Aicardi-Goutières-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Aicardi-Goutières-Syndrom ist eine enorm seltene, autosomal-rezessiv vererbte Genmutation, die eine genetisch heterogene Entwicklungsstörung im Gehirn von rund drei Monate alten Säuglingen auslöst und neben schweren motorischen Beeinträchtigungen mit Spastizität und Epilepsie einher geht. Bei schweren Phänotypen gilt eine maximale Lebenserwartung von zehn Jahren als Richtwert, obgleich mildere Phänotypen mit RNASEH2B-Mutationen unter Umständen auch älter als zehn werden können.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Aicardi-Goutières Syndrom?

Unter dem Aicardi-Goutières Syndrom versteht der Mediziner eine autosomal-rezessive Erbkrankheit, die einer genetisch heterogenen Entwicklungsstörung des Gehirns bei Babys in einem Alter von rund drei Monaten entspricht.

Unter dem Aicardi-Goutières Syndrom versteht der Mediziner eine autosomal-rezessive Erbkrankheit, die einer genetisch heterogenen Entwicklungsstörung des Gehirns bei Babys in einem Alter von rund drei Monaten entspricht. Klinisch imponiert das Syndrom mit einem ähnlichen Erscheinungsbild wie eine intrauterine, also noch im Mutterleib erworbene Infektion, allerdings lassen sich keinerlei Erreger nachweisen, da eine genetische Ursache vorliegt.

Bestimmte Zellkern-Enzyme sind durch den Gendefekt weniger aktiv als gewöhnlich und reinigen die Chromosomen so bedeutend weniger von fälschlichen RNA-Proteinen. Dadurch kommt es zu einer Anreicherung von DNA-Abschnitten in den Zellen. Da die Zellen dadurch absterben, wird das Immunsystem aktiv und ruft an den entsprechenden Stellen eine Entzündung hervor.

1984 beschrieben die französischen Ärzte Françoise Goutières und Jean François Aicardi diese Erscheinung erstmals. Seitdem sind weniger als 150 Fälle bekannt geworden, der Gendefekt ist also dementsprechend selten. Die einzelnen Fälle wurden bislang meist auf Familien konzentriert beobachtet, da ein zweites Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent ebenfalls an dem Syndrom erkranken wird.

Ursachen

Eine erworbene Form des Aicardi-Goutières-Syndroms gibt es nicht. Die Entwicklungsstörung des Gehirns ist immer angeboren und geht auf eine autosomal-rezessiv weitergegebene Genmutation zurück. Um einen Krankheitsausbruch auszulösen, muss das defekte Gen dementsprechend auf beiden Seiten des Erbgangs vorhanden sein. Auch Neu-Mutationen sind aber möglich. Fünf Genorte wurden bislang mit der Mutation in Zusammenhang gebracht.

Dazu zählen TREX1, RNASEH2A, RNASEH2B und RNASEH2C sowie SAMHD1. Die ersten Beschreibungen des Syndroms gehen von einer Ursache in Zusammenhang mit dem Gen TREX1 auf dem Chromosom 3p21 aus. Die RNASEH2-A-Gene sind Genloci für drei verschiedene Proteine, die bei der Bildung des trimeren Zellkernenzyms RNase H eine Rolle spielen.

Dieses Zellkernenzym ist wiederum dafür zuständig, die DNA von falsch platzierten RNA-Molekül-Bausteinen zu säubern. Ohne das RNase H kommt es zum frühembryonalen Tod. Wenn das Zellkernenzym dagegen vorhanden, aber nicht vollständig aktiv ist, lagern sich einzelne Bruchstücke bestimmter Gene in die Körperzellen ein. Dabei verursachen sie eine Apoptose, die auf Basis der natürlichen Immunreaktion einen entzündlichen Prozess auslöst.

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Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Kinder mit dem Aicardi-Goutières-Syndrom lassen sich nur schwer füttern. Sie legen ruckartige Augenbewegungen und Zappeligkeiten an den Tag und leiden unter leichten Fieberschüben sowie Erbrechen. Etwas weniger als die Hälfte der betroffenen Kinder verliert nach rund sechs Monaten die bisher erlernte Motorik. Im Hinblick auf die motorischen Fähigkeiten treten insbesondere Pyramidenzeichen auf.

Neben spastischen Lähmungen können sich unkoordinierte Bewegungsabläufe zeigen, die sowohl die Muskeln der Arme als auch der Beine kontrahieren lassen oder Krampfanfälle hervorrufen. Zum Teil sind neben der Störung des Muskeltonus zusätzlich Organe wie Leber und Milz vergrößert. Später stellt sich eine zunehmende Verzögerung der psychomotorischen Entwicklung ein. Gelegentlich treten zusätzlich frostbeulenhafte Hautveränderungen auf.

Diagnose & Verlauf

Differentialdiagnostisch muss der Arzt bei dem Verdacht auf das Aicardi-Goutières-Syndrom vor allem Toxoplasma-Parasiten ausschließen. Computertomographisch zeigen sich bei AGS beidseitig Verkalkungen in den Basalganglien. Auch Hirnsubstanzverluste und Hirnsubstanzfehlbildungen können computertomographische Hinweise sein.

