf angepasst sein und nur bei einer Notwendigkeit eine Regulierung eingeleitet werden.

Zur Stärkung der Psyche sind positive Elemente zu verkörpern. Mut machende Worte sowie die Förderung von Spaß und Spiel sind elementare Bausteine der Selbsthilfe. Angehörige sollten den Patienten in einer verständlichen Weise über seinen Zustand aufklären und gleichzeitig die Wege für eine Verbesserung aufzeigen. Das Wohlbefinden ist durch die Gestaltung der Umgebung in Abhängigkeit der vorhandenen Möglichkeiten zu fördern.

Quellen

  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Klingelhöfer, J., Berthele, A.: Klinikleitfaden Neurologie. Urban & Fischer, München 2009
  • Masuhr, K.-F., Neumann, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2007

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