Die Nervenwasseruntersuchung zeigt einen erhöhten CSF-Lymphozytose-Spiegel und Alpha-Interferone, was auf einen entzündlichen Vorgang im Zentralnervensystem verweist. Im Serum sind bei AGS-Patienten die Blutplättchen verringert und zugleich die Leber-Enzymwerte erhöht. Was den Krankheitsverlauf betrifft, sterben viele der Betroffenen noch im Kindesalter, wobei zehn Jahre für besonders schwere Formen der Mutation als maximale Lebenserwartung gelten.

Patienten mit milderen Formen werden oft auch über zehn Jahre alt. Diese milderen Phänotypen entsprechen meist RNASEH2B-Mutationen, wie sie in annähernd der Hälfte aller Fälle vorliegen. Die Erkrankung schreitet zu Beginn über mehrere Monate fort, bis eine Mehrfachbehinderung besteht. Die Erkrankung stabilisiert sich nach diesen ersten Monaten aber meist auf einen gleichbleibenden Verlauf. Obwohl bislang fast alle Patienten mit einem höheren Lebensalter als zehn mit schweren Mehrfachbehinderungen zu kämpfen hatten, sind in Einzelfällen auch deutlich mildere Verläufe aufgetreten.

Komplikationen

Beim Aicardi-Goutières-Syndrom kommt es zu starken Komplikationen, die das Leben der Menschen und Kindern stark negativ beeinflussen können. In den meisten Fällen zeigt sich das Syndrom durch Schwierigkeiten beim Füttern und Bewegungen der Augen, die ruckartig und unkontrolliert geschehen. Im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es immer häufiger zu Fieber und Erbrechen.

Die Kinder zeigen beim Aicardi-Goutières-Syndrom spastische Lähmungen an den Armen und Beinen, sodass sie diese nicht mehr richtig koordinieren und bewegen können. Es kann im schlimmsten Falle zu Krampfanfällen kommen, die vor allem bei Kindern gefährlich sein können. Durch das Aicardi-Goutières-Syndrom kommt es auch zu einer geistigen Retardierung.

In den meisten Fällen kommt es aufgrund der Symptome schon im Kindesalter zum Tode, sodass die Lebenserwartung enorm sinkt. Sollte das Kind beim Aicardi-Goutières-Syndrom nicht versterben, kommt es zu erheblichen Komplikationen und Schwierigkeiten im Alltag. Aufgrund der physischen und psychischen Einschränkungen ist der Patient immer auf die Hilfe anderer Personen und Pfleger angewiesen.

In der Regel ist auch ein Aufenthalt im Krankenhaus notwendig. Das Aicardi-Goutières-Syndrom kann auch Leber und Milz betreffen, sodass sich diese vergrößern. Dabei kommt es in der Regel zu Schmerzen an den jeweiligen Organen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In den meisten Fällen kann das Aicardi-Goutières-Syndrom nicht durch einen Arzt behandelt werden. Es kommt dabei schon nach den ersten zehn Lebensjahren zum Tode des Patienten. In der Regel werden die Beschwerden schon durch einen Kinderarzt festgestellt. Die Eltern können sich allerdings bei bemerkbaren Verzögerungen der Entwicklung oder bei der Entwicklung von verschiedenen Spastiken an einen Kinderarzt wenden.

Auch bei ruckartigen Bewegungen und einem starken und dauerhaften Fieber ist der Besuch beim Arzt notwendig. In der Regel kann das Fieber und das Erbrechen durch Medikamente eingeschränkt werden. Nicht selten leiden die Kinder auch an Lähmungen und Krämpfen. Auch diese können durch eine Behandlung eingeschränkt werden, sodass in diesen Fällen ebenso ein Besuch beim Arzt zu empfehlen ist.

In akuten Notfällen oder Krampfanfällen kann auch ein Notarzt gerufen werden. Nicht selten leiden auch die Eltern an psychischen Beschwerden oder an Depressionen. In diesem Fall ist die psychologische Behandlung der Eltern empfehlenswert. Diese sollte vor allem nach dem Tod des Kindes durch das Aicardi-Goutières-Syndrom psychologisch betreut werden.

Behandlung & Therapie

Das Aicardi-Goutières Syndrom lässt sich bislang nicht kausal therapieren, sondern ausschließlich symptomatisch behandeln. In diesem Zusammenhang kann Krampfanfällen zum Beispiel über die Gabe von Antiepileptika vorgebeugt werden. Zur Verminderung der Spastizität und der Kontrakturen dienen in der Regel physiotherapeutische Maßnahmen.

Gegen Hauterscheinungen können bestimmte Salben und Cremes Einsatz finden. Die Therapiemöglichkeiten umfassen außerdem eine Frühförderung, im Zuge derer nicht nur die betroffenen Kinder, sondern vor allem auch die Eltern betreut werden.

Aussicht & Prognose

Durch das Aicardi-Goutières-Syndrom kommt es zu unterschiedlichen Fehlbildungen und Belastungen für den Patienten. Oft sind vor allem die Eltern des Kindes von starken psychischen Beschwerden und Depressionen betroffen und benötigen daher eine psychologische Betreuung.

Das Kind selbst leidet an starken Einschränkungen und epileptischen Anfällen. Es kommt dabei zu intensiven Fieberschüben und zu Erbrechen. Oft leidet das Kind auch an unkontrollierbaren Bewegungen der Augen und an Lähmungen unterschiedlicher Körperregionen. Weiterhin kann es auch zu Krampfanfällen kommen, die nicht selten mit Schmerzen verbunden sind. Die Entwicklung des Kindes ist durch das Aicardi-Goutières-Syndrom stark eingeschränkt und es kommt zu Störungen der Motorik. Auch das zentrale Nervensystem wird durch das Syndrom negativ beeinflusst. Die Lebensqualität des Patienten ist dabei extrem eingeschränkt und der Betroffene ist in der Regel auf die Hilfe anderer Menschen im Alltag angewiesen.

Das Aicardi-Goutières-Syndrom kann nicht behandelt werden, weswegen nur die Beschwerden eingeschränkt werden können. Die epileptischen Anfälle können relativ gut mit Hilfe von Medikamenten verringert werden. Weiterhin stehen dem Patienten verschiedene Therapien zur Verfügung.

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Vorbeugung

Noch im Mutterleib kann ein Fötus auf das Aicardi-Goutières-Syndrom untersucht werden, indem eine Fruchtwasserprobe genommen wird. Unter Umständen können sich werdende Eltern daraufhin gegen das Kind entscheiden. Andere Vorbeugemaßnahmen stehen nicht zur Verfügung, da es sich bei dem Syndrom um eine Mutation handelt.

Nachsorge

Die Möglichkeiten zur Nachsorge sind beim Aicardi-Goutières-Syndrom relativ stark eingeschränkt. Der Patient ist dabei immer auf eine medizinische Behandlung angewiesen, um die Beschwerden zu lindern und mögliche Komplikationen zu vermeiden. In der Regel ist durch das Syndrom auch die Lebenserwartung des Betroffenen erheblich eingeschränkt.

Da die Erkrankung erblich bedingt ist, kann sie nicht vollständig behandelt werden. Dem Patienten steht eine rein symptomatische Behandlung zur Verfügung. Weiterhin kann im Falle eines Kinderwunsches auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, um das erneute Auftreten des Aicardi-Goutières-Syndroms zu verhindern. Die Betroffenen sind meistens auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.

Diese müssen regelmäßig eingenommen werden, wobei auch die möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten betrachtet werden sollten. Die Kinder werden dabei entsprechend therapiert und gefördert, um den Spastiken entgegenzuwirken. Sie können allerdings nicht vollständig geheilt werden.

Oft wirkt sich der Kontakt zu anderen Betroffenen des Aicardi-Goutières-Syndroms positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Dabei kommt es nicht selten zu einem Informationsaustausch und damit zu einer Erleichterung des Alltages. Weiterhin sind häufig auch die Eltern auf eine psychologische Behandlung angewiesen. Dabei können auch Gespräche mit Freunden oder mit Bekannteren hilfreich sein.

Das können Sie selbst tun

Bei dem Aicardi-Goutières-Syndrom handelt es sich um eine Erkrankung mit Mehrfachbehinderung. Eltern werden sich mit ihrem Kind dauerhaft in medizinische Behandlung begeben müssen. Die Belastung für die Eltern ist sehr hoch und eine psychologische Betreuung sehr anzuraten. Auch weitere professionelle Hilfe für die tägliche Pflege des Kindes sollte ohne Zögern in Anspruch genommen werden.

Sind weitere Kinder in der Familie vorhanden, ist auch die Möglichkeit der Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung zu diskutieren. Da das erkrankte Kind einer intensiven Betreuung bedarf ist die Belastung nicht zu unterschätzen. Für Eltern mit einem erkrankten Kind ist das Risiko einer Depression besonders erhöht. Die Pflege der eigenen Gesundheit – physisch wie psychisch – sollte nicht vernachlässigt werden. Eltern können ihrem Kind nur eine stabile Stütze sein, wenn sie selbst stabil sind.

Krampfanfälle und häufiges Erbrechen erfordern eine ständige Beobachtung des Kindes. Bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens benötigt das Kind die elterliche oder professionelle Betreuung.

Eltern müssen für ausreichend Bewegung durch motorische Übungen sorgen, die Ernährung des Kindes vitalstoffreich und leicht verdaulich gestalten sowie auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Vor allem die physiotherapeutische Begleitung ist zur Verminderung von spastischen Anfällen grundlegend wichtig und begleitet die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika. Dermatosen können Eltern durch sorgfältiges Auftragen von Cremes und Salben unterstützend behandeln.

Quellen

  • Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
  • Koletzko, B.: Basiswissen Pädiatrie. Springer Medizin Verlag, Berlin 2009
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